EM-Gegner

Fußball ist in Dänemark die Nummer eins

Marvin Zubrod berichtet über seine Zeit in Dänemark und - mit Blick auf das EM-Spiel gegen Deutschland - wie er Fußball in diesem Land erlebt hat.

Von 
Marvin Zubrod
Lesedauer: 
Der BA-Autor Marvin Zubrod hat bei seinem Studium in Dänemark Land und Leute kennengelernt; das Bild zeigt ihn im Nationaltrikot (Mitte) beim Lauftreff Aarhus. © Marvin Zubrod

Bergstraße/Dänemark. In Nordeuropa leben die glücklichsten Menschen der Welt. So ist zumindest die wissenschaftliche Erkenntnis, die im jährlichen Glücksatlas publiziert wird. Das hat sich folglich bis an die Universitäten herumgesprochen, weshalb jedes Jahr Tausende Studenten ein Semester in Skandinavien verbringen.

Ich war nie der Typ, den es von zu Hause wegzog. Einige meiner Klassenkameraden reisten nach dem Abitur um die halbe Welt. Bali, Australien, Thailand. Das, was man sich eben anschaut, wenn man nach mindestens zwölf Jahren auf der Schulbank eine Karriere als Influencer anstrebt. Mich hat das nie interessiert.

Nach drei Jahren Studium war die Zeit für einen Ortswechsel gekommen

Mein Instagram war die Tageszeitung, meine interkulturelle Kompetenz beschränkte sich auf die indischen und chinesischen Restaurants in der Region, und mein Südseeausflug ging an den Bensheimer Badesee. Nun ja, das ist jetzt vielleicht etwas verklärend. Aber meine Heimat ist die Bergstraße. Hier wollte ich nie weg.

Doch nach drei Jahren Politikstudium in Mannheim und dem beginnenden Masterstudium in Heidelberg setzte sich auch bei mir die Erkenntnis durch, dass es jetzt mal Zeit für einen Ortswechsel wäre. Und zwar einer, der über die badische Grenze hinausgeht. Aber: Bloß nicht zu weit weg, dachte ich mir. Womit die Südsee schon mal raus war. Doch ans Meer sollte es trotzdem gehen. Genauer gesagt nach Aarhus, eine Studentenstadt an der dänischen Ostseeküste, gesäumt von Cafés, Bars und weitläufigen Parkanlagen.

Eine typische Gasse in der dänischen Stadt Aalborg – immer präsent das Fahr-rad als beliebtes Fortbewegungsmittel. © Marvin Zubrod

Den Bensheimer Schorschblick vorübergehend für die skandinavische Architektur eintauschen. Womit wir bei der ersten dänischen Besonderheit wären: Bauvorhaben beschränken sich – anders als in Deutschland – nicht nur auf Vorhaben, sondern umfassen auch den Bau. Wohnraum gibt es daher vergleichsweise günstig zu finden.

Die Strecke zwischen Arbeitsplatz und Wohnung legen viele Dänen mit dem Fahrrad zurück. Womit wir bei der zweiten dänischen Besonderheit wären: den breit ausgebauten Radwegen. Die Liebe zum umweltfreundlichen Verkehrsmittel spiegelt sich im Sportinteresse wider. Hoch im Kurs steht die Tour de France, die 2022 in Dänemark startete und mit Jonas Vingegaard in den letzten beiden Jahren einen dänischen Sieger hervorbrachte. Überhaupt ist Ausdauersport in dem skandinavischen Land populär. Lauftreffs nach Feierabend, meistens organisiert von Freiwilligen, sind nichts Ungewöhnliches.

Doch der populärste Sport ist Fußball. Und das, obwohl die Dänen im Handball Titelsammler bei Welt- und Europameisterschaften sind und mit Torhüter Niclas Landin, der einige Jahre bei den Rhein-Neckar Löwen in Mannheim spielte, einen mehrfachen Welthandballer in ihren Reihen haben. „Im Handball sind wir am erfolgreichsten, aber den Fußball lieben wir einfach mehr“, erzählte mir jüngst ein dänischer Kommilitone. Wieso? Das konnte er mir nicht beantworten.

„Hygge“ nennen die Dänen dieses Gefühl der Gemütlichkeit

Aber vielleicht liegt es daran, dass Fußball nun mal draußen gespielt wird und die Sommermonate nördlich von Flensburg besonders lang sind. Wobei man an dieser Stelle den dänischen Winter nicht unterschlagen sollte, der weit über die reguläre Spielzeit eines deutschen Winters hinausgeht und eher einem verlängerten Herbst gleicht. Es regnet nämlich oft in Dänemark. Eigentlich regnet es immer. Zumindest immer dann, wenn ich die breit ausgebauten Radwege entlangfahre, von denen ich sonst so sehr schwärme.

Daher sind die Parkanlagen satt gegrünt. Den Grund hierfür vergisst man schnell, wenn man bei Sonnenschein durch die Stadt flaniert. „Hygge“ nennen die Dänen dieses Gefühl der Gemütlichkeit. Das geht bei Sportereignissen allerdings schnell in lauten „Skål”-Rufen unter, was so viel wie „Prost“ bedeutet. Die Dänen lassen es halt gerne krachen.

Mehr zum Thema

Fußball

Dänemarks Torwart Schmeichel vor EM-Duell gegen DFB-Elf im Fokus

Veröffentlicht
Von
Frank Hellmann
Mehr erfahren
Fußball-EM

Vor EM-Duell gegen Deutschland: Dänemark noch nicht in Spur

Veröffentlicht
Von
Johannes Graf
Mehr erfahren

Eine Kommilitonin aus Aarhus erzählte mir neulich, dass die Regierung einen Feiertag anordnete, nachdem Dänemark 1992 das erste und bislang einzige Mal den Fußball-EM-Titel mit einem 2:0-Sieg über Deutschland gewann. Ein staatlich subventioniertes Besäufnis sozusagen. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber bei den Dänen kann ich mir das vorstellen. Bei dieser Europameisterschaft tranken sie sogar schon einen Biergarten in Stuttgart leer.

Vielleicht war es auch nur der Frust über ihre Regierung, die im vergangenen Jahr aufgrund von Sparmaßnahmen einen Feiertag strich. Ob sie sich den verlorenen Tag mit einem EM-Titel zurückholen wollen? Jedenfalls werden viele Fans anreisen, um ihre Mannschaft zu unterstützen, wenn Dänemark am heutigen Samstag (21 Uhr) in Dortmund im Achtelfinale auf Gastgeber Deutschland trifft. Doch vielleicht haben die Dänen vor Anpfiff auch schon wieder einen Biergarten leer getrunken – und das Finale von 1992 längst vergessen.

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger