Das geistliche Wort

Warum ich bleibe

Gedanken über Kirchenaustritt

Von 
Dr. Frank Meessen
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bgo_Dr_Frank_Meessen.JPG Gottesdienste, bgo, Dr. Frank Meessen ist Pädagogischer Leiter des Katholischen Bildungswerks © Privat

Warum ich bleibe, habe ich mich in den letzten Monaten oft gefragt. Angesichts von Kirchenaustritten, deren Zahl mit über einer halben Million noch nie so hoch war. Und ich teile auch ihre Kritik an Amtsträgern, die wieder zurück zu einer vorkonziliaren, kleruszentrierten, reformfeindlichen Kirche wollen.

Was heißt Kirchenaustritt eigentlich? Vor allem was heißt dieser Schritt für den eigenen Glauben. Ist der Ausgetretene automatisch zum Atheist geworden und das Kirchenmitglied überzeugter Christ? Carolin Kebekus, die Comedienne aus Köln, macht hier eine nicht unwichtige Unterscheidung: „Aus der Kirche bin ich ausgetreten, aber Christin bin ich geblieben.“ So sehen das vermutlich viele.

Christ sein – was heißt das?

Fragt sich, was das heißt: Christ sein. Ist es vor allem eine moralische Anstrengung? Vergessen wir jetzt mal Glaubensbekenntnis und Katechismus. Wichtiger finde ich, dass Christ sein auf das Lebensgefühl von uns Menschen heute eine überzeugende Antwort hat. In ihrem Buch „Unter Leuten“ lässt Juli Zeh eine Krankenschwester dieses Lebensgefühl so beschreiben, „dass auf Erden völlig willkürlich gelebt, gelitten und gestorben wird“.

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Auch wenn das jetzt nicht unbedingt von jedem so empfunden wird. Aber eine Grundstimmung scheint es doch zu treffen. Geht die christliche Religion auf dieses Lebensgefühl von Zufälligkeit und Haltlosigkeit ein? In diesem Zusammenhang fällt mir die letzte Zeile in einem Rilke-Gedicht ein: „…dass Einer dieses Fallen unendlich sanft in Seinen Händen hält“. Das gehört für mich ins Zentrum christlichen Glaubens.

Aber wird Kirche heute damit in Verbindung gebracht? Zu rasant scheint ihr Bedeutungsverlust zu sein. Und wie oft hat sie sich in ihrer zweitausendjährigen Geschichte auch selbst ins Abseits manövriert? Durch Kreuzzüge und Judenpogrome, Verfolgung von Minderheiten, gewaltsame Christianisierungen, Ablasshandel, Inquisition und Kollaboration mit den Mächtigen, subtile Gewaltanwendung bis hin zum Missbrauch junger Menschen in unseren Tagen.

Schuldig, aber nie verloren

Ja, Kirche hat sich in vielerlei Hinsicht schuldig gemacht. Aber, und das scheint fast ein Wunder zu sein, sie hat sich im Geästel der Geschichte nie verloren. Und so stelle ich mir vor, dass unter der Asche, wie Kirche heute wahrgenommen wird, es so etwas wie einen Glutkern gibt, der die Jahrhunderte überdauert und von dem ich überzeugt bin, dass es ihn auch heute noch gibt. Warum ich also bleibe? Deshalb. Bild: Privat

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