Bergsträßer Weinbautag

Winzer kritisieren EU-Pläne zu Pflanzenschutzmitteln

Ganz ohne Chemie drohen der Verlust von Artenvielfalt und das Sterben einer Kulturlandschaft.

Von 
Thomas Tritsch
Lesedauer: 
Andreas Kortekamp vom Institut für Phytomedizin am Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz in Neustadt referierte beim 12. Bergsträßer Weinbautag in Bensheim über Vorschläge zur Pflanzenschutzreduktion der EU. © Thomas Neu

Bergstraße. Früher hat Sarah Wiener im Fernsehen gekocht. Seit 2019 sitzt sie für die österreichischen Grünen Abgeordnete im Europaparlament, wo sie auch als Berichterstatterin für die neue Verordnung zum nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (SUR) fungiert. Anfang des Monats hat sie ihren Bericht im Umweltausschuss präsentiert. Der Text dient dem Parlament als Verhandlungsgrundlage. Zentrale Idee: bis 2030 sollen „das Risiko und der Einsatz von chemischen Pestiziden“ in der EU halbiert werden – mit drastischen Maßnahmen. Ein entsprechender Vorschlag der EU-Kommission sorgt schon seit Monaten für hitzige Diskussionen.

Die Winzer kochen vor Wut. Denn im Streit über eine deutliche Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln in der europäischen Landwirtschaft drängt Wiener auf sehr strenge Regeln. In ihrem Bericht schlägt sie unter anderem höhere und risikoabhängige Steuern, eine Reduktion besonders gefährlicher Pflanzenschutzmittel um 80 Prozent und radikale Einschränkungen von Chemikalien in sensiblen Schutzgebieten vor. Zwischenzeitlich wurde sogar ein Totalverbot in diesen Zonen diskutiert.

„Überambitionierte Pläne“

Ausnahmen soll es für Mittel auf biologischer Basis geben. Zudem hat sie ein Zwischen-Reduktionsziel bis 2026 ins Spiel gebracht, um den Zeitplan zu straffen. Wiener muss für ihren Bericht eine Mehrheit im Umweltausschuss finden. Anschließend muss auch das Plenum des Parlaments darüber abstimmen, bevor Verhandlungen mit den EU-Staaten aufgenommen werden können.

Mehr zum Thema

Bensheim

Wein und Poesie zugunsten der Tafel in Bensheim

Veröffentlicht
Von
tn/Bild: Thomas Neu
Mehr erfahren
Bensheim

Fahrt zur Weinmesse nach Straßburg

Veröffentlicht
Von
red/Bild: Verein
Mehr erfahren
Winzer

Das Weinanbaugebiet Hessische Bergstraße wird zu einem „Sektparadies“

Veröffentlicht
Von
Thomas Tritsch
Mehr erfahren

Die angestrebten Regelungen zum Pflanzenschutz würden die Bewirtschaftung zahlreicher Weinberge faktisch unmöglich machen, sagte Andreas Kortekamp in Bensheim. Beim 12. Bergsträßer Weinbautag kritisierte der promovierte Biologe vom Weincampus Neustadt, der viel zum Thema Pflanzenschutz forscht, die Vorschläge der EU-Ebene massiv.

Wieners Forderungen entbehrten jeder wissenschaftlich begründbaren Grundlage und strategischen Vernunft, sie seien überambitioniert und vor allem politisch motiviert. Dass die Abgeordnete statt von Pflanzenschutzmitteln lieber von Pestiziden spricht, gefällt Kortekamp ebenfalls nicht. Unter dem Begriff Pestizide fasse man Pflanzenschutzmittel und Biozide (chemische Substanzen zur Anwendung im nicht-agrarischen Bereich) zusammen. Wer in diesem Kontext synonymisch ausschließlich von Pestiziden spreche, der argumentiere auf schiefen Grundlagen. Biozide kämen im Weinbau nicht zum Einsatz.

Viele Vorurteile

Auch die Einschränkungen in Schutzgebieten würden dem deutschen Weinbau erheblich schaden, so der Wissenschaftler im Kolpinghaus. Denn im Weinland Deutschland ist die Dichte an sogenannten empfindlichen Gebieten weitaus höher als beispielsweise in den Wein-Nationen Frankreich, Italien oder Spanien.

Doch ohne Pflanzenschutzmittel, beziehungsweise bei massiven Einschränkungen der erlaubten Stoffe, sei der Weinbau in vielen Regionen erheblich bedroht, so der Leiter des Instituts für Phytomedizin am Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz. Phytomedizin ist die Wissenschaft von den Krankheiten und Beschädigungen der Pflanzen.

„Wenn wir auf 80 Prozent der Mittel verzichten könnten, dann hätten wir dies längst umgesetzt“, sagte er. Winzer würden entgegen vielen Vorurteilen nicht zu viele Pflanzenschutzmittel ausbringen, weil diese im Übrigen ja auch Geld kosten. Der Gesetzentwurf sei nicht nur schlecht formuliert, sondern gehe auch völlig an der Realität vorbei. So fordere Wiener etwa, dass beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln jedes Risiko für Schäden in der Tier- und Pflanzenwelt beseitigt werden müsse. Man könne ein Risiko aber niemals beseitigen, sondern bestenfalls reduzieren, verbessert der Biologe. Auch die Idee, Mittel ausschließlich auf individuellen Antrag einsetzen zu dürfen, sei weltfremd und entbehre jeder Sinnhaftigkeit.

Andreas Kortekamp betont: Die relativ hohe Biodiversität in den deutschen Weinbergen sei das Resultat einer jahrzehntelangen Landnutzung. Würden Flächen verbuschen, gehe die Artenvielfalt zurück. Landwirtschaft leiste daher einen Beitrag zum Naturschutz. In Rheinland-Pfalz gebe es viele Schutzgebiete nicht trotz, sondern wegen einer aktiven Landwirtschaft. Er sei nicht Biologe geworden, weil er der Umwelt Schaden zufügen wolle. Sarah Wiener aber habe „ihre ganz persönliche Meinung“ zu diesem Thema, so der Experte diplomatisch.

Technische Systeme helfen

Beim Weinbautag skizzierte er auch Möglichkeiten, wie man – ungeachtet der EU-Vorschläge – den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weiter auf freiwilliger Basis reduzieren könne. Beispielhaft nannte er technische Systeme an landwirtschaftlichen Maschinen, die solche Mittel sparsamer rund gezielter ausbringen, indem sie ein Abdriften der Flüssigkeit minimieren. Auch die Anpflanzung von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (PIWI) würde die Notwendigkeit des Pflanzenschutzes senken – allerdings sieht Kortekamp hier sowohl zeitlich wie auch qualitativ ein Problem. Bislang seien lediglich ein bis zwei Prozent der bewirtschafteten Rebflächen mit diesen Züchtungen bestückt. Eine vollständige Umrüstung würde 50 bis 100 Jahre dauern, so der Wissenschaftler. Hinzu komme eine bislang noch zögerliche Akzeptanz der PIWIs vonseiten der Verbraucher.

Weinbau ohne Pflanzenschutzmittel sei fast immer ein Totalverlust, der Einsatz wurde schon reduziert, aber ohne gehe es nicht, so ein Winzer in Bensheim. Die Vorschläge seien nicht praktikabel und machten die Landwirtschaft und den Weinbau kaputt, kritisierten andere.

Teilweise frustrierende Resonanz

Der Vorsitzende des Weinbauverbands Hessische Bergstraße sieht das genauso: Otto Guthier mahnte, die Vorschläge in kritischen Punkten – und davon gibt es viele – zu überarbeiten, um dem Weinbau eine Zukunft zu bieten. „Wenn dies so kommt, müsste man als Winzer eigentlich aufhören!“ Auch an der Bergstraße sei der Erhalt der Kulturlandschaft durch eine solche Gesetzgebung ernsthaft bedroht. Der Verband habe dieses Thema bereits an regionale Politiker, die auf Landes- und Bundesebene aktiv sind, herangetragen – teilweise mit frustrierenden Resonanzen, so Guthier in Bensheim, wo der Weinbautag bis zum Abend weitere aktuelle Themen in den Fokus nahm – darunter das Bewässerungsmanagement von Weinbergen und Begrünungen als Maßnahme einer nachhaltigen Bodenpflege.

Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"

Freier Autor

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger