Bergstraße. Prost! Die großen deutschen Weinguides haben gesprochen. Im Herbst fallen nicht nur die Blätter, sondern auch die Urteile der Verkostungsteams für die Publikationen Vinum und Eichelmann. Wir haben nachgeblättert und geschaut, wie die Hessische Bergstraße dabei abschneidet. Das Fazit fällt – kaum überraschend – überaus positiv aus.
Laut Vinum haben die Weinbaubetriebe des kleinen Anbaugebiets ihr hohes Niveau halten können, auch wenn der Jahrgang 2021 für eine ganz andere Herausforderung als in den Jahren zuvor sorgte. Es war kühler und gerade im Frühsommer auch feuchter, was die Winzer vor allem in Sachen Pflanzenschutz vor besondere Herausforderungen gestellt hatte. Doch eine ganze Reihe klarer, fruchtig-rassiger Weißweine belegt, dass dies meist gut gelungen sei, so der verantwortliche Redakteur Peter Henk in der aktuellen Ausgabe.
Schon sehr gute Vorjahre
Die Rotweine des Jahrgangs 2020 knüpfen an die sehr guten Vorjahre an. Ob Syrah von Rothweiler oder Spätburgunder von Edling und Schloss Schönberg: Die Weine zeigen laut Henk Frucht, Kraft und guten Trinkfluss. Mit einem gereiften Cabernet Sauvignon kann Simon-Bürkle punkten.
Hintergrund
Die deutsche Weinkritik ist eine hart umkämpfte Branche. Auf Hunderten von Seiten skizzieren die Autoren der wichtigen deutschen „Wein-Bibeln“ die Entwicklung in den 13 deutschen Anbaugebieten und küren die aus ihrer Sicht besten Betriebe der jeweiligen Region.
Mehr als 10 000 Weine und Sekte von über 1000 Betrieben werden jedes Jahr verkostet.
Der gelbe Wälzer von Gerhard Eichelmann erscheint im Mondo Verlag Heidelberg (über 1100 Seiten) und der etwas kompaktere, ähnlich seitenstarke Vinum Weinguide mit Verlagsmutterhaus in Zürich bilden mittlerweile die deutschsprachige Spitze der „Weinbibeln“.
Der einstige Vorreiter, der Gault Millau Weinguide, beleuchtet seit zwei Jahren nur noch „Deutschlands wichtigste Anbaugebiete“– die Hessische Bergstraße gehört offenbar nicht dazu.
Zudem war hinter den Kulissen der einstigen Speerspitze der deutschen Weinkritik ein langjähriger Streit eskaliert: Viele Spitzenwinzer stellen nach eigenen Angaben keine Weine mehr an, weil sie dafür keine Gebühren mehr zahlen möchten.
Vinum und Eichelmann legen Wert darauf zu betonen, dass bei ihnen keine Verkostungsgebühr erhoben wird. Die Verkostungen erfolgen, wenn immer möglich, „blind“, so Eichelmann. Auch Vinum kombiniert blinde mit offenen Proben, einzeln wie im Team.
Beide stufen die Güter auf einer Skala von von eins bis fünf Sternchen von „zuverlässig“ bis „Weltklasse“ ein. Die weine werden nach dem international üblichen 100-Punkte-System bewertet. tr
Besser denn je wird die aktuelle Kollektion des Sekthauses Griesel & Compagnie eingestuft. Vinum spricht schon von der Hessischen Bergstraße als „Sektparadies“. Von hier kommen inzwischen mit großer Beständigkeit einige der besten Sekte Deutschlands, heißt es weiter. Niko Brandner habe das Sekthaus Streit in kürzester Zeit zu einem wohlklingenden Namen auf dem Schaumweinparkett Deutschlands gemacht. Dafür spendierte der Tester dem Haus nicht nur dreieinhalb Sterne, sondern zudem auch noch den Titel „Weingut des Jahres“ für das Anbaugebiet.
„Entdeckung des Jahres“
Das Weingut Feligreno ist aus Sicht der Redaktion die „Entdeckung des Jahres“. Mit der Umstellung auf den Vollerwerb entschloss man sich, die zertifizierten Bio-Weine aus den Lagen Zwingenberger Alte Burg und Seeheimer Mundklingen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Aus dem Stand heraus gab es eineinhalb Sternchen für das Team von Jannik Jährling. Auf gleichem Niveau rangieren das Weingut der Stadt Bensheim, das demnächst auch namentlich im Weingut Jäger aufgehen wird, sowie der Betrieb von Lisa Edling in Roßdorf („Odenwälder Weininsel“).
Viele Schritte nach vorn
Hanno Rothweiler wird unter anderem für seine gelungenen Cuvées und Sekte gelobt und mit zwei Sternen dekoriert – wieder ein kleiner Schritt nach vorn gegenüber dem vorangegangenen Jahr. Als Spitzenbetriebe haben sich Simon-Bürkle – ebenfalls in Sachen Sekt immer erfolgreicher – und die Burgunder-Spezialisten Schloss Schönberg mit den Betriebsleitern Rabea Trautmann und Julien Meissner von jeweils zweieinhalb auf drei volle Sternchen hinaufgearbeitet. Aber auch die Basis macht mobil: Das winzige Weingut von Barbara Amthor (3,5 Hektar) in Heppenheim hat sich im Vinum schon nach der Premiere mit einem Sternchen platziert.
Apropos winzig: Vielleicht wird die Hessische Bergstraße schon bald nicht mehr das quantitative Schlusslicht der deutschen Anbaugebiete sein. Denn während das heimische Terrain leicht an bewirtschafteter Fläche zulegt, schrumpft das zweitkleinste Weinbaugebiet Mittelrhein immer weiter, schreiben die Autoren im Eichelmann.
Ob Letzter oder Vorletzter: In puncto Qualität stellen die Verkoster der Region ein gutes Zeugnis aus. Die Spätburgunder von Schloss Schönberg seien die besten Rotweine, die man von der Hessischen Bergstraße jemals im Glas gehabt habe. Bei den Weißweinen wird der klassisch-traditionelle Riesling immer mehr von Grau- und Weißburgundern sowie vom Chardonnay in Bedrängnis gebracht.
Das Ranking fällt ähnlich aus wie in Vinum: Griesel on top mit vier Sternen („famose Kollektion“), dahinter das Schwesterweingut Schloss Schönberg mit dreieinhalb und Simon-Bürkle („eine sichere Bank“) mit drei Sternen. Rothweiler hat sich mit beständiger Güte auf zwei Sternen eingerichtet, dazu gesellt sich Lisa Edling mit einer „überzeugenden Kollektion“, die man auch der Bergsträßer Winzer eG mit Sitz in Heppenheim attestiert.
Wer suchet, der findet
Die Edelsüß-Könner der Bergsträßer Winzer eG in Heppenheim tragen zum guten Ruf des kleinsten Anbaugebiets bei. Barbara Amthor startet im Eichelmann mit eineinhalb Sternchen für ein durchweg gut bewertetes Wein-Portfolio.
Im alphabetisch gegliederten Eichelmann muss man viel blättern, um ins Ziel zu gelangen. Doch wer sucht, der findet. Im Eichelmann wird – wie auch in Vinum – Amthors natürlich hergestellter Schaumwein Petnat (Pétillant Naturel) aus Riesling und Kerner mit anerkennendem Applaus bedacht. Ein perlender Exot ist auch Hanno Rothweilers Sekt aus Lemberger und Merlot – eine vielleicht gewagte Mischung, die aber hervorragend ausgefallen und in beiden Guides entsprechend hoch bewertet wird. Positiv kommentiert werden auch die Sekte von Simon-Bürkle, wo man neben feinen Rieslingen und starken Rotweinen immer häufiger auch an der Schaumweinfront reüssieren kann.
Eine gewaltige Dynamik
„Die Rebsorten-Vielfalt ist legendär“, schreibt Vinum über das Anbaugebiet, das in diesem Jahr auffällig häufig nicht nur für die Sekte, sondern auch für seine Rotweine aus Rebsorten wie Spätburgunder, Syrah oder Cabernet Sauvignon gewürdigt wird. Sie gehören mittlerweile zu den „Aushängeschildern der Region“.
Unterm Strich zeigt sich, dass sich die bekannten Betriebe ihren Platz im gehobenen Mittelfeld sichern, während die perlende Spitze Griesel in ihrem Segment immer weiter abhebt und die kleinen Newcomer bereits beherzt und kreativ mit den Flügeln schlagen. Selten war die Dynamik in der regionalen Weinszene so gewaltig. Mit überaus positiven Effekten. Vor sechs, sieben Jahren fielen die Bewertungen in den nationalen Weinführern noch ganz anders aus. Der Sternenhimmel funkelt heute heller.
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