Bergstraße. Junge Menschen aus dem Kreis Bergstraße machten sich im Rahmen eines Workshops Gedanken darüber, wie sie sich Europa wünschen. Eingeladen zu der Veranstaltung unter dem Motto „Wir können Europa! Future Workshop der Bergsträßer Jugend“ hatten anlässlich des Europatages die Europa-Union Bergstraße gemeinsam mit dem Kreis.
Die Ergebnisse der Teilnehmer wurden am Abend im Haus am Maiberg in Heppenheim präsentiert. Landrat Christian Engelhardt plädierte in seiner Eröffnungsrede für einen differenzierteren Blick auf die Europäische Union (EU). Viele hätten im Lichte des Wahlergebnisses der Europawahl 2019 einen schnelleren europäischen Einigungsprozess gefordert. Damals wurden CDU und CSU vor allem von den jüngeren Wählern abgestraft und landeten bei weniger als 30 Prozent – für Engelhardt eine vorschnelle Schlussfolgerung. Seiner Meinung nach sei es gerade der Ruf nach mehr europäischer Integration gewesen, der vielen Parteien Stimmen gekostet haben könnte.
Konflikte um Zuwanderung
„Wir müssen die Menschen mit dem Herzen für Europa gewinnen“, betonte der Landrat. In der Politikwissenschaft sprechen Forscher in diesem Zusammenhang von einem Globalisierungskonflikt. Vereinfacht gesagt handelt es sich dabei um die Frage, ob die Bürger mehr Weltoffenheit präferieren (zum Beispiel in Form von Zuwanderung) oder eine Rückbesinnung auf nationale Werte bevorzugen. Letzteres käme einer strengeren Regulierung von Migration gleich.
Für Engelhardt, der vor wenigen Tagen auf der griechischen Insel Lesbos war, ist das Austarieren dieses Konflikts eine Gratwanderung. Zum einen spricht sich der Christdemokrat für „eine gemeinsame Flüchtlings- und Verteidigungspolitik“ aus, zum anderen plädiert er für einen besseren Schutz der Außengrenzen.
Ein schneller Kurswechsel in der europäischen Politik ist trotzdem nicht zu erwarten. Die Interessen von 27 Mitgliedsstaaten auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, erfordert Kompromissbereitschaft. Zudem ist der Einfluss von Lokalpolitikern begrenzt. Die Politik der EU wird vom Einstimmigkeitsprinzip geprägt. Das bedeutet, dass besonders in sensiblen Bereichen wie der Außen- und Sicherheitspolitik alle Mitgliedsstaaten eine gemeinsame Auffassung vertreten müssen. Darüber entscheiden wiederum die Staats- und Regierungschefs beziehungsweise die jeweiligen Minister. Das sorgte bei den anwesenden Jugendlichen für Kritik. Die jetzige Situation führe dazu, dass Beschlüsse des Parlaments von einzelnen Mitgliedsstaaten blockiert würden.
Unter der Leitung von Titus Möllenbeck, Referent für politische Erwachsenenbildung der Akademie Erbacher Hof, hatten die Teilnehmer des Workshops am Nachmittag Konzepte zur Zukunft der EU erarbeitet. Ein weiterer Kritikpunkt war die fehlende europäische Öffentlichkeit. 24 Amtssprachen erschweren eine „Gesellschaft mit gemeinschaftlichem Diskurs“, wie er von den Jugendlichen gefordert wurde.
Wunsch nach schneller Integration
Es war der Ruf nach einem schnelleren Integrationsprozess, der an diesem Abend durch den Saal hallte. Auch Wolfgang Freudenberger wünscht sich eine engere Verbindung der Mitgliedsstaaten.
Der Vorsitzende der Europa-Union Bergstraße hatte die Veranstaltung organisiert und sprach sich auf Nachfrage für die Einführung von transnationalen Listen aus. In diesem Fall hätten zum Beispiel Wähler aus Deutschland die Möglichkeit, für einen Kandidaten aus Frankreich zu stimmen. Einen Verlust der Bürgernähe fürchtet Freudenberger nicht. Man dürfe weiterhin für den regionalen Politiker votieren. Aber besonders in Grenzregionen könne die Stimme für einen Kandidaten aus dem Nachbarland die Freundschaft zwischen den Ländern stärken.
In dieser Hinsicht sprach sich der überzeugte Europäer auch für die Beibehaltung des Spitzenkandidaten-Prinzips aus. Zur Erinnerung: 2019 erlangte die Europäische Volkspartei, die zur Parteienfamilie der Christdemokraten gehört, mit ihrem Spitzenkandidaten Manfred Weber die meisten Stimmen.
Da der CSU-Politiker nicht das Vertrauen aller Staats- und Regierungschefs gewinnen konnte, schlugen diese dem Europäischen Parlament Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin vor. „Ich glaube nicht, dass sich die Parteien das noch mal gefallen lassen“, betonte Freudenberger mit Blick auf die damalige Intervention der Mitgliedsstaaten. Zwar wählt die Legislative den Kommissionspräsidenten, allerdings ist diese auf den Vorschlag des Europäischen Rates angewiesen, das Gremium der Staats- und Regierungschefs.
Die EU ist vielen zu kompliziert
Wer dieses Prozedere nicht auf Anhieb verstanden hat, ist in guter Gesellschaft. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen verstünde „nur wenig oder gar nichts von der EU“, zitierte Engelhardt das Ergebnis einer europaweiten Studie – für den Landrat ein Zeichen dafür, „wie herausfordernd die Zukunft Europas ist“.
Die Diskutanten des Abends waren über die EU hingegen bestens informiert. Und obwohl sie unterschiedliche Kritikpunkte am Staatenverbund äußerten, waren sie sich darüber einig, den europäischen Integrationsprozess vorantreiben zu wollen.
Was bei den Vorschlägen nicht vernachlässigt werden sollte: Bei den Teilnehmern des Workshops – darunter Schüler des Goethe-, Lessing-, und Litauischen Gymnasiums – dürfte es sich überwiegend um angehende Abiturienten gehandelt haben. Zudem wirkten Vertreter der politischen Jugendorganisationen an der Debatte mit. Schaut man sich die Sozialstruktur der Parteien an – Personen mit niedrigem Bildungsabschluss sind dort seltener vertreten –, kann nicht von einer repräsentativen Debatte gesprochen werden.
Möchten sich die Verantwortlichen ein umfassendes Bild über die Interessen der Generation Z machen, müssen sie auch diejenigen erreichen, die an diesem Abend nicht anwesend waren. Das könnte die größte Herausforderung für die Zukunft Europas sein.
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