Bergstraße. Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) steht wegen ihres Silvester-Videos auf ihrem privaten Instagram-Account seit dem Neujahrstag massiv in der Kritik – vor allem von den Hauptstadt-Medien und der Union, deren Vertreter ihren Rücktritt fordern.
Die 58-Jährige ist in Viernheim aufgewachsen, hier begann ihre politische Laufbahn. Und die Genossen vor Ort halten sich nicht nur mit Kritik zurück, die Rede ist vielmehr von einer oberflächlichen Empörungskultur. Daniel Schäfer, Fraktionschef der SPD im Stadtparlament, etwa sagt: „Die Kritik an ihr ist vollkommen überzogen.“ Der amtierende Bürgermeister dagegen reagiert mit deutlicher Kritik an Lambrecht.
Das Video – eine persönliche Botschaft – zeigt Lambrecht in der Silvesternacht in Berlin, wo sie unter freiem Himmel und vor der Kulisse von Feuerwerksraketen und dröhnenden Böllerschüssen unter anderem und dazu noch kaum hörbar sagt: „Mitten in Europa tobt ein Krieg.“ Nicht zuletzt diese Kombination aus Böllern und dem Kontext Krieg haben ihr beißenden Spott in den sozialen Medien eingetragen.
„Ich haue nicht in diese Kerbe. Ich ergreife Partei für Christine Lambrecht“, erklärt Norbert Hofmann auf Nachfrage dieser Redaktion. Viernheims Alt-Bürgermeister und Ex-Landrat des Kreises Bergstraße kennt Lambrecht, seit sie im Alter von 19 Jahren in die Kommunalpolitik gekommen ist.
„Wir erwarten von Politikern alles“
„Ich zolle ihr großen Respekt dafür, dass sie die große Bürde des Amts der Verteidigungsministerin auf sich genommen hat“, so Hofmann. Lambrecht war bis zur Bundestagswahl im September 2021 Justiz- und Familienministerin und hatte angekündigt, einem künftigen Kabinett nicht mehr angehören zu wollen. Das treffe zu, sagt Hofmann. „Aber Bundeskanzler Olaf Scholz hat sie – das weiß ich – in die Pflicht genommen. Das war nicht ihr Traum.“
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Der Alt-Bürgermeister will sich gar nicht erst auf eine Bewertung des Silvester-Videos einlassen. Ihm geht es um Grundsätzlicheres. „Wir erwarten von der Politik alles und halten von Politikern nichts“, sagt er. Hofmann will die Inhalte der Arbeit von Politikern bewertet wissen, nicht zuerst deren Auftreten. „Wenn ich etwas von zerzausten Haaren lese, beginnt bei mir schon der Verdacht.“ Lambrecht habe mit der Bundeswehr „einen Trümmerhaufen“ übernommen und sei gerade mal ein Jahr im Amt. „Und für ihre Integrität lege ich meine Hand ins Feuer.“ Sie habe nicht wie der Generalinspekteur gesagt, die Bundeswehr stehe blank da, sondern leise mit der Arbeit begonnen.
Für ein Urteil „zu weit weg“
Der amtierende Bürgermeister Matthias Baaß (SPD) sagt hingegen: „Es wäre besser gewesen, das Video zu löschen, als es zu veröffentlichen. Weder der Inhalt noch die Machart des Videos passen zum Rang der Verteidigungsministerin. Aber in unserer Welt gibt es weit wichtigere Themen.“ Allerdings habe das Erzielen von Klicks bei Teilen der Medien große Bedeutung. „Insofern finde ich die Kritik überzogen.“
Über Lambrechts Arbeit maße er sich indes kein Urteil an, er sei dafür zu weit weg. Sein Eindruck sei aber: „Es ist bislang nicht erkennbar geworden, wie die Zeitenwende bei den Verteidigungsaufgaben Schritt für Schritt umgesetzt wird.“
Für Fraktionschef Daniel Schäfer ist die Kritik nicht nur überzogen. Er ärgere sich maßlos über die Erregungs- und Empörungskultur, die sich immer wieder an Äußerlichkeiten entspinne. Auch er möchte die Ergebnisse politscher Arbeit im Mittelpunkt wissen.
Lambrecht habe mit ihrem Amt ein „absolutes Debakel“ übernommen, das der Krieg erst so recht ans Licht gebracht habe, so Schäfer. Und was ihn dabei noch mehr ärgere: „Die reflexartigen Rücktrittsforderungen aus dem Lager der Union. Zumal vor dem Hintergrund, dass das Verteidigungsministerium bis auf wenige Ausnahmen unionsgeführt war. Die Union trägt die Verantwortung für den Zustand der Bundeswehr.“ Davon abgesehen könne man sich natürlich fragen, ob dieses Video passend war.
Auch der er Co-Ortsvereinsvorsitzende der SPD, Michael Kosbau, hält die Reaktionen für weit überzogen. „Das Video ist handwerklich nicht gut gemacht, das kann jeder sehen.“ Er wehre sich aber dagegen, mit solchen Nebenschauplätzen Aufmerksamkeit zu erzeugen statt mit relevanten Themen. /sm
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