Viernheim. Soll Viernheim zur „heimlichen Hauptstadt Hessens“ werden und nach 1968 zum zweiten Mal einen Hessentag veranstalten? Diese Frage beschäftigt die Stadt aktuell. Chancen und Möglichkeiten, Bedenken und Unwägbarkeiten einer erneuten Ausrichtung des Landesfestes werden bei einer Podiumsdiskussion mit hessentagserfahrenen Gästen erörtert.
Darum geht’s: Der Hessentag ist seit 1961 eine jährliche Festveranstaltung, bei der sich verschiedene Regionen des Bundeslandes mit ihrem Brauchtum präsentieren können. Früher lief das über drei Tage, mittlerweile wird zehn Tage lang gefeiert. 2023 findet das Fest in Pfungstadt statt. Mitarbeiter der Stadtverwaltung, Mandatsträger der Kommunalpolitik, Vertreter der Vereine und Bürger haben nun im Bürgerhaus von ehemaligen Hessentagbeauftragten erfahren, was bei der Ausrichtung beachtet werden muss - und wie sich das Fest nachhaltig auf ihre Stadt auswirkt.
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Anke Hofmann, inzwischen Bürgermeisterin von Bad Hersfeld, hat 2019 den Hessentag als Beauftragte organisiert. Sie nennt das Landesfest „eine Marketingmaßnahme, die man sonst nicht finanzieren könnte“. Die Bad Hersfelder seien kritisch gewesen. „Aber es schweißt die Bürger zusammen, heute gibt es keine Stimme gegen den Hessentag.“
Hans Benner hat in Herborn die Hessentage 1986 und 2016 erlebt. „Wo kommen sonst Hunderttausende zusammen und feiern friedlich?“ fragt er rhetorisch in die Runde. Karl-Helmut Tepel berichtet aus Korbach, das die Hessentage 1997 und 2018 ausrichtete: „Wenn das beim ersten Mal nicht gut gewesen wäre, hätten wir das kein zweites Mal wiederholt.“ Der Bergsträßer Landrat Christian Engelhardt ist überzeugter Hessentag-Besucher: „Es ist ein tolles Fest - und die Kommunen gewinnen.“ Aus Bensheim und Korbach wisse er, wie sich die Stadt durch den Hessentag weiter entwickelt habe.
Viel Arbeit, aber auch viel Freude
Die Stadtverwaltung bindet die Gäste im Publikum digital ein, auf einer Onlineplattform können sie kommentieren oder auch abstimmen. Da liest man sofort negative Kommentare. „Nix“ halte man von einem Hessentag in Viernheim und hätte sich „mehr kritische Stimmen auf dem Podium“ gewünscht.
Torsten Herrmann, ehemaliger Bürgermeister der Stadt Bensheim (2014) und seit 2015 Hessentagbeauftragter des Landes, erklärt es: „Hätten Sie uns jeweils zu einem anderen Zeitpunkt vor dem Hessentag gefragt, hätten wir alle wahrscheinlich anders geredet und gefragt, welche Irre das entschieden haben.“ Der Hessentag mache viel Arbeit, vor allem für die Verwaltung, hinterlasse aber viel Freude.
Erster Stadtrat Jörg Scheidel sieht in einem Hessentag vor allem Möglichkeiten für die Stadtentwicklung: „Standort des alten Rathauses, Radschnellverbindung in die Nachbarstädte, neue Kita“, zählt er auf, „dazu kann der Hessentag gute Impulse liefern.“
Konkrete Beispiele zur Stadtentwicklung liefern die Gäste: neues Wohngebiet, Nahmobilität, Stadtarchiv in Bad Hersfeld, Bahnhof, Fußgängerzone und neues Rathaus in Korbach, Parkplätze und Sportstätten in Herborn. 6,5 Millionen fließen vom Land für infrastrukturelle Maßnahmen in eine Hessentagstadt. Zwei Millionen Euro bekommt der Ausrichter für die fünf Basis-Festmodule, alles andere entscheidet und finanziert die Stadt.
Vereine rücken näher zusammen und kooperieren
Die finanzielle Belastung für die Kommune hänge indes immer vom Konzept ab. Organisiert man Open-Air-Veranstaltungen mit bekannten Künstlern oder Konzerte in einer kleineren Sporthalle? Oder legt man den Fokus auf das gemeinsame Feiern aller Hessen? Alle Hessentag-Experten betonen: Man muss die Verwaltung und die Vereine einbinden. In der digitalen Umfrage, wie sie das Fest für Verbände, Vereine, Kirchen einschätzen, reagieren die Viernheimer eher zurückhaltend.
Im Feedback heißt es: „Kann man erst nach eingehender Diskussion mit den Mitgliedern bewerten“, „muss einen finanziellen Anreiz geben“ oder „kostenlose Arbeit für die Profilierung anderer“. Moderator Harald Hofmann spricht das Problem fehlender Ehrenamtlicher an. Das können die Gäste verstehen. Doch Vereine würden durch den Hessentag nicht nur näher zusammenrücken und kooperieren, sondern auch neue Mitglieder gewinnen. Kein Verein habe sich während des Hessentags finanziell oder personell überhoben.
Und man müsse weiterdenken, sagt Thorsten Herrmann: „Wenn jeder der 500 000 Besucher 20 Euro in Viernheim lässt, sind die auch erstmal in der Stadt…“ Die halbe Million Gäste in zehn Tagen sei vorsichtig gerechnet. Die Strahlkraft eines Hessentags reiche ungefähr 200 Kilometer weit.
In Bensheim wurden 2014 über 1,3 Millionen Besucher gezählt, Heppenheim hatte 2004 knapp eine Million. Stadtrat Scheidel sieht Viernheims zentrale Lage im Dreiländereck, mitten in der Metropolregion, als Vorteil. „Dann wäre Mannheim ein Vorort der Hessentag-Stadt Viernheim“, meint Landrat Engelhardt. Torsten Hermann aus der Hessischen Staatskanzlei gibt Viernheim den abschließenden Tipp: „Geben Sie eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, seien und bleiben Sie kritisch!“ Etwas Zeit bleibt: 2027 wäre der frühestmögliche Termin für die Ausrichtung des Hessentags. su/ü
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