Lorsch. Als Karolingerstadt mit dem Kloster Lorsch als UNESCO-Weltkulturerbe hat die Stadt eine besondere Verantwortung hinsichtlich der städtebaulichen Entwicklung. Es gilt, die Balance zwischen den vielfältigen Interessen von Tourismus, Innenstadtbelebung, wirtschaftlicher Entfaltung und Lebensqualität zu halten. Dazu hat die Entwicklungsgesellschaft Lorsch (EGL) in den vergangenen zwei Jahrzehnten seit ihrer Gründung 2001 viel beigetragen. Geschäftsführer Matthias Herbener und Projektleiter Tim Rückert sprechen über die Entwicklung und die Herausforderungen.
Gab es einen konkreten Anlass für die Gründung der Entwicklungsgesellschaft Lorsch vor 24 Jahren und welche Rolle spielte dabei die Wirtschaftsförderung Bergstraße?
Matthias Herbener: Zu Beginn der 2000er Jahre fehlte es Lorsch noch an qualifizierten Gewerbeflächen. Mit der Gründung der EGL wollten wir uns in die Lage versetzen, die weitere Entwicklung der Stadt selbst in die Hand zu nehmen. Damals ging es vor allem um die Entwicklung und Vermarktung des Gewerbegebietes „Im Daubhart“. Bei der Gründung im Jahr 2001 ist viel Know-how der damaligen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Mittlere Bergstraße in die EGL geflossen. Heute ist die Wirtschaftsförderung Bergstraße mit einem Anteil von zehn Prozent, neben der Stadt Lorsch, noch zweite Gesellschafterin der EGL, was sich in einer guten Zusammenarbeit widerspiegelt.
Wie hat sich das Aufgabenspektrum und die EGL in den vergangenen Jahren entwickelt?
Matthias Herbener: Das Aufgabenspektrum der EGL hat sich über die Jahre deutlich vergrößert. Neben der ursprünglichen Gebietsentwicklung kümmern wir uns heute unter anderem um die Bereiche Stadtmarketing, Existenzgründungen, Fachkräfte und Standortentwicklung. Im Bereich des Stadtmarketings sind wir mit Stephanie Walter bestens aufgestellt. Unsere Innenstadt steht vor den gleichen Herausforderungen wie viele andere Kommunen auch. Wir begegnen diesen Herausforderungen aktiv und haben hier große Erfolge vorzuweisen: Es haben sich inhabergeführte Betriebe angesiedelt und es gibt ein sehr gutes gastronomisches Angebot.
Aktuell können wir möglichen Interessenten keine Ladenflächen in der Innenstadt anbieten. Mit verschiedenen Events fördern wir die Innenstadtbelebung. Sei es die Schneemannverbrennung im Frühjahr vor der Torhalle mit verkaufsoffenem Sonntag oder der Lichterzauber im Herbst mit längeren Öffnungszeiten, der Geschäfte und der vom Verkehr befreiten Bahnhof- und Römerstraße. Der Wochenmarkt jeden Freitag vor dem Kloster fördert die Vermarktung lokaler und regionaler Produkte. Vor zwei Jahren haben wir den Lorscher Stadtgutschein eingeführt, der gerne genutzt wird und die Kaufkraft in Lorsch nachhaltig bindet. Bisher wurden bereits Gutscheine im Wert von über 75.000 Euro verkauft.
Tim Rückert: Die Erweiterung unserer Aufgaben hat sich auch in anderen Bereichen der Stadt positiv ausgewirkt. Als zentraler Ansprechpartner für den Standort Lorsch betreuen und unterstützen wir auch Existenzgründer. Wir helfen bei der Erstellung des Businessplans, bei der Suche nach möglichen Fördermitteln oder der Suche nach einer Immobilie. Mit der „Founders Lounge“, zu der wir am 27. Juni in das Palais von Hausen einladen, bieten wir allen Jungunternehmen oder solchen, die es werden wollen, die Gelegenheit, sich auszutauschen und zu vernetzen. Bereits seit über elf Jahren bieten wir im Coworking Lorsch Büroflächen für Lorscher Gewerbetreibende an. Aktuell sind alle Flächen vermietet. Bestandsunternehmen werden von uns bei der Suche nach Fachkräften und Auszubildenden unterstützt.
Dabei hilft das von uns aufgebaute HR (Human Resources)-Netzwerk für Personaler, aber auch die Lorscher Ausbildungsnacht, die wir im Frühjahr zum zweiten Mal veranstaltet haben. Lorscher Unternehmen öffnen ihre Türen und ermöglichen Jugendlichen den Einblick in die Arbeitswelt und mögliche Ausbildungsberufe. Mit 400 Besuchern und zwölf abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im vergangenen Jahr und rund 250 Besuchern und über 20 abgeschlossenen Verträgen in diesem Jahr ist das sowohl für die Jugendlichen als auch für die Unternehmen ein sehr erfolgreiches Format. Ganz neu sind die Lorscher Praktikumstage in Zusammenarbeit mit der Werner-von-Siemens-Schule.
Sechs Wochen lang besucht eine Hauptschulklasse an einem Tag in der Woche nicht den Unterricht, sondern schnuppert die Luft der Arbeitswelt. Insgesamt 43 Praktikumsplätze wurden dafür von Lorscher Unternehmen zur Verfügung gestellt. Ebenso neu ist die Messe für Arbeitssuchende, die kürzlich im Palais von Hausen rund 350 Interessierte mit 17 Unternehmen zusammengebracht hat. Das in Zusammenarbeit mit Neue Wege Kreis Bergstraße entstandene „Job-Dating“ war ein großer Erfolg.
Wie hat sich das auf die Entwicklung der Stadt Lorsch ausgewirkt?
Tim Rückert: Die positive Entwicklung von Lorsch lässt sich auch mit Zahlen belegen. Lag das Gewerbesteueraufkommen pro Einwohner 2006 bei 172 Euro (bei 12.750 Einwohnern), ist es 2022 auf 463 Euro (bei rund 14.000 Einwohnern) angestiegen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist zwischen 2011 und 2023 um 51,2 Prozent angewachsen. Es konnten viele mittelständische Betriebe angesiedelt werden, die in ihrer jeweiligen Branche sehr erfolgreich sind und attraktive Arbeits- und Ausbildungsplätze bieten.
Welches sind heute die größten Herausforderungen der EGL?
Matthias Herbener: Obwohl wir mitten in einem der wirtschaftsstärksten Räume Europas liegen, haben auch wir mit einigen Problemen zu kämpfen. Neben dem wirtschaftlichen Strukturwandel stehen auch die Kommunen vor großen finanziellen Problemen. Um die Balance zwischen Wachstum und Flächenverbrauch zu halten, ist verantwortungsbewusstes Handeln gefragt. In der aktuellen wirtschaftlichen Flaute profitiert Lorsch im Vergleich zu anderen Kommunen davon, dass wir nicht von einer Branche oder einem großen Unternehmen abhängig sind, sondern eine gute Mischung unterschiedlicher Größen und Branchen in Lorsch angesiedelt haben.
Sind die Grenzen des Wachstums in Lorsch erreicht und wie sieht die Zukunft der EGL aus?
Matthias Herbener: Wir haben in den vergangenen Jahren schon viel erreicht. Das Gewerbegebiet „Im Daubhart“ wurde erweitert und aktuell geht es darum, eine Fläche, die ursprünglich für den Umzug der Schön Klinik vorgesehen war, zum Gewerbegebiet zu entwickeln. Im Zuge von Nachverdichtung haben wir in Lorsch besonders auch das Thema Wohnraum im Blick. In den vergangenen Jahren konnten in Lorsch schon gut zehn Hektar zur Wohnfläche umgewidmet werden.
Aber die Verfügbarkeit von Flächen ist endlich. Dazu kommt, dass wir als Weltkulturerbestadt zusätzliche Bedarfe haben. Bei uns ist jeder Quadratmeter Fläche mit mehreren unterschiedlichen Interessen belegt, die alle berechtigt sind und abgewogen werden müssen. Generell kann ich mit Stolz auf die Arbeit der Entwicklungsgesellschaft und ihrer engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter blicken. js
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