Bergstraße. In der jüngsten Wahlumfrage zur Landtagswahl in Hessen kommt die SPD auf 20 Prozent. Für Christoph Degen ist es ein Jahr vor dem Votum allerdings noch viel zu früh, um solche Zahlen ernst nehmen zu können. „Wir schauen uns Statistiken erst kurz vor dem Wahlgang an“, so der Generalsekretär der Hessen-SPD beim Unterbezirksparteitag der Bergsträßer Genossen in Einhausen. Das große Ziel steht für den bildungspolitischen Sprecher der Landtagsfraktion aber schon heute fest: Die Sozialdemokraten wollen nach 24 Jahren Opposition wieder zurück in die Wiesbadener Staatskanzlei.
Die Frage der Kandidatenkür
Laut Degen wolle man spätestens Anfang nächsten Jahres die Personalentscheidung bekanntgeben. Der Name Nancy Faeser fiel in diesem Kontext nicht. Neben Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und dem stellvertretenden Regierungschef Tarek Al-Wazir (Die Grünen) hatte zuletzt auch die Bundesinnenministerin ihren Hut in den Ring geworfen. Der Grund dafür, dass die Sozialdemokraten sich mit der offiziellen Nominierung noch Zeit lassen, findet sich auch in Faesers Arbeit in Berlin. Ein früher Wahlkampf in Hessen würde ihre Arbeit als Kabinettsmitglied in der Bundesregierung beeinträchtigen. Daher wurde die offizielle Kandidatenkür auf 2023 verschoben. Ob die hessische SPD-Chefin nun Ministerpräsidentin werden soll oder nicht, wurde in Einhausen kein Thema.
Fest steht indes, dass die Sozialdemokraten in Volker Bouffiers Nachfolger Boris Rhein nur eine Übergangsphase sehen. Eine grottenschlechte noch dazu. Ein Neuanfang für Hessen sei mit ihm nicht zu erwarten, so Degen. Den werde es erst geben, wenn die CDU im Herbst 2023 von den Bürgern aus der Regierungsverantwortung abgewählt wird. Dafür sei es dann auch wirklich höchste Zeit, so der 42-Jährige aus dem Main-Kinzig-Kreis, der als Gastredner an die Bergstraße gekommen war.
Antworten auf relevante Fragen
Vor 67 Delegierten aus 22 Ortsvereinen hatte zuvor der Unterbezirksvorsitzende Marius Schmidt seinen Vorstandsbericht verlesen. In Zeiten von Inflation, Krieg und der andauernden Pandemie sei die Welt komplexer geworden, so der Lampertheimer Stadtrat, der zuletzt im November 2021 in seinem Amt bestätigt wurde. Er warnte aber davor, in einer krisengeschüttelten Phase das politische Tagesgeschäft zu vernachlässigen. Es gehe darum, den Blick weiter nach vorn zu richten und dafür jetzt die richtigen Weichen zu stellen.
Die SPD sei nach wie vor die Partei, die „Lust auf Zukunft“ mache. Auch in schweren Zeiten. Die Bundesregierung mache dies vor, so Marius Schmidt in der Mehrzweckhalle, wo er betonte: „Wir können Krise!“ Auch vor Ort müsse die Politik jetzt Antworten auf relevante Fragen liefern. Die Bergsträßer SPD hatte einige davon in Form von Anträgen und Thesenpapieren diskutiert und zur Abstimmung vorgelegt.
Unter anderem ging es dabei um sogenannte Übergewinne von Mineralölkonzernen im Kontext der Energiekrise in Folge des russischen Ukraine-Kriegs. Eine Sondergewinnsteuer soll die Profiteure des Tankrabatts zur Kasse bitten, nachdem die Spritpreise von den Rohölpreisen abgekoppelt wurden. Die Differenz geben die großen Konzerne zu einem großen Teil aber nicht an die Autofahrer weiter.
Die Bergsträßer Jusos fordern neben einer Steuer für alle Unternehmen, die vom Krieg profitieren, auch eine Verschärfung des Kartellrechts, um Preisabsprachen und Monopolbildungen am Markt zu unterbinden. Der Antrag wurde angenommen. Auch die Vorschläge der Arbeitsgruppen zu Bildungsgerechtigkeit, sozialem Zusammenhalt und Umwelt wurden ohne Gegenstimmen abgestimmt.
Die Krise könne auch eine Herausforderung sein, so Marius Schmidt, und auch ein Beschleuniger für technologischen Fortschritt. Prominentes Thema sei hier der Ausbau der Erneuerbaren Energien, der durch die weltpolitische Lage womöglich mehr Fahrt aufnehme als unter normalen Bedingungen.
Höhere Zuweisung für Kommunen
Auch der Anspruch einer Energieautonomie Deutschlands, um die Abhängigkeit von Importen zu minimieren oder aufzulösen, sei eine ureigene sozialdemokratische Idee, die laut Schmidt durch eine jahrelange Blockadepolitik der Unionsparteien immer wieder ausgebremst worden sei.
Außerdem plädierte er dafür, die Gemeinden im Kommunalen Finanzausgleich (KFA) besserzustellen. Die Schlüsselzuweisungen für kommunale Aufgaben müssten aufgestockt werden. Die erforderlichen Mittel dafür sollen aus dem Landeshaushalt bereitgestellt werden. Das wichtigste sei nun, den KFA so auskömmlich zu gestalten, dass die Kommunen ihre Aufgaben erfüllen können, ohne ständig die Hebesätze zu erhöhen. Die Städte und Gemeinden brauchten eine auskömmliche finanzielle Ausstattung, so der Vorsitzende. Ziel sei ein bedarfsgerechter Finanzausgleich, damit Kommunen zukünftig ihre Pflicht- und freiwilligen Aufgaben ohne Erhöhungen der Grundsteuer erledigen und zudem ausreichend in Infrastruktur investieren können.
Bezahlbaren Wohnraum schaffen
Als weitere drängende Themen nannte er den Fachkräftemangel und den Wohnungsbau. Das Angebot an sozial gebundenem und preisgünstigem Wohnraum sei im Kreis Bergstraße nach wie vor zu gering. Beim Thema Soziales dankte Schmidt dem scheidenden Kreisbeigeordneten Karsten Krug für dessen Arbeit. Krug ist Beisitzer im Vorstand und wird zum 1. August seinen Posten an Matthias Schimpf (Grüne) abgeben.
Dass auch der Unterbezirk die Finanzen im Auge behalten muss, betonte am Samstag Kassierer Reimund Strauch. Er bilanzierte ein dickes Minus im Haushaltsjahr 2021. Als Gründe nannte er unter anderem weniger Mandatsträger und damit weniger Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge sowie hohe Wahlkampfkosten und Mietausgaben für die SPD-Geschäftsstelle. Das kommende Jahr werde daher – ebenfalls mit Blick auf den Landtagswahlkampf – auch eine finanzielle Herausforderung.
Als Delegierte für den Bundesparteitag wurden in Einhausen Sven Wingerter und Josefine Koebe gewählt.
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