Weinheim. Auf einmal war es mucksmäuschenstill auf dem Gelände der einstigen Waschanlage in der Bergstraße. Dabei hatten die Obdachlosen, die dort zwischenzeitlich eingezogen waren, gerade durch ihre lautstarken Trinkgelage bei Anwohnern für Aufregung gesorgt. Aber als am Mittwoch der Tag X kam, an dem Polizei und Pächter zu dem Gelände ausrückten, um es zu räumen – da waren plötzlich alle verschwunden. Jedoch nicht spurlos.
Ungewollte Untermieter
„Anscheinend hat meine letzte Ansage Wirkung gezeigt“, sucht der Pächter nach einer Erklärung für das plötzliche Verschwinden seiner ungewollten Untermieter. Dabei waren die Ansprachen zuvor nicht von Erfolg gekrönt gewesen – weder seine noch die der Stadt. Doch nachdem die Waschanlagen-Gruppe bereits über das Wochenende geschmolzen war, war am Mittwoch keiner mehr da.
Etwas hat die Gruppe jedoch dagelassen: jede Menge Arbeit. Denn das Gelände war vermüllt. Menschliche wie tierische Hinterlassenschaften hätten dem Putztrupp einen starken Magen abverlangt. Die Unterkünfte – hier ein selbst gebauter Holzverschlag, dort ein Zelt oder nur eine Matratze – wurden mit der Kettensäge kleingemacht. Mit Besen und Schaufeln wurde der Müll auf dem Gelände zusammengetragen, um ihn abzutransportieren.
Zaun soll Obdachlose fernhalten
„Da waren jede Menge leere Flaschen – 75 Prozent davon Alkohol. Nur harte Sachen wie Jägermeister und Wodka, kein Bier“, erzählt der Pächter. Da war aber auch ein Sammelsurium an Kleidung, Gebrauchsgegenständen und sogar ein Fahrrad. Das habe jedoch keine Codierung aufgewiesen und werde vermutlich von niemandem vermisst. Und weil die Saubermänner sowieso schon dabei waren, wurde auch die Motorsense herausgeholt und das Grün auf dem Gelände geschnitten.
Der Pächter zeigt sich der Redaktion gegenüber optimistisch, dass nun Ruhe im Karton ist. „Das Gelände ist hermetisch abgeriegelt“, scherzt er. „Da komme selbst ich nur noch mit einem Werkzeugkasten rein“, sagt er wiederum im Ernst. Denn den Großteil des Areals nutzt der Geländebetreiber gar nicht – explizit nicht den Teil mit der Waschanlage. Er habe die Bauzäune, die in der Vergangenheit einfach beiseitegeschoben worden waren, verkettet und verdrahtet. Die Polizei habe ihm versprochen, dass sie auch in Zukunft ein Auge auf das Gelände werfen wird. Sollte doch noch etwas sein, bittet der Pächter um Hinweise aus der Nachbarschaft. Diese hatte in den vergangenen Wochen unter dem plötzlichen Zuzug zu leiden, wie Anwohner der Redaktion berichteten.
Dabei wurde ein ganzes Spektrum an Emotionen deutlich. Viele waren einfach nur genervt von den nächtlichen Ruhestörungen. Andere hatten Angst. So berichtete beispielsweise eine 29-Jährige, dass sie einen großen Umweg auf dem Weg in ihre Wohnung in Kauf nehme, um nicht an dem Gelände vorbeizumüssen. Die Menschen, die sich dort eingerichtet hatten, hielten auch die Polizei auf Trab. Vor allem, wenn sie Alkohol getrunken hatten, sorgten sie laut Polizeisprecher Philipp Kiefner für Ärger: bellende Hunde, laute Gespräche, Grölen oder Musik störten die Ruhe. Außerdem kam es zu kleineren Straftaten wie gegenseitigen Beleidigungen. „Wir können nur situativ aktiv werden und Platzverweise aussprechen“, so Kiefner vom Polizeipräsidium Mannheim vergangene Woche.
Unterbringung klappte nicht
Die Stadt unternahm einen Versuch, die Menschen in einer kommunalen Unterkunft unterzubringen. Das hat nicht funktioniert, so Rathaussprecher Roland Kern. Die Gründe, warum Menschen nicht in Notunterkünfte gehen wollen, sind laut Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit vielfältig. Eine Befragung im Rahmen der Wohnungslosenberichterstattung des Bundes zeigte: 27 Prozent der erfassten Personen ohne Unterkunft und 49 Prozent der verdeckt Wohnungslosen gaben an, noch nie eine Notunterkunft genutzt zu haben.
Als Gründe werden vor allem die Enge und mangelnde Privatsphäre genannt, zudem Erfahrungen mit Gewalt und Diebstahl. Mitunter spielen auch Hausregeln wie Alkohol-, Rauch- oder Tierverbote eine Rolle. Kommunen sind verpflichtet, obdachlosen Menschen eine Unterkunft anzubieten – und zwar dort, wo sich die Betroffenen aktuell aufhalten; ein Verweis in andere Städte ist nicht zulässig.
Die „ordnungsrechtliche Einweisung“ ist als kurzfristige Maßnahme gedacht, um akute Obdachlosigkeit zu verhindern. Notunterkünfte dienen dabei lediglich der Überbrückung, bis dauerhafter Wohnraum gefunden ist.
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