Region. So einige Autofahrer, die am 15. September 2023 am späten Nachmittag im Berufsverkehr auf der A 67 zwischen Lorsch und Darmstadt unterwegs waren, dürften sich an diesen Tag heute noch erinnern. Denn möglicherweise waren sie mittendrin, als sich ein heute 27–Jähriger auf der Flucht vor einer Polizeikontrolle slalomartig durch die Fahrzeuge schlängelte und schließlich auf der Standspur mit Höchstgeschwindigkeit an ihnen vorbeibrauste. Genau dieses „verbotene Kraftfahrzeugrennen“, wie diese Tat juristisch bezeichnet wird, hat der Angeklagte Karam S. vor dem Amtsgericht Darmstadt am Schluss auch gestanden. Bei der Verhandlung wurde vor allem durch zwei Polizeibeamte beleuchtet, was an diesem Tag vor etwa 1,5 Jahren geschah.
Ursprünglich ging es um eine verdachtsunabhängige Kontrolle
Einer der Polizeibeamten war mit einem Kollegen auf der Autobahn unterwegs, als ihnen in einer Baustelle in Höhe Parkplatz Forsthaus der Angeklagte in einem weißen Mercedes auffiel. Der gebürtige Frankfurter, der auch dort lebt, verhielt sich zu diesem Zeitpunkt, wie der Polizist berichtete, noch unauffällig. Kurz vor Pfungstadt versuchten sie Karam S. einer verdachtsunabhängigen Kontrolle zu unterziehen. Doch statt anzuhalten gab der Autofahrer beim Einschalten des Blaulichts Gas.
Da die Polizisten auf 150 bis 200 km/h beschleunigten – und sich der Angeklagte immer weiter entfernte – schätzte der Zeuge, dass der Verfolgte sich etwa im Bereich der möglichen Höchstgeschwindigkeit des Wagens fortbewegt haben muss: „Da es wegen der anderen Verkehrsteilnehmer zu gefährlich gewesen ist, konnten wir diese Geschwindigkeit nicht halten. In Höhe Darmstadt haben wir ihn dann verloren.“
Doch dann meldete sich kurze Zeit später die Leitstelle, wie der Polizist weiter aussagte, dass ein Zeuge beobachtet habe, wie ein Mann einen weißen Mercedes am Fahrbahnrand auf dem Zubringer von der A 5 zur B 672 kurz vor Griesheim abgestellt hatte und in den Wald gerannt sei. Tatsächlich stellte sich heraus, dass es sich dabei um das Auto handelte, mit dem der Angeklagte kurz zuvor geflohen war. Jetzt galt es für die Ermittler den Verdächtigen zu finden und da bekamen die Beamten Hilfe von verschiedenen Seiten. Zum einen hielten die Polizisten bei der Fahndung einen Taxifahrer an, der berichtete, dass er angerufen wurde, um hier in der Gegend einen unbekannten Fahrgast aufzunehmen.
Polizeihund Freddy stellt Täter nach zwei Anläufen
Zum anderen erhielten die Beamten tierische Hilfe von einem Polizeihund. Freddy ist spezialisiert auf sogenannte Warmfährten. Das bedeutet, der Hund reagiert unter anderem auf Bodenverletzungen. Das sind Veränderungen im Waldboden, wenn jemand läuft und dabei den Boden zusammendrückt. Diesen feinen Geruch können Hunde wie Freddy wahrnehmen und eine Fährte aufnehmen – auch ohne den Duft der gesuchten Person zu kennen. Tatsächlich nahm der Hund eine Fährte auf, die sich aber an einer Mauer an einem Sportplatz verlor. Danach kam eine asphaltierte Straße und damit war Freddy zunächst raus.
Dann wurde der Flüchtige aber kurze Zeit später von einer Polizistin von weitem gesichtet, woraufhin er aber wieder im Wald verschwand. Das war dann erneut die Chance für den Belgischen Schäferhund, doch noch Erfolg zu haben. Und genauso kam es: Freddy reckte irgendwann die Nase in die Höhe, nahm erneut die Fährte auf und konnte den Angeklagten im dichtbewachsenen Wald aufspüren, wie der Hundeführer im Zeugenstand den Ablauf der Suche wiedergab: „Der Flüchtige ließ sich daraufhin ohne Probleme festnehmen. Aber der Hund war so aufgeregt, dass er Erfolg hatte, dass ich zügig mit ihm weg musste.“
Grund für Flucht vor der Polizei war offenbar Cannabis-Konsum
Im Auto fanden die Ermittler nichts Illegales, er gehörte seiner Schwester. Es wurde aber schnell klar, warum der Mann das Fahrzeug anhielt. Er hatte einen Unfall, bei dem er mit dem Wagen gegen eine Betonleitwand gefahren ist. Dabei brach die Radaufhängung. Den Unfallort fanden die Beamten im Nachhinein , als sie die Strecke abfuhren, um mögliche Beschädigungen zu finden.
Bei der Vernehmung stritt Karam S. sowohl die Flucht vor der Polizei als auch die Unfallflucht noch ab. Wie die Polizisten berichten, litt er bei der Verhaftung unter Stimmungsschwankungen. Zunächst flehte er die Beamten an, dann zeigte er sich den Beobachtungen der Zeugen zufolge überheblich und dann auf einmal ungewöhnlich schreckhaft.
Nach der Aussage des forensischen Toxikologen Dr. Alexander Paulke von der Rechtsmedizin Frankfurt sei das unter anderem darauf zurückzuführen, dass der Angeklagte unter dem Einfluss von Cannabis stand. Das könnte auch die Fahrweise erklären. Der Sachverständige bezog sich in seiner Aussage auf die Blutwerte, aber auch auf das ärztliche Protokoll nach der Verhaftung, in der der Mediziner den Angeklagten als benommen wahrnahm, der offensichtlich unter Drogeneinfluss stand. Damit lautete sein abschließendes Gutachten, dass er eine cannabisbedingte Fahruntauglichkeit aufwies.
Das könnte auch der Grund sein, warum der Angeklagte überhaupt vor der Polizeikontrolle flüchtete, da er sich ja bis zu diesem Zeitpunkt nichts zu schulden kommen ließ – wobei das Motiv ohne Aussage des Angeklagten im Prozess nicht final geklärt werden konnte. Der Angeklagte ließ sich während der Verhandlung nicht ein – auch wenn ihn sein Anwalt Dr. Ulrich Endres mehrfach – auch ziemlich deutlich – ermahnen musste, Aussagen nicht zu kommentieren.
Am Ende kam es zu einer Verfahrensabsprache, in der sich das Gericht mit dem Staatsanwalt Alexander Lertes und der Verteidigung darauf verständigten, dass es bei einer Geldstrafe von unter 91 Tagessätzen bleibt, was bedeutet, dass das Urteil nicht in seinem Führungszeugnis erscheinen wird. Zudem stimmten beide Seiten einem Fahrverbot zu. Ein Führerscheinentzug war aufgrund der Verjährungsfrist nicht mehr möglich. Im Gegenzug gab der Angeklagte die Taten – also das verbotene Kraftfahrzeugrennen unter Cannabis-Einfluss und die Unfallflucht – zu. Sein Anwalt, der für den deutschen Staatsbürger sprach, ordnete die Tat als eine „vor Schreck unüberlegte Handlung“ ein. Zudem entschuldigte er sich im Namen des Angeklagten.
Dieses Geständnis und die Verfahrensabsprache machte eine Weiterführung der Verfahrens und damit weitere Zeugenladungen überflüssig. Das legte ihm der Richter Mathias Siebertz ebenso positiv aus, wie auch die Tatsache, dass er nicht vorbestraft ist. Karam S. hat Fachabitur, ist, wie im Prozess angesprochen wurde, wegen einer Erkrankung vorübergehend Bürgergeldempfänger und möchte bald eine Ausbildung beginnen. Der Richter betonte aber auch das rücksichtslose und gefährliche Verhalten.
Dementsprechend wurde er zu 90 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt, was einer Geldstrafe von 2700 Euro entspricht. Zudem erhält er ein Fahrverbot von drei Monaten und muss die Kosten des Verfahrens tragen.
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