Bergstraße. H. nahm das Urteil gefasst auf. Das Landgericht Darmstadt verurteilte den 46-Jährigen unter anderem wegen des schweren sexuellen Missbrauchs einer 12-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Es war ihm nicht anzusehen, ob er mit dem Urteil rechnete oder ob es ihn überraschte. Am letzten Prozesstag begleitete ihn einer seiner Söhne. Er saß im Zuschauerraum. Auch er ließ sich kaum etwas anmerken. Das Urteil - es ist noch nichts rechtskräftig - könnte auch enorme Auswirkungen auf sein Leben haben. Denn: H. ist der Ernährer der Familie. Seine Ehefrau ist herzkrank und arbeitet nicht. Die drei Kinder - eine Tochter und zwei Söhne - sind zwar volljährig, leben aber noch Zuhause und sind entweder in einer Ausbildung oder gerade auf der Suche nach einer Ausbildung. Die Familie lebt von dem Vollzeitjob des Vaters in einem Supermarkt, von Wohngeld und dem Kindergeld.
Staatsanwalt plädierte auf vier Jahre Haft
In seiner Urteilsbegründung folgten Richter Jens Aßling und die beiden Schöffen fast vollständig der Forderung des Staatsanwalts Dominik John, der auf vier Jahre plädierte. Aßling führte noch einmal zusammen, welchen Eindruck er von der Situation aufgrund der Zeugenaussagen der Polizisten und des betroffenen - inzwischen 14-jährigen - Mädchens, der Chatverläufe und der Videos gewinnen konnte. Er beschreibt das Mädchen als ein Kind, das keine herzliche und liebevolle Erziehung Zuhause genoss. Die Eltern würden nur arbeiten und hätten den Imbiss im Fokus, in dem sie H., der da als Putzkraft arbeitete, auch kennenlernte. Zeit für das Kind sei offenbar keine gewesen. Das bewies auch die Tatsache, dass das Mädchen ganz alleine mit dem Zug zum Landgericht Darmstadt fuhr, um ihre Aussage zu machen. Niemand begleitete sie.
H. hätte sich diese Umstände für seine sexuellen Interessen zunutze gemacht. Sie habe es wiederum genossen, dass jemand an ihr Interesse gezeigt hätte. Aßling betrachtet H. nicht als pädophilen Menschen. Es sei ihm nicht darum gegangen, dass sie 12 Jahre gewesen sei. Sie hätte auch 15 Jahre gewesen sein können. Aber: Sie war nun mal 12 Jahre alt und da gebe es Gesetze, die Kinder dieses Alters schützen sollen. Dass sie inzwischen sagt, dass sie nicht in H. verliebt gewesen sein soll und sie das alles nicht gewollt habe, das sieht der Richter etwas anders und wertet das als Schutzbehauptung, um das Geschehene besser zu verkraften.
Denn die Chatverläufe, die auch der leitende Ermittler an diesem Tag noch mal darlegte, zeigten durchaus, dass sie ihm sehr häufig geschrieben habe, wie sehr sie ihn liebte. Während er in den Gesprächen eher eine sexualisierte Richtung einschlug. Auch eindeutige Sticker, Emojis und sexualisierte Aussagen wurden verschickt - und das irgendwann auch von beiden Seiten.
Der Kontakt ging am Anfang von dem Angeklagten aus
Der Polizist legte aber dar, dass der Angeklagte im November 2023 - ab da ist es belegbar - derjenige war, der begann, ihr Avancen zu machen. Sie lehnte am Anfang ab. In einem Tagebucheintrag schrieb sie sogar, dass er ihr Angst machte. Aber dann merkte sie auch, wie sie sehr die Aufmerksamkeit genoss und lenkte ein. Es kam zu Aufeinandertreffen im Imbiss der Eltern, der sich im Kreis Bergstraße befindet, bei denen sie sich küssten, umarmten und er den Intimbereich des Mädchens anfasste. Sowohl in dem Imbiss als auch in seiner Wohnung sei zu Oralverkehr gekommen.
Auf die Frage des Richters, wie der erfahrene Kripo-Beamte die Situation einschätze, bewertete dieser: „Der Angeklagte war dann wohl von der Liebe etwas überrascht und vielleicht sogar überfordert. Meiner Meinung nach hatte er ein rein sexuelles Interesse.“ Der Polizist merkte zudem an, dass sie sich mit 12 Jahren vermutlich in einem emotionalen Karussell befand und auch dabei war, ihre Sexualität zu entdecken: „Da kannte sie auch noch nicht die Grenzen. Deshalb stehen Kinder unter 14 Jahren ja auch unter diesem besonderen Schutz des Gesetzes.“ Er beschrieb auch, dass das Mädchen ihn eher versucht habe zu schützen. Bei der Vernehmung sei sie sehr zurückhaltend gewesen.
Auch die Videos und Fotos auf dem Handy des Angeklagten wurden am letzten Prozesstag noch einmal thematisiert. Es wurden zwar Aufnahmen gefunden, die unter Kinderpornographie fallen - diese stünden aber im Kontext der Chatverläufe der beiden, wie der Kripobeamte erklärte: „Eine Sammlung von Kinderpornos haben wir beim Angeklagten nicht gefunden.“
Wegen des zweifachen Oralverkehrs - was als schwerer sexueller Missbrauch gilt - gibt es eine Mindeststrafe von zwei Jahren, Maximalstrafe wären 15 Jahre gewesen. Sowohl Staatsanwalt als auch das Gericht blieben sowohl mit der Forderung als auch mit dem Urteil am unteren Ende des Strafmaßes. Aßling begründete das, dem Staatsanwalt John folgend, damit, dass der Angeklagte von Anfang geständig war und so dem Mädchen eine lange und quälende Aussage erspart habe. Zudem sei das Mädchen zum Tatzeitpunkt fast 13 Jahre gewesen. Außerdem war der sexuelle Kontakt einvernehmlich und er ist nicht vorbestraft.
Der Rechtsanwalt Gerhard Dworschak hatte auf mildere Strafe auf Bewährung plädiert. Er hat sich dabei auch auf den kulturellen Hintergrund des Angeklagten berufen, der bis 2015 im Iran und in Afghanistan lebte, dort geboren und aufgewachsen sei. Dort seien Ehen mit 12-Jährigen nichts Ungewöhnliches und es gebe auch Knabenspiele - in denen sich Jungen als Mädchen verkleideten und es zu sexuellen Handlungen kommen kann. Dazu hat er in Deutschland und in den deutschen Medien erlebt, wie offen und liberal man hier sei. Da habe er sich schlicht keine Gedanken über das Alter des Mädchens gemacht. Das ließ der Richter allerdings nicht gelten, da H. lange genug in Deutschland gelebt habe, um zu verstehen, dass es falsch sei, mit einer 12-Jährigen sexuellen Kontakt zu haben. Zudem sei es auch im Iran und Afghanistan sicher strafbar, wenn ein verheirateter Mann mit der 12-jährigen Tochter seines Chefs anbandelt.
Der Staatsanwalt John sagte im Anschluss auf Nachfrage, dass er das Urteil für angemessen halte. Beim Verlassen des Saales kündigte Rechtsanwalt Dworschak an, dass er sehr wahrscheinlich Rechtsmittel einlegen werde. Das heißt, das Verfahren würde dann in die Revision gehen.
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