Justiz

46-Jähriger steht wegen sexuellem Missbrauch von 12-Jähriger vor Gericht

Der Angeklagte spricht von Liebe – das Mädchen sagt dagegen aus, dass sie den intimen Kontakt nicht wollte.

Von 
Angela Schrödelsecker
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Der Angeklagte muss sich seit Mittwoch vor dem Landgericht Darmstadt verantworten. © picture alliance/dpa

Bergstraße. H. ist ein eher kleiner, schmaler und unscheinbarer Mann. Begleitet von seiner 24-jährigen Tochter und seinem Anwalt betritt er am Mittwochmorgen den Sitzungssaal 13 des Landgerichts Darmstadt. Der 46-Jährige muss sich dem Vorwurf stellen, dass er ein 12 Jahre altes Mädchen sexuell missbraucht haben soll. Er lässt sich auf die Fragen des Richters ein. Ein Dolmetscher übersetzt von Deutsch auf Dari – auch wenn der Angeklagte die deutsche Sprache ganz passabel spricht. Er gibt sogar an, dass er in seiner Muttersprache ein Analphabet sei, aber Deutsch sogar so gut lesen und verstehen kann, dass er 2018 seinen Führerschein bestand.

Geboren wurde H. in Afghanistan, in der Nähe von Kabul. Als er eineinhalb Jahre alt ist, ging er mit seiner Familie in den Iran. Dort blieb er bis zur Scheidung der Eltern, als Jugendlicher kehrte er nach Afghanistan zurück. Er ging in keinem der beiden Länder zur Schule. In Afghanistan heiratete er und seine Tochter wurde geboren. Ein zweites Mädchen sei dort ums Leben gekommen. Er ging mit seiner Familie schließlich wieder in den Iran und dort wurden zwei weitere Söhne geboren.

2015 kam er mit seiner Frau und den drei Kindern nach Deutschland. Er beantragte Asyl, das gewährt wurde. Er machte einen Deutschkurs und hat inzwischen einen Vollzeitjob in einem Supermarkt. Nebenbei arbeitet er auch als Reinigungskraft auf Minijob-Basis. Er ist der Ernährer der Familie. H. erzählt, dass seine Frau eine Herzkrankheit hat, nicht arbeitet und sich Zuhause um die drei Kinder kümmert. Die ganze Familie lebt noch zusammen. Die beiden Söhne sind inzwischen 18 und 21 Jahre alt.

Mutmaßliches Opfer ist halb so alt wie seine älteste Tochter

H. wird vorgeworfen, dass er mit einem 12-jährigen Mädchen intim wurde – sie ist also gerade mal halb so alt wie seine Tochter, die im Zuschauerraum sitzt und versucht, die Anklagepunkte so gefasst wie möglich anzuhören. Der Staatsanwalt wirft ihrem Vater vor, dass er das betroffene Mädchen über einen Nebenjob in einem Schnellimbiss an der Bergstraße kennengelernt haben soll. Sie ist die Tochter des Betreibers. Sie hätten sich im Sommer 2023 angefreundet und täglich Kontakt über Telefon, SMS und Whatsapp gehabt. Schließlich sei es nach ein paar Monaten zu Umarmungen, Küssen und letztendlich zu Oralverkehr in seiner Wohnung gekommen. Sogar auf dem Bett der Tochter seien sie sich die beiden näher gekommen. Auch pornographische Inhalte sollen digital verschickt worden sein. Ein weiterer Vorwurf lautete, dass der Angeklagte zwei Jungs auf der Straße belästigt haben soll – einem der beiden soll er in den Schritt gefasst haben.

Der Angeklagte gibt die Vorwürfe zu

Zu der Tat selbst lässt H. seinen Verteidiger sprechen und gibt auf diesem Weg nahezu alles zu. Der Rechtsanwalt erklärt im Namen seines Mandanten, dass es sich um echte und aufrichtige Liebe gehandelt habe. H. sei sich nicht darüber bewusst gewesen, dass es falsch gewesen sei, eine 12-Jährige zu lieben. Er wisse das jetzt, bereue die sexuellen Handlungen, die stattgefunden haben, und schäme sich – besonders vor seiner Tochter, die jedes Detail mit anhören müsse. Der Verteidiger berichtet, dass es in Afghanistan vorkomme, dass 12-Jährige Mädchen mit älteren Männern verheiratet werden und auch sexuelle Handlungen stattfinden. Deshalb habe er sich über das Alter gar keine Gedanken gemacht. Zudem gäbe es in der afghanischen Kultur sogenannte Knabenspiele, bei denen Jungs als Mädchen verkleidet werden und es nicht selten auch zu sexuellen Handlungen komme. H. ist zwar verheiratet – das heißt, er beging Ehebruch, was in Afghanistan strafbar sei – aber er habe Deutschland als freies und liberales Land erlebt. Auch in den Medien würde das so vorgelebt. Aus diesem Grund habe er zunächst gar nicht verstanden, dass das alles falsch gewesen sei.

Zu dem weiteren Anklagepunkt, dass er einem Jungen auf der Straße in den Schritt gefasst haben soll, äußert sich der Angeklagte weder persönlich noch über den Anwalt. Hier wird das Verfahren vom Richter Jens Aßling – mit Einverständnis des Staatsanwalts und des Verteidigers – allerdings auch eingestellt. Grund ist, dass sich die Mutter des mutmaßlich geschädigten Kindes beim Richter gemeldet und erklärt hat, dass es für den Jungen eine große Belastung sei, wenn er vor Gericht über das Geschehene aussagen müsste. Um dem Kind das zu ersparen, und da die entsprechende Tat in Anbetracht der weiteren Vorwürfe beim Urteil kaum ins Gewicht fallen würden, entschied man sich – zum Wohle des Zeugen – diesen Anklagepunkt einzustellen.

Aßling fragt allerdings umso genauer nach, um zu verstehen, wie die Beziehung zwischen H. und der 12-Jährigen entstand. Der Angeklagte gab an, dass der Kontakt zunächst von ihr ausging und sie ihn auch immer wieder anrief. Das ist ein Bild, das das Mädchen zwar im Grundsatz in ihrer Aussage bestätigt, vor Gericht aber einen anderen Hintergrund beschreibt. Inzwischen ist sie 14 Jahre alt. Sie tippelt nervös mit ihrem Bein auf und ab, während sie versucht zu erzählen, was damals passierte. Aßling geht in seinen Fragen sehr behutsam vor, macht ihr klar, dass sie keine Schuld trifft. Die Schülerin gibt trotzdem knappe Antworten. Man merkt, wie schwer es ist fällt, darüber zu sprechen, was zwischen Ende 2023 und Juni 2024 geschah. Auf der einen Seite bestätigt sie, was sie bereits bei der Vernehmung der Polizei berichtet hat. Sie revidiert aber einen Punkt: Sie habe das alles eigentlich gar nicht gewollt – auch wenn sie damals etwas anderes gesagt hat. Sie erzählt, sie habe die Aufmerksamkeit von H., sein Interesse genossen. Ihre Eltern hätten nicht viel Zeit für sie, sie wären immer am Arbeiten. In H. sei sie nicht verliebt gewesen und bereue, was damals geschah. Alles begann nur, weil sie ihn „veräppeln“ wollte: „Ich war 12 Jahre, damals fand ich, dass das lustig ist. Heute sehe ich das anders“. Damit widerspricht sie ganz deutlich der Wahrnehmung von H., der dabei bleibt, dass sie verliebt gewesen seien. Die komplette Aussage über vergrub H. auch immer wieder sein Gesicht in seinen Händen.

Dann kam aber ein Moment, der den Prozessbeobachtern und auch Beteiligten den Ansatz einer Erklärung lieferte, warum das Mädchen offenbar die Nähe eines älteren Mannes suchte. Denn: Der Richter fragte am Schluss, wer sie zum Gericht begleitet hat. Und als Antwort kam von dem Mädchen nur: „Ich bin alleine da.“ Streit habe es mit dem Vater über das Geschehene nicht gegeben. Man habe einfach nie darüber gesprochen.

Videos zeigen, was zwischen beiden passierte

Was auch immer die Beweggründe für das Verhalten der beiden war: Es gibt Bilder, die einen Eindruck verschafften, wie die Aufeinandertreffen der 12-Jährigen und des Angeklagten abliefen. Sie hatte heimlich Videos von den beiden gemacht, die im Gericht gezeigt werden. Das war der Moment, in dem H. sich in den Zuschauerraum umdreht und seiner Tochter das Signal gibt, den Saal zu verlassen. Sie kam der Bitte nach.

Zu sehen waren verwackelte Handyvideos beziehungsweise Aufnahmen, die das Mädchen machte, in dem sie die Kamera versteckte. Der Ort war immer der Imbiss der Eltern. Man sieht, wie H. das Mädchen intim berührte, sie umarmte und küsste. Diese Videos wurden auf dem Handy des Mädchens von der Polizei gefunden. Die wurde übrigens überhaupt erst tätig, nachdem andere Kinder auf die Wache kamen, um zu melden, dass ein älterer Mann mit einer Gleichaltrigen zusammen sei.

Die Kripo-Beamtin erzählt im Zeugenstand, wie sie anschließend zur Schule fuhren und das Mädchen im Beisein einer Lehrerin befragten. Sie beschrieb die 12-Jährige als zurückhaltend in ihrer Aussage. Sie hätte zwar erzählt, was passiert sei, versuchte den Angeklagten aber auch zu schützen. Die Polizistin hatte den Eindruck, dass sie Gefühle für ihn hatte, aber auch ein Abhängigkeitsverhältnis zu H. bestand.

Eine Zukunft konnte sich H. trotz der Liebe, die er für die Minderjährige seiner Ansicht nach zum Zeitpunkt der Taten empfand, nicht vorstellen. Ihm sei schon klar gewesen, dass es nur etwas Vorübergehendes gewesen sei. Ob und was ihn diese „vorübergehende Liebe“ am Ende kostet, das wird das Gericht voraussichtlich am Freitag entscheiden.

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