Bensheim. Am dritten Verhandlungstag im Mordprozess gegen den 37-jährigen Wahid H. stand die zerrüttete Ehe im Mittelpunkt – und erstmals kam auch die elfjährige Tochter des Angeklagten per Videoübertragung zu Wort. Sie schilderte eindringlich, wie ihr Vater am 4. Dezember 2024 in Bensheim ihre Mutter mit Messern attackierte und ihr schließlich die Kehle durchschnitt. Seit Ende August muss sich H. vor dem Landgericht Darmstadt verantworten. Zum Auftakt des Prozesses schilderten bereits Seelsorgerinnen und Sozialpädagogen, wie sehr die Kinder unter ihrem Vater gelitten haben. Der zweite Verhandlungstag wurde von einem Nervenzusammenbruch des Angeklagten überschattet, die Sitzung musste abgebrochen werden. Der Vorsitzende Richter Volker Wagner stellte jedoch klar, dass ein Gespräch mit einem Psychiater keinen Krankheitsfall ergeben habe.
Auftritt mit rasiertem Bart
Wie an den beiden vorherigen Tagen betritt Wahid H. auch an diesem Montagmorgen den Saal im roten Hemd. Doch diesmal fällt eines sofort auf: Sein langer Vollbart ist verschwunden. Mit einem Augenzwinkern lässt er über den Dolmetscher erklären: „Damit Sie nicht glauben, Sie hätten Osama bin Laden festgenommen.“ Danach richtet sich der Blick des Gerichts wieder auf die Vorgeschichte: Eine Richterin vom Amtsgericht Bensheim berichtete, sie kenne H. bereits aus mehreren Verfahren – zwei wegen Sorgerecht und Umgangsrecht, eines wegen der Scheidung. Da H. die Scheidung nicht akzeptiert habe, musste die Ehe ohne seine Zustimmung aufgelöst werden. Die Richterin sprach von einer von Gewalt geprägten Beziehung, in der die Frau zunehmend unter Druck geraten sei.
Entscheidend sei der Sommer 2022 gewesen: Damals habe der Angeklagte die Pässe seiner Frau und der jüngsten Tochter bei einem Aufenthalt im Iran weggeworfen. Die Frau habe sich dort „gefangen“ gefühlt, ohne Chance zur Rückkehr. Erst nach 13 Monaten, im Oktober 2023, sei es ihr gelungen, nach Deutschland zurückzukehren. Leider ohne ihre jüngste Tochter, die sie wegen fehlender Papiere bei ihrer Familie zurücklassen musste. H. habe zu diesem Zeitpunkt Zweifel an der Vaterschaft des Kindes geäußert und behauptet, es könne von seinem Bruder im Iran stammen. Für ihn war das offenbar Grund genug, sich gegen die Scheidung zu wehren. Er habe gefürchtet, die Familie seiner Ex-Frau könne die Tochter im Iran töten, sollte er nicht offiziell als Vater auftreten.
Trotz dieser massiven Belastungen habe die Frau nach Einschätzung der Richterin immer wieder gezögert, endgültig einen Schlussstrich zu ziehen. „Sie sagte, sie könne sich wegen der Kinder vorstellen, zu ihrem Mann zurückzukehren“, so die Richterin.
Freundin berichtet von Gewalt
Eine Freundin der Getöteten, die sie seit dem 14. Lebensjahr kannte und 2023 in Deutschland wiedertraf, konnte im Zeugenstand am Montag ihre Augen kaum von Wahid H. abwenden. Unter Tränen schilderte die 34-Jährige, dass ihre Freundin von massiver Gewalt in der Ehe berichtet habe. „Sie hat durch die Schläge sogar ein Kind im Bauch verloren“, sagte sie aus.
Trotzdem habe die Getötete immer wieder betont, dass sie ihn noch liebe. Die Freundin habe sie gewarnt: „Er wird dich irgendwann töten.“ Und doch sei die Frau bis zur Scheidung im Juli 2024 in der Beziehung geblieben. Zudem habe H. gedroht, „etwas zu machen, dass die Kinder weder zu ihr noch zu ihm kommen“.
Der ältere Bruder des Angeklagten und dessen Ehefrau zeichneten ein anderes Bild. Beide sagten aus, H. habe seine Frau bei Sprachkursen unterstützt – entgegen der Darstellung in den Medien, er habe sie isoliert. Die Schwägerin erinnerte sich aber auch noch, dass die Getötete sie am Tattag anrief. Sie habe ihr anvertraut, H. wolle am späten Abend in der Wohnung in Bensheim vorbeikommen. „Ich habe ihr abgeraten, ihn reinzulassen“, sagte die Frau mit zittriger Stimme. Doch helfen konnte sie nicht. Sie war in Schifferstadt. Wenig später habe ihr der Bruder erklärt, es sei ein „Unfall“ passiert. „Aber ich habe nie an einen Unfall geglaubt“, so die Schwägerin.
Tochter schildert die Tat
Im Verlauf der Verhandlung war immer wieder die Frage aufgekommen, ob die älteste Tochter überhaupt aussagen könne. Eine Rechtspsychologin erklärte dazu, dass das 11 Jahre alte Mädchen aus ihrer Sicht reif genug sei, um vor Gericht gehört zu werden. Auf der einen Seite sei das für das Kind eine Möglichkeit, um sich von Schuldgefühlen zu befreien. Gleichzeitig warnte die Expertin jedoch, dass eine solche Vernehmung eine Retraumatisierung auslösen könne und das Risiko einer posttraumatischen Belastungsstörung bestehe.
Doch: Sie sagte in Form einer Videovernehmung aus. Vor der Kamera erklärte sie: „Ich möchte meinen Vater nicht kennen, er hat mein Leben versaut. Er soll schlimm bestraft werden.“ Sie berichtete, dass ihre Mutter am Tattag ein Telefonat mit dem Vater geführt habe. H. habe wieder mit ihr zusammenkommen wollen, doch die Mutter habe mit der Polizei gedroht. „Ich ahnte, dass etwas nicht stimmt, deswegen konnte ich nicht schlafen.“ Als sie später seine Schuhe im Flur entdeckte, sei ihre Angst bestätigt worden.
Das Mädchen schilderte, dass ihre Mutter ein blaues Auge hatte, das am Vorabend noch nicht da gewesen sei. Wenig später habe sie Schreie gehört. „Mama bat ihn aufzuhören.“ Dann habe der Vater zuerst ein kleines Messer geholt und auf die Mutter eingestochen. Anschließend habe er ein großes Fleischermesser genommen und ihr die Kehle durchgeschnitten. „Ich habe ihn angefleht aufzuhören, aber er hat mich nur weggestoßen.“ Gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder floh sie zum Nachbarn. „Ich habe zu Gott gebetet, dass Mama überlebt.“ Auf die Frage des Vorsitzenden, ob sie ihrem Vater noch etwas sagen wolle, antwortete die Elfjährige entschieden: „Nein.“
Am 16. September, wird der Prozess fortgesetzt. Am Nachmittag wird ein Urteil erwartet.
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