Sexuelle Gewalt

Missbrauch an Minderjährigen nimmt weiter zu

Immer mehr Kinder und Jugendliche werden Opfer - meist kommen die Täter aus dem nahen Umfeld. Wie man junge Menschen besser schützen kann.

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Auch in Hessen und im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Südhessen sind die Fälle sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen deutlich gestiegen. © Uwe Zucchi/dpa

Bergstraße. Zum ersten Mal hat das Bundeskriminalamt das Bundeslagebild „Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“herausgegeben. Die veröffentlichten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2022 und sind mehr als erschreckend: Im vergangenen Jahr wurden 17 168 Kinder unter 14 Jahren zu Opfern sexuellen Missbrauchs. Darunter sind häufig auch sehr junge Kinder: Wie die Daten zeigen, haben die Polizistinnen und Polizisten in fast jedem siebten Fall Opfer identifiziert, die noch nicht das sechste Lebensjahr erreicht haben. Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren stellte die Polizei im vergangenen Jahr 1211 Opfer fest.

Deutlich gestiegen sind 2022 den Zahlen des BKA zufolge Fälle der Verbreitung, des Erwerbs und Besitzes kinder- und jugendpornografischer Inhalte. Die Polizei registrierte demnach 42 075 Fälle mit kinderpornografischen Inhalten, 7,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum (2021: 39 171). Um 32,1 Prozent stieg die Zahl mit jugendpornografischen Inhalten auf 6746 Fälle (2021: 5105).

In den vergangenen Jahren sind weltweit und in Deutschland erschütternde Verbrechen im Bereich der Kinderpornografie und des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen aufgedeckt worden, zudem sind die Fallzahlen auch in Hessen massiv gestiegen, kann eine Pressesprecherin des hessischen Landeskriminalamtes auf Anfrage der BA-Redaktion bestätigen. „Die Dunkelziffer in diesem Deliktsfeld ist hoch - die Taten ereignen sich häufig innerhalb der Familie oder im sozialen Nah-Raum eines Kindes, nur ein Bruchteil kommt zur Anzeige.“

Erfasste Fälle sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige. © grafiKS Kai Segelken

Aufgrund der steigenden Fallzahlen in diesem Bereich wurde bei der hessischen Polizei im Oktober 2020 die „BAO FOKUS“ (Besondere Aufbau Organisation für fallübergreifende Organisationsstruktur gegen Kinderpornografie und sexuellen Missbrauch von Kindern) eingerichtet. In der BAO werden ausschließlich Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen bearbeitet. Hessenweit sind über 300 Mitarbeiter, davon rund 220 Ermittlerinnen und Ermittler, täglich im Einsatz. Die BAO ist organisatorisch im LKA Hessen angesiedelt. „Über den dortigen Führungsstab wird eine landesweite Koordination der fortlaufend stattfindenden Einsatzmaßnahmen gewährleistet. In jedem der sieben hessischen Polizeipräsidien wurde ein Regionalabschnitt gebildet - auch im Polizeipräsidium Südhessen“, erklärt die Sprecherin.

In der Polizeilichen Kriminalstatistik sind die Fallzahlen für Fälle sexualisierter Gewalt (13. Abschnitt StGB - Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung mit Filter „Opfer unter 18 Jahren“) gegen Minderjährige erfasst. Die Fallzahlen für Hessen und den Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Südhessen sind innerhalb des von dieser Redaktion angefragten Zeitraumes von fünf Jahren stetig gestiegen (siehe Tabelle). Die Fallzahlen von Besitz, Erwerb und Verbreitung von Kinder- und Jugendpornografie sind in diesen Fallzahlen nicht enthalten.

Missbräuche im Zusammenhang mit Kinder- und Jugendpornografie

Die Ermittlungsverfahren, die in der BAO bearbeitet werden, erreichen die Ermittler auf verschiedensten Wegen: Beispielsweise stellen Bürger Anzeigen auf Polizeirevieren oder über die Online-Wache auf der Homepage der hessischen Polizei. Teilweise entwickeln sich aus bestehenden Verfahren Folgeverfahren. In vielen Fällen erhalten die hessischen Ermittlungsbehörden Hinweise von Internetdienstleistern oder der halbstaatlichen US-amerikanischen Organisation „National Center for Missing and Exploited Children“ (NCMEC), die von Internetprovidern über Missbräuche im Zusammenhang mit Kinder- und Jugendpornografie informiert wird.

„Die Ermittler gehen jeder Verdachtsmeldung akribisch unter Anwendung aller im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten - präventiven und repressiven Maßnahmen aus dem hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) und der Strafprozessordnung (StPO) - nach“, versichert die Sprecherin. Die Maßnahmen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens reichen von Gefährder- und Gefährdetenansprachen über Durchsuchungsmaßnahmen mit entsprechenden Sicherstellungen und Beschlagnahmen bis hin zu Vorführungen sowie Vollstreckungen von Haftbefehlen.

Eine heterogene Täterstruktur

Die Täterstruktur im Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist heterogen, es gibt auf Täterseite kein Profil im Hinblick auf Herkunft und Bildungshintergrund. Sexuelle Gewalt findet laut Information des unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs des Bundesministeriums für Familie in etwa 80 bis 90 Prozent der Fälle durch Männer und männliche Jugendliche statt, zu etwa 10 bis 20 Prozent durch Frauen und weibliche Jugendliche.

Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche muss aber nicht immer von Erwachsenen ausgehen. Auch Jugendliche verüben sexuelle Gewalt oder zeigen übergriffiges Verhalten. Das belegen die Fallzahlen: 2019 wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik in Hessen beispielsweise 1003 Fälle von Erwerb, Besitz und/oder Verbreitung von Kinderpornografie erfasst. 40,2 Prozent der Tatverdächtigen waren jünger als 21 Jahre. Auch hier steigen die Zahlen jedes Jahr deutlich an: 2020 waren es 1449 Fälle (50,9 Prozent der Tatverdächtigen unter 21), 2021 wurden 2731 (49,9 Prozent jünger als 21 Jahre), 2022 wurden 3374 Taten erfasst, 46,2 Prozent der Verdächtigen waren jünger als 21 Jahre.

Minderjährige sind ebenso strafbar

Minderjährige Täterinnen und Täter stellen einen Sonderfall dar: Sie handeln teilweise aus Unwissenheit, etwa, wenn sie strafrechtlich relevante kinderpornografische Inhalte über soziale Medien oder Messenger unreflektiert verbreiten. Das Strafrecht unterscheidet allerdings nicht, wer die Inhalte versendet: Auch Jugendliche und Heranwachsende, die in der digitalen Welt ihre Sexualität entdecken, sexualisierte Fotos und Videos aus freien Stücken aufnehmen oder sie herunterladen und teilen, können sich strafbar machen.

Aufgrund der signifikanten Fallsteigerung gerade bei jungen Menschen haben das hessische Innenministerium und die hessische Polizei eine hessenweite Beratungs- und Hilfehotline zur Prävention und Aufklärung über die Verbreitung von Kinder- und Jugendpornografie eingerichtet. Seit Anfang 2022 können sich hilfesuchende Eltern und junge Menschen vertrauensvoll unter der Rufnummer 0800 / 5522200 an die Präventionsexperten der hessischen Polizei wenden.

Die hessische Polizei leistet zudem in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Stellen Aufklärungsarbeit. Etwa wurde in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kinderschutzbund, dem Landessportbund Hessen und anderen die Präventionskampagne „Brich Dein Schweigen - Hinter jedem Missbrauch steckt ein Gesicht“ zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt angestoßen. Im Zuge dessen wurde in sozialen Netzwerken und über Kinospots im Vorprogramm von Kinos über die Gefahren sexualisierter Gewalt und die Hilfeangebote informiert.

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Veröffentlicht
Von
Thomas Tritsch
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Mithilfe von fünf Schritten möchte die Polizei Erwachsene darin stärken, Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen.

  1. Wissen: Informieren Sie sich über Fakten und Risiken - Unkenntnis begünstigt Missbrauch.
  2. Offenheit: Machen Sie Missbrauch nicht zum Tabuthema - damit helfen Sie Opfern, sich anzuvertrauen.
  3. Aufmerksamkeit: Oft gibt es Signale für Missbrauch.
  4. Vertrauen: Vertrauen Sie Aussagen von Kindern. Sie erfinden selten eine an ihnen begangene Straftat.
  5. Handeln: Kümmern Sie sich um betroffene Kinder, holen Sie sich Hilfe und erstatten Sie Anzeige. Kinder können den sexuellen Missbrauch nicht beenden, sie brauchen die Hilfe von Erwachsenen.

Auf der Homepage der Polizei Hessen können Opfer von Straftaten oder deren Angehörige sowie Zeugen Informationen zum Opferschutz und polizeilichen Opferschutzberatungsstellen abrufen (https://k.polizei.hessen.de/7732360960). Des Weiteren findet sich dort auch der Hinweis zu „OBDAS“ (https://www.odabs.org/) der Online-Datenbank für Betroffene von Straftaten, mit der gezielt nach passenden nichtpolizeilichen Beratungsstellen und Hilfseinrichtungen gesucht werden kann. ame

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