Bergstraße. Der Mann am Piano gilt als „Impro-Professor“: Gerade erst hat Helmut Lörscher nach 33 Jahren Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik Freiburg sein Abschiedskonzert gegeben. Am Mittwochabend gastierte der Professor für Improvisation und Angewandtes Klavierspiel mit seinem Trio in der stimmungsvoll illuminierten Kirche St. Georg. Das Konzert im Rahmen des Bergsträßer Jazzfestivals war einmal mehr in das facettenreiche Maiway-Programm integriert, was auch dazu führte, dass ein weniger Jazz-affines Publikum – zumindest ein paar Takte lang – mit dieser Musik in Berührung kam.
Die Akustik in der Bensheimer Stadtkirche kam dem filigranen, kammermusikalischen Klang des Trios nur bedingt entgegen. Es kam darauf an, wo man saß. Erstaunlicherweise wirkten die malerischen bis narrativen Kompositionen Lörschers im mittleren bis hinteren Bereich des Schiffs plastischer und ausdifferenzierter als in den ganz vorderen Reihen. Am elaborierten Sound und der instrumentalen Klasse hat der Standort der Ohren aber nichts verändert: Gemeinsam mit Bernd Heitzler am Kontrabass und Matthias Daneck am Schlagzeug präsentierte der Jazz-Lehrer, Autodidakt und Improvisationskünstler Auszüge aus dem Programm „Triosonate – From Bach to Now“.
Stücke wie „Silver City“, eine kristalline Hommage an Freiburg, und das kantig-klangschöne „Inventio“, das Lörscher auf Basis der „Invention Nr. 13“ a-Moll von Johann Sebastian Bach komponiert hat, gehörten zu den Perlen des Abends. In Bensheim war das Trio schon wiederholt zu Gast und wusste zuletzt beim „Maiway“ 2014 das Publikum zu begeistern.
Lebendige Improvisationen
Im Zentrum des diesjährigen Gastspiels stand die jüngst uraufgeführte „Sonata à tre“, die der klassischen dreisatzigen Sonatenform folgt und gleichermaßen viel Spielraum für lebendige Improvisationen ließ. Laut Lörscher bestand die Herausforderung darin, die traditionelle Sonatenarchitektur einschließlich ihrer motivischen Verarbeitungstechniken mit den Mitteln des Jazz-Vokabulars gleichsam zu übersetzen und auszuformulieren. Die wechselnden Tempi (schnell-langsam-zügig) des Stücks und die spannungsgeladenen atonalen Passagen boten für aufgeschlossene Ohren Hörgenuss in Reinform. Immer wieder gelingt es dem Ensemble, satztechnisches Raffinement, polyphone Techniken und thematische Brüche in spielerischer Leichtigkeit und jazziger Attitüde zu servieren. Das Publikum erlebte geistreich-virtuose Reflexionen zu barocker Kontrapunktik in der Sprache des modernen Jazz.
In der Komposition „Zwei Ströme“ vereinte das Trio arabische ungerade Rhythmen mit europäischer Spätromantik und geschliffener Jazz-Harmonik. In „Bolero Italiano“ fusionierte der zweite Satz aus Bachs Italienischem Konzert mit afrokubanischen Beats zu einer eleganten Jazzballade von hohem Farbenreichtum und mit den überraschenden Wendungen, für die der Improvisations-Künstler bekannt ist.
Im Verlauf internationaler Live-Auftritte ergab es sich das interessante Ritual, die obligatorische Zugabe auf besondere Weise zu gestalten: Als Soloimprovisation des Pianisten über ein spontan vom Publikum gegebenes Thema. Als Beispiel servierte er das James Bond-Thema nach Mozart.
Auch in Bensheim beschloss dieses Klangexperiment einen kurzweiligen Abend mit anspruchsvollen Arrangements in einer Tonsprache, die ein hohes Maß an Konzentration und Zuwendung erfordert. Wer sie einließ, wurde mit akustischen Traumreisen von hoher assoziativer Qualität belohnt.
Als künstlerischer Leiter des Bergsträßer Jazzfestivals begrüßte Bruno Weis zahlreiche Gäste, die am Mittwochabend in St. Georg einen schönen Ruhepol im quirligen Bensheimer „Maiway“-Trubel fanden und genossen.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/region-bergstrasse_artikel,-bergstrasse-kammermusik-jazz-war-ein-hoergenuss-fuer-aufgeschlossene-ohren-_arid,2085840.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html