Bensheim. Kurz vor Mitternacht im Bürgerhaus, Zeit für die großen Hymnen: „Rockin’ in the Free World“ intonieren DNS und im Saal wird gehüpft, mitgegrölt und mal kurz das Feierbiest in sich wiederentdeckt, das durch die Pandemie mitunter ein kümmerliches Dasein zu fristen hatte. Neil Young, der den Song 1989 auch als Kritik an der Regierung von Georg H. W. Bush veröffentlichte, hätte der energiegeladenen Gesamtperformance sicherlich ein leichtes Kopfnicken abgewinnen können. Besonders nach harten Corona-Jahren für Kunst und kollektive Kulturgenüsse.
Aber die Menschen sind bekanntlich nicht nur Herden-, sondern auch Gewohnheitstiere. Wer daher einmal beim Musikfestival Maiway mit Bändchen am Arm, guter Laune und einer Tour entlang des fachmännisch auf den Asphalt gepinselten roten Strichs erlebt hat, wie sich die Bensheimer Innenstadt in ein riesiges Open-Air-Konzertgelände transformiert, der lässt sich kaum zweimal bitten.
Die Stadt lebte und bebte
Am Mittwoch vor Christi Himmelfahrt hieß es – wie schon vor der virusbedingten Zwangsisolation: ab in die Mitte und das in Massen. Klug komponierte Veranstaltungsformate mit kreativen Ausbrüchen, die selbst Partymuffel von der Couch zerren, bleiben eben das beste Förderprogramm für eine ansonsten chronisch geplagte Innenstadt. Aber das sollte an einem kühlen, aber trockenen Mai-Abend, bei dem das Aperol-Glas gefühlt schon mal an der Hand festzufrieren drohte, kein zentrales Thema sein.
In der Fußgängerzone und seinen Rändern war die Stimmung ausgelassen, nach ersten Erkenntnissen friedlich, die Stadt lebte, und so manche Location bebte – siehe Bürgerhaus. Dort zimmerten DNS vor hunderten Fans ihr bewährtes Coverprogramm ins runderneuerte Gemäuer, dass man froh sein konnte, nicht mehr im alten Sanierungsfall stehen zu müssen. Doch nicht nur in der größten Spielstätte brannte die Luft, im PiPaPo-Kellertheater gab es ebenfalls eine Portion Rock auf die Ohren.
Wer frischere Luft bevorzugte, unternahm einen kleinen Ausflug ins Grüne und ließ sich von The Groove Generation im Stadtpark zu leichtem Hüftwackeln und Mitklatschen animieren. Vor der Bühne war es traditionell kuschelig, am Einlass kümmerten sich die privaten Ordnungskräfte um einen geregelten Zustrom und versprühten ab und an einen strengen Hauch Berliner Berghain. Aber letztlich kam jeder rein.
Eine wunderbare Atmosphäre verströmte zudem der Hof hinter der Hospitalkirche, in dem Stir It Up mit ihrem groovenden Sound einen lässigen Abend einläuteten, den man auch zwischen mittelalterlichem Sakralgebäude und abrissreifen Hospitaltrakt ausschließlich hätte verbringen können.
Ohnehin mangelte es Maiway wie immer nicht an Auswahlmöglichkeiten für die persönliche Playlist, die kein Streamingdienst besser und authentischer lokal zusammenstellen könnte. Wer die Hospitalkirche passierte, konnte sich ein paar Meter entfernt im Café Schmitt mit dem einzig wahren Bergsträßer Schlagerkönig Rico Bravo in die Klassiker der deutschen Schlagerszene stürzen.
Oder blieb im Jardin bei Reymann hängen (nie eine verkehrte Wahl), schaute im Jugendzentrum vorbei, wo ein Mini-Festival dem Nachwuchs eine Bühne bot, versackte kurz im Mabs bei feinem Rockcover, rappelte sich wieder auf und entspannte bei geschmeidigem Jazz der Maiway-Stammgäste Members Only Group.
Das Musikfestival, 2003 von Thorsten Zanger und Harry Hegenbarth initiiert, seit 2008 von Hegenbarth mit seinem Showmaker-Team alleine orchestriert, besitzt eine Strahlkraft, die weit über Bensheim hinausgeht – und das nicht nur, weil die Stadtkirche als traumhafte Projektionsfläche weithin sichtbar illuminiert wird. Im Inneren des Gotteshauses präsentierte das Helmut-Lörscher-Trio sein neues Programm vor vollem Haus im Rahmen des Bergsträßer Jazzfestivals (separater Bericht folgt) – während das Publikum nicht nur dem jazzigen Vortrag lauschte, sondern ebenso damit beschäftigt war, die Lichtspiele mit dem Handy einzufangen.
Maiway ist mittlerweile aber viel mehr als nur ein Musikfestival mit in diesem Jahr 41 Bands und 26 Bühnen. Der kleine Nachtmarkt auf dem Marktplatz mit regionalen Anbietern und die kulinarische Vielfalt jenseits von Kirmes-Gewohnheiten bringt weiteres Flair und untermauert den Anspruch, den Hegenbarth und seine Mitstreiter haben: beste Unterhaltung auf hohem Niveau zu liefern.
Ein feines Rezept
Das Rezept verfeinern sie dabei jährlich, selbst die halbdigitalen Corona-Formate hatten das gewisse Etwas. Die 21. Auflage jedenfalls enttäuschte die hohen Erwartungen nicht.
Maiway mobilisierte die Massen und die erleben beim Bummel entlang des roure Schdrisch sogar kleine Erweckungsmomente, wenn der experimentelle Jazz den Ohren mehr schmeichelt als gedacht oder die Coverversion von Zombie leise ins Mikro gehaucht keine Fluchtreflexe auslöst – anders als bei „Atemlos“, das man höchstens in einer Speed-Metal-Variante ertragen könnte.
Was ausdrucksstark in Erinnerung blieb an jenem Mittwochabend, war darüber hinaus die Verschmelzung von Tanz und Gesang im Parktheater, erstklassig auf die Bühne gebracht von den Nowak Sisters samt Band und der Formation Invisible des VfL Bensheim. Von Adele ging es zu AC/DC, vom Publikum gab es Begeisterungsstürme und das Fazit: Allein diese Show war das Eintrittsgeld wert.
Maiway hat Bensheim mal wieder Beine gemacht – und der Stadt einen zauberhaften Abend beschert.
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