Gesundheit

Ist das Smartphone schuld? Immer mehr Kinder brauchen eine Brille

Mehr als ein Drittel aller Kinder sind kurzsichtig, Tendenz steigend. Augenarzt Armand Benke aus Weinheim erklärt, welche Rolle das Smartphone wirklich spielt und wie Eltern vorbeugen können.

Von 
Philipp Klische
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Etwa einer von drei Heranwachsenden auf der Welt ist kurzsichtig – und künftig werden es noch mehr sein. © Adobe Stock

Weinheim. Seit drei Jahrzehnten steigt die Kurzsichtigkeit bei Kindern an. Weltweit hat sich der geschätzte Anteil seit den 1990ern bis heute von knapp 25 auf etwa 35 Prozent erhöht, jedes dritte Kind ist also betroffen. Bis 2050 könnte sich der Anteil auf 40 Prozent erhöht haben. In Deutschland sieht die Lage noch etwas milder aus: Nach jüngsten Ergebnissen liegt der Anteil der kurzsichtigen Kinder hierzulande bei elf bis zwölf Prozent.

Der Weinheimer Augenarzt Dr. med. Armand Benke erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, was die Krankheit vorantreibt und wie man sich bereits in jungen Jahren davor schützen kann. Kurzsichtigkeit – auch Myopie genannt – ist eine häufige Sehschwäche, bei der das Auge Lichtstrahlen nicht korrekt auf der Netzhaut fokussiert. Stattdessen wird das Bild vor der Netzhaut abgebildet. Dies passiert meist, weil der Augapfel zu lang ist oder die Brechkraft des Auges zu stark ist. Das führt dazu, dass weit entfernte Objekte unscharf erscheinen, während nahe Objekte klarer wahrgenommen werden.

Es kann jeden treffen

Grundsätzlich ist niemand davor geschützt, eines Tages eine Sehhilfe zu benötigen – sei es wegen Kurz- oder Weitsichtigkeit oder wegen Augenerkrankungen. „Gerade, wenn die eigenen Eltern eine Brille tragen, haben Kinder ein erhöhtes Risiko“, sagt Benke. Oft fällt eine Kurzsichtigkeit bereits im Grundschulalter auf – mit fünf, sechs oder sieben Jahren. Die Entwicklung beginnt jedoch häufig schon früher, ohne dass Eltern oder Kinder etwas bemerken.

Das Auge besitzt zwar gewisse Kompensationsmechanismen, um die Veränderungen auszugleichen, doch mit zunehmender Augenlänge setzt sich der Prozess fort. Einmal kurzsichtig, bleibt man es fürs Leben: „Zurückbilden kann sich das nicht“, betont Benke. Und das Problem endet nicht bei dicken Brillengläsern – ein stark verlängertes Auge erhöht das Risiko für Netzhautlöcher, -ablösungen oder bleibende Schäden an den Fotorezeptoren.

Kurzsichtigkeit bei Kindern

Die Erkennung von Kurzsichtigkeit im Säuglingsalter gestaltet sich als herausfordernd, da betroffene Kinder ihre Sehprobleme meist nicht verbal äußern können.

Dennoch können bestimmte Verhaltensweisen als Hinweise auf eine Fehlsichtigkeit gewertet werden: wiederholtes Halten von Gegenständen in unmittelbarer Nähe zum Gesicht, geringes Interesse an weiter entfernten Objekten sowie häufiges Reiben der Augen.

Neben genetischen Dispositionen spielen umweltbedingte Einflüsse eine zunehmende Rolle für die Verschlechterung der Augen. Insbesondere Naharbeit bei gleichzeitig wenig Zeit im Freien wird in Studien als Risikofaktor diskutiert.

Um Sehentwicklungsstörungen frühzeitig zu erkennen und zu therapieren, sind augenärztliche Vorsorgeuntersuchungen essenziell. Eine Diagnose kann einer Kurzsichtigkeit entgegenwirken. red

Ist das Smartphone schuld? „Je mehr Naharbeit, desto schlechtere Augen“, bringt es Benke auf den Punkt. Dabei ist es nicht allein das Smartphone, das in der Kritik steht. Auch Lesen, Basteln oder Schularbeiten beanspruchen die Augen auf kurze Distanz. Allerdings haben sich die Freizeitgewohnheiten in den vergangenen Jahrzehnten verändert: „Kinder verbringen weniger Zeit im Freien, dafür mehr mit Bildschirmen“ – und das oft in sehr kurzer Sehdistanz. „Man geht davon aus, dass das ein Anreiz für ein längeres Augenwachstum ist – und damit für Kurzsichtigkeit“, so Benke. Ob Smartphones schlimmer sind als Bücher? Wahrscheinlich nicht, sagt der Augenarzt. Eher hätten digitale Medien viele andere Beschäftigungen ersetzt, sodass Kinder noch weniger draußen in der Natur oder auf dem Bolzplatz sind.

Hinzu kommt: Bildschirmarbeit bringt zusätzliche Probleme mit sich – unabhängig von der Kurzsichtigkeit. „Wir sehen inzwischen vermehrt Störungen der Oberflächenbenetzung von Horn- und Bindehaut bei Kindern.“ Der Grund? „Sie blinzeln beim Blick auf den Bildschirm seltener, was zu Trockenheit führt.“

Genügend Tageslicht als Schlüssel

Vollständig verhindern lässt sich Kurzsichtigkeit nicht – doch Eltern können einiges tun, um das Risiko zu senken. Die wichtigste und wissenschaftlich unumstrittene Empfehlung: Kinder sollten mindestens zwei Stunden pro Tag bei Tageslicht verbringen. „Das ist einer der wenigen klaren Faktoren, bei dem wir wissen, dass er vorbeugend wirkt“, sagt Benke. Darüber hinaus gibt es Ansätze, die das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bremsen könnten – etwa spezielle Brillengläser oder die Gabe bestimmter Augentropfen. Für beide Verfahren gebe es Hinweise auf eine Wirksamkeit, erklärt Benke, doch sie seien weder wissenschaftlich abschließend belegt noch würden sie von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Außerdem müsse immer geprüft werden, wie gut ein Kind diese Behandlung verträgt. Für Benke steht fest: „Wir werden den Trend nicht aufhalten können. Aber wenn wir es schaffen, dass Kinder ihre Zeit ausgewogener zwischen Naharbeit und DraußenSein verteilen, haben wir schon viel gewonnen.

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