Kultur

Heppenheimer Festspiele feiern mit einer gelungenen Premiere ihren Neustart

Die neue Spielzeit wurde mit tosendem Applaus für die Inszenierung von Carl Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg“ im Amtshof eröffnet

Von 
Thomas Tritsch
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Bergstraße. Es ist eine Zeit, in der Theater kämpfen oder schließen. Umso bemerkenswerter, wenn eines wieder öffnet. Wenn auch nur als saisonale Bühne. Mit der Premiere von Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg“ haben sich die Heppenheimer Festspiele am Freitag glanzvoll aus der Pause zurückgemeldet. Mit einem spielfreudigen Ensemble, einer neu gestalteten Spielstätte und tosendem Applaus für die rundum gelungene Inszenierung eines Klassikers, der in den Kurmainzer Amtshof passt wie Riesling und Laugenbrezel.

Nach der Insolvenz des früheren Veranstalters im Jahr 2020, einer zweijährigen Corona-Pause, dem Umbau des Spielorts und einer zwischenzeitlich lähmenden Ungewissheit über die Zukunft der 1974 begründeten Traditionsreihe hat die neue Intendantin Iris Stromberger mit ihrem Kulturbetrieb „Theater-Lust“ aus Darmstadt die Regie übernommen und die Festspiele ein Stück weit neu interpretiert.

Schirmherr Helmut Markwort

Als Theaterraum ist der frisch renovierte Amtshof kompakter, aber auch luftiger und heller geworden. Das Publikum nimmt auf gepolsterten Bänken Platz und kann sich neuerdings sogar anlehnen, um sinnlich pralles Volkstheater mit Witz, Esprit und Tiefgang zu genießen. Die Resonanzen am Eröffnungsabend waren überwiegend positiv. Der Neustart war mit fast ausverkauftem Haus auch quantitativ erfolgreich. Jetzt kommt es darauf an, wie die Eigenproduktionen und musikalischen Gastspiele bis Ende August vom Publikum angenommen werden.

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Zuckmayers feuchtfröhliches Lustspiel aus dem Jahr 1925 funktioniert auch hundert Jahre später noch immer tadellos – zumindest dann, wenn sich eine Truppe so gefühlvoll und leidenschaftlich in das derb-realistische Geschehen hineinversetzen und die lebensprallen Figuren so vortrefflich zum Leben erwecken kann wie das 20-köpfige Ensemble unter der Leitung eines professionellen „Theatertiers“, wie Schirmherr Helmut Markwort Iris Stromberger in Heppenheim eingeführt hat.

Tief in der Region verwurzelt

Die Regisseurin und Schauspielerin ist eine erfahrene und tief in der Region verwurzelte Theaterchefin, die an ihrer ersten Spielzeit im Amtshof mit viel Motivation, unternehmerischem Schwung und künstlerischer Intensität gearbeitet hat. Unterstützt wird die neue Intendantin in Heppenheim von ihrem Ehemann Ingo Schöpp, der die Festspiele als Verwaltungsdirektor führt und unter anderem auch für den Bühnenbau zuständig ist. Mit zum Ensemble gehören außerdem ihr Sohn Fabian Stromberger und dessen Frau Elinor, die man beide aus Theater-, Film- und Fernsehrollen kennt.

Die Freiluftbühne hat an Reiz nichts verloren – auch wenn das Hoftheater im ersten Sommer noch kein Dach über dem Kopf hat. Die alte Zeltkonstruktion war nicht mehr zu gebrauchen, bis zum nächsten Jahr soll es eine Alternative geben. Doch solange das Wetter so gut mitspielt wie am Premierenabend, stört ein freier Himmel überhaupt nicht.

Die Zuschauer genossen die Fülle und Vielfalt des Lebens, die da auf der Bühne pulsierte: Da wird gesoffen, gerangelt und gebrüllt, gelacht, geliebt und geblutet. Die Geschichte vom Weingutsbesitzer Jean Baptiste Gunderloch, der seine Reben eigentlich zur Hälfte verkaufen und den Rest Tochter Klärchen vererben will und im Verlauf der Story erst noch lernen muss, „das Gras wachsen zu sehen“ und seinen Gefühlen schließlich freien Lauf lässt, ist ein zeitloser Schwank aus der rheinhessischen Weinlandschaft, der seinem Schöpfer 1925 den Durchbruch und den renommierten Kleist-Preis beschert hat. Obwohl das Stück zu Beginn von den staatlichen Theatern abgelehnt worden war.

Der naturalistische, barock-farbige Dreiakter spielt ohne genaue Ortsangabe im Herbst des Jahres 1921 in einem fiktiven rheinhessischen Winzerdorf mit Rheinblick. Parallelen zu Nackenheim sind kaum zufällig. Zwischen Wingert und Keller, Wirtshaus und Scheuer jagt der steife Akademiker Knuzius das begehrte Klärchen, die aber viel lieber den Neckarschiffer Jochen Most umgarnt, der ihr (die Trauben) aus der Hand frisst. Ein weinseliger Abend und die darauffolgende Nacht bringen dem zechenden Kleinbürgertum die nötige Klarheit und führt die richtigen Paare zusammen.

Die richtige Balance

Am Ende finden sich fast alle und freuen sich auf die kostbare 1920er Spätlese, die der Winzer noch in der Schatzkammer hat. „Da steckt auch das letzte Feuer vom vergangenen Herbst drein, das ist so recht ein Schluck für unsereiner, so ein reifgewordener, so recht zum Abschiednehmen“, doziert der Hausherr nicht ahnend, dass sich seine Zukunft in den folgenden Stunden ganz neu entwickeln wird.

Uli Pleßmann verleiht dem Gunderloch die richtige Balance aus liebenswürdiger Strenge und saftiger Dominanz: Wie er patriarchisch mit den Honoratioren und potenziellen Käufern umspringt und vor lauter Planungswut nicht die Zuneigung der blitzgescheiten Annemarie (Mosts Schwester: Paraderolle für Iris Stromberger) bemerkt. Mit Hilfe einer List gelingt es im Laufe des Abends, den volltrunkenen Knuzius auszuschalten und in dramatischer Zuspitzung Jochen mit Klärchen zu versöhnen. Und stets ist der im Hintergrund thronenden, im Bühnenbild geschickt angedeutete Weinberg das Symbol erdverbundener Vereinigung und sinnlichen Genusses: „Annemarie!! Der Weinberg guckt uns zu, sonst keiner!“

Treffliche Besetzung

In dieser fast schon operettenhaften, mit vielen Zuckmayer-Liedern getränkten Inszenierung bilden die Akademiker den nüchternen Gegenpart: deutschtümelnd, tendenziell antisemitisch und gefühlsarm. Fabian Stromberger brilliert als hochnäsige und egoistische Parodie eines Corpsstudenten mit Schmiss und Schiss in der Hose, der erst Klärchen (Elinor Stromberger) an die Mitgift will und nach vermeintlicher Befruchtung – Klärchens List – schnell kalte Füße bekommt. Doch die Inszenierung ist bis weit in die Nebenrollen trefflich besetzt: Beispielhaft genannt seien Uli Verthein als in jeder Hinsicht wuchtiger Wirt Eismayer, Stephan Müller als empfindsamer Rheinschiffer Most oder Robert Menke als bürokratisch-kalter Stadtschreiber Kurrle. Aber auch die Weinhändler und Kriegsveteranen (mit Berthold Mäurer als Chinajockel) erscheinen in ihrer karikaturhaften Charakterisierung und hohlen Phrasenhaftigkeit sehr nah am literarischen Vorbild.

Darstellerische Höchstleistungen

Inmitten dieser komischen Verzerrungen wird die Essenz von Zuckmayers Stück deutlich: Die triebhaft natürliche und letztlich allein selig machende Suche nach Heimat- und Naturverbundenheit muss sich gegen hohlen Materialismus und fades Pathos behaupten. Selbst der Wein als allgegenwärtiger Co-Protagonist des Stücks kann nur kurzlebige Sinnesfreuden bieten – richtig fröhlich wird dieser Weinberg aber erst durch zwischenmenschliche Gefühle. In diesem Spannungsfeld lädt auch Iris Stromberger ihr Bühnenpersonal zu solistischen wie auch zu Ensemble-Höchstleistungen auf. Hinzu kommt der rheinhessische Zungenschlag, der in Heppenheim zwar nicht in phonetischer Vollendung von der Bühne schwappt, aber als klangliche Hommage an den idyllischen Schauplatz mehr als ausreichend zur Geltung kommt.

Insgesamt eine enorm kurzweilige, dramaturgisch flott gebaute und wunderbar besetzte Inszenierung, die Zuckmayers Komödie mit viel Saft, Rückgrat und Nachhall zum Blühen bringt. Ein Theaterstück wie ein großer Schluck guten Weins.

In weiteren Rollen sind zu sehen: Saskia Huppert, Harald Mehring, Arno Huppert, Hans-Peter Wollmann, Margit Schulte-Tigges, Marie Eberhardt, Henrik Russinger, Thomas Sturmfels, Sebastian Muskalla, Karl Hamsch, Thomas Wilcke und Jutta Gallasch.

Freier Autor

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