Bergstraße. Der April war sprichwörtlich launisch und hat für meteorologische Gegensätze gesorgt. Ab Mai präsentierte sich das Jahr historisch nass. Der häufige Niederschlag hat unter anderem dazu geführt, dass der Boden im Weinberg durch den Einsatz der Fahrzeuge noch mehr als üblich verdichtet wurde. Im Juni und Juli hat die feucht-warme Witterung den Pilzdruck erhöht, insbesondere der Falsche Mehltau (Peronospora) wurde zu einem Problem. Die intensive Sonne im August, verbunden mit tropischen Temperaturen, hat die Gefahr von Sonnenbrand auf der Beerenhaut erhöht. Vor allem dort, wo nur noch wenig Blätterwerk vor einer direkten Einstrahlung schützt.
Es war ein turbulentes Weinjahr 2024. Nahezu überall, auch an der Hessischen Bergstraße mussten die Winzer mit Wetterkapriolen fertig werden. „Eine Herausforderung für die Betriebe“, kommentiert Sebastian Jäger vom gleichnamigen Bensheimer Weingut. Kaum hatte man den Falschen Mehltau einigermaßen im Griff, wurde durch das trocken-sonnige Wetter und die relativ hohe Luftfeuchtigkeit die Entwicklung des Echten Mehltaus (Oidium) begünstigt. Die hohe Luftfeuchtigkeit führt in kühlen Nächten zu Taubildung, was die Sporenkeimung fördert. Die hohen Tagestemperaturen wiederum beschleunigen das Myzelwachstum.
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Angesichts dieser Einflussfaktoren und den weiteren Wochen bis zur Hauptweinlese will Jäger momentan noch keine Prognosen wagen. „Die Situation ist aktuell schwer einzuschätzen.“ Die Qualität der Trauben habe sich je nach Lage, Boden und Sorte sehr unterschiedlich entwickelt, und Vorhersagen in punkto Erträge seien vier Wochen vor der Ernte ohnehin sehr vage.
Hoffen auf einen „goldenen Herbst“
Sein Kollege Johannes Bürkle aus Zwingenberg geht ebenfalls von einer Lese nach dem Winzerfest aus, das am 8. September endet. Vorher werden – wie immer – frühreifende Sorten und die Trauben für die Sektgrundweine geerntet. Der große Rest wartet auf den sprichwörtlichen „goldenen Herbst“, denn durch milde Sonnentage Anfang September würde die Traubenreife noch einmal zum Finale hin beschleunigt. Bliebe es dabei trocken, würden größere Ausfälle durch Fäulnis reduziert. Bei feuchtwarmer Witterung würde indes die Vermehrung der Kirschessigfliege gefördert, die vor allem rote Früchte kurz vor der Reife ansticht, um dort bei idealen Bedingungen ihre Eier abzulegen.
Für einige Bergsträßer Betriebe hat das Weinjahr bereits richtig mies begonnen: Die Weinberge in Groß-Umstadt (Kreis Darmstadt-Dieburg) am nordöstlichen Rand des Odenwalds wurden durch den Frost Ende April tödlich getroffen. Es gab örtlich Ausfälle von bis zu 100 Prozent. Lokal waren die Temperaturen auf nahezu minus 4 Grad gefallen – so tief wie in keinem anderen hessischen Weinbaugebiet.
Das geht aus einer Statistik des Weinbau-Dezernats am Darmstädter Regierungspräsidium hervor. Eine Rebe halte aber nur bis zu minus 2 Grad aus, heißt es von dort. Vor allem tiefliegende Gebiete, wo sich die kalte Luft absetzen kann, wurden stärker geschädigt.
Zentrales Problem der Bergsträßer Winzer war nicht die Kälte
Auch in Alsbach gab es hier und da Verluste zu verzeichnen. Der Odenwald, der die kalte Luft blockiert, hatte die meisten Weinberge des Anbaugebiets allerdings vor Minusgraden geschützt. Weil durch die Klimaerwärmung die Reben aber immer früher austreiben und dadurch das Risiko von Frost (bis zu den Eisheiligen im Mai) zeitlich ausgedehnt wird, müssen Winzer im Grunde jedes Jahr vor späten Frösten zittern.
Doch das zentrale Problem war nicht die Kälte, sondern die Nässe. Hanno Rothweiler teilt mit, dass die durchschnittliche Niederschlagsmenge eines normalen Jahres bereits Mitte August erreicht worden sei. Kurz: schon vor Beginn des Winzerfests hat es so viel geschüttet wie sonst das ganze Jahr über. Für Auerbach sind das rund 630 Liter pro Quadratmeter. In Heppenheim sind es noch mehr. Es gab so viel Regen wie seit drei Jahren nicht, sagt Rothweiler, der von einem „sehr speziellen Jahr“ spricht, was in einer 43-jährigen Winzer-Biografie schon ein gewichtiges Statement darstellt. Zwar seien die Böden durch den Regen mehr als genug mit Feuchtigkeit versorgt, doch es gibt auch eine Kehrseite der Medaille: Ein effizienter Pflanzenschutz wird unterbrochen, weil die Mittel zunächst eintrocknen müssen, um wetterfest zu sein. Für die Winzer sind ständige Regenintervalle daher ein Pokern mit den Wolken.
Aber auch bei der praktischen Bewirtschaftung der Weinberge hat der Niederschlag negative Auswirkungen: „Wir sind knietief im Schlamm gewatet“, so Hanno Rothweiler, der im unteren Emmertal in Auerbach ein 4200 Quadratmeter großes Jungfeld angelegt hat. Früher wurde diese eher dunkel-feuchte Nische in der Szene eher mit leichtem Naserümpfen kommentiert, so der Winzer, der dort heute gute Perspektiven für seine Weine sieht. Der Klimawandel hat auch seine Sonnenseiten.
Schwieriges Abwägen zwischen Belüftung und Sonnenschutz
Rothweiler bestätigt den hohen Pilzdruck, der im gesamten Anbaugebiet erkennbar ist. „Erst Peronospora, dann Oidium. Jetzt beides“, kommentiert er mit leichtem Galgenhumor.
Das nasse Wetter habe in der Pflanzenwelt eine wahre „Freude am Leben“ entfacht, aber leider auch bei Schadpilzen und anderen unbeliebten Kreatürchen, die im Weinbau bis ins Finale ein Wörtchen in Sachen Qualität und Ertrag mitreden. Der Winzer muss klug handeln. Muss entblättern, um den Rebstock zu belüften und die Trauben trocken zu halten. Doch ohne Laub fehlt der nötige Schatten, der die Beeren vor Sonnenbrand schützt. Es ist ein permanentes Abwägen und Entscheiden.
Das weiß auch Charlotte Freiberger-Rabold, die wie Rothweiler ebenfalls von einer Lese nach dem Winzerfest ausgeht. „Wir werden den Termin so weit wie möglich nach hinten schieben“, so die Winzerin aus dem Heppenheimer Familienbetrieb. Alles hänge nun davon ab, wie sich die nächsten Wochen wettermäßig entwickeln werden. Sonnige Tage und kühle Nächte ohne viel Regen wären das bevorzugte Szenario.
Auch für Weintrauben kann ein Sonnenbrand gefährlich werden
Momentan sieht es in den Freiberger-Weinbergen gut aus. Von schweren Unwettern, Stürmen und Hagel sei man verschont geblieben. Zuletzt hatte der Starkregen zwei Böschungen abrutschen lassen. Ohne größere Schäden für die Trauben. Doch die Beeren sind durch das viele Wasser teilweise schon so prall und die Struktur so kompakt, dass sie sich gegenseitig so stark drücken, dass die Gefahr eines Aufplatzens droht. Die Fruchthäute können auch durch die Perforierung des Oidiumpilzes aufplatzen und Saft austreten lassen. Dann kann sich die Grauschimmelfäule Botrytis cinerea bilden oder Sekundärpilze einnisten - und auch die Kirschessigfliege hat leichtes Spiel.
Es gibt viele Faktoren, mit denen die Winzer rechnen müssen. „Wir müssen ständig auf der Hut sein, es kann alles sehr schnell gehen“, so Charlotte Freiberger-Rabold, die ebenfalls eine Gefahr von Sonnenbrand erkennt – nicht nur für die Helferteams, die in diesen Tagen im Weinberg unterwegs sind.
Weil die Beerenhaut im Jahresverlauf relativ wenig Sonne gesehen hat, sei sie vor der Strahlung nicht ausreichend abgehärtet. Das ist dann etwa so, wie wenn man als bleicher Stubenhocker einen Tag ohne Lichtschutzfaktor am Strand brutzelt. An den Trauben sind Hitzeschäden deutlich erkennbar. Sie äußern sich durch eine rötlichblaue bis braune Verfärbung, eine welke Haut und das Eintrocknen der Beeren. Auch hier lauern Pilzkrankheiten und fliegende Schädlinge auf ihre Chance.
Für den Winzer bedeutet Sonnenbrand aber immer einen Verlust, denn hitzegeschädigte Traubenteile dürfen wegen der verzögerten Ausreife nicht zur Weinbereitung verwendet werden. Sie haben einen geringeren Zuckergehalt, eine erhöhte Säure und relativ mehr Gerbstoffe.
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