Gesundheitsserie

Chefärztin verrät, wie sich das Krebsrisiko senken lässt

Tumorzellen mögen keinen Brokkoli: Die Chefärztin der Frauenklinik am Kreiskrankenhaus Bergstraße Dr. Cordula Müller erklärt, wie jeder einzelne sein persönliches Krebsrisiko senken kann.

Von 
Angela Schrödelsecker
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Für Dr. Cordula Müller ist der Brokkoli ein heimisches „Super-Food“. © Thomas Zelinger

Interview. Frau Dr. Müller, kann Sport dazu beitragen, dass die Wahrscheinlichkeit sinkt, an Krebs zu erkranken?

Dr. Cordula Müller: Wir Experten sind der Meinung, dass gut zehn Prozent der Krebserkrankungen vermeidbar wären, wenn die Menschen sich mehr bewegen würden. Und dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen kräftigt Sport das Immunsystem. Es ist messbar, dass sich die T-Lymphozyten, die Killerzellen und auch die Immunglobuline vermehren - und das sind ganz wichtige Abwehrstoffe gegen Krebszellen. Sport ist auch gut für die Psyche, was auch messbar gut für das Immunsystem ist. Und tatsächlich bewirkt der Muskelaufbau selbst etwas. Man muss in diesem Zusammenhang das Thema Übergewicht ansprechen: Wie wir wissen, spielt eine zu hoher Insulinspiegel eine große Rolle. Der fördert das Wachstum von Krebszellen. Und Sport wiederum kann den Insulinspiegel absenken. Auch die Fettzellen werden durch Sport weniger –das hemmt die Bildung von Sexualhormonen, was die Entstehung von hormonabhängigen Tumoren, wie dem Prostatakarzinom oder dem Brustkrebs, zwischen 25 bis 30 Prozent je nach Krebsart reduziert.

Welche Art Bewegung und welche Dauer empfehlen Sie denn?

Müller: Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt drei bis fünf Mal pro Woche jeweils 30 bis 60 Minuten mit moderatem Training – da zählt auch Haus – oder Gartenarbeit dazu. Wichtig für einen positiven Effekt scheint zu sein, dass man 10 Minuten am Stück trainiert. Alternativ ist auch ein intensives Training von 75 bis 150 Minuten wöchentlich möglich. Wichtig ist es aber, die Menschen da abzuholen, wo ihre Konstitution und ihre Fitness ist. Auch die Nebenerkrankungen müssen berücksichtigt werden. Überforderung bringt auch nichts und man sollte für die Motivation eine Sportart wählen, die auch Freude macht. Man kann festhalten, dass selbst kleine Einheiten, wie ein Spaziergang, einen Effekt haben. Jeder Schritt ist ein wichtiger Schritt. Ideal wären drei bis fünf Mal die Woche Ausdauersport, zum Beispiel Schwimmen, Walken oder Fahrradfahren, und zusätzlich zwei Mal Kraftsport für den Muskelaufbau. Aber wenn man Draußen unterwegs ist: Wegen Hautkrebs den Sonnenschutz nicht vergessen.

Welche Ernährung mögen Krebszellen nicht?

Müller: Hier ist die Expertenmeinung, dass etwa 10 Prozent der Erkrankungen mit einer gesünderen Ernährung vermeidbar wären. Es gibt Daten, dass das vor allem auf den Dickdarm-, Brust- Gebärmutterschleimhaut- Prostata- und Speiseröhrenkrebs zutrifft. Ein Beispiel: Wir wissen, je weiter wir in den Norden Europas kommen, je fettreicher die Ernährung wird, desto mehr Brustkrebs gibt es. Auf der anderen Seite bekommen Japaner viel seltener Brustkrebs. Da könnte man ja sagen, das ist die Genetik. Aber das stimmt nicht.

Wenn Japaner nach Amerika auswandert sind und die nächste Generation die Ernährungsgewohnheiten der Amerikaner übernommen hat, dann haben sie das gleiche Brustkrebsrisiko. Also: Ernährung macht was. Dazu kommen natürlich auch Labordaten von Lebensmitteln. Da haben wir festgestellt, dass es anti-entzündliche, anti-virale, anti-bakterielle und tatsächlich auch krebshemmende Substanzen gibt. Dazu zählen die Polyphenole, die Anthocyane. Hier konnte im Labor sogar beobachtet werden, dass Krebszellen, die sich durch Bildung neuer Blutgefäße ausbreiten, gestoppt werden. Man muss deutlich sagen, es gibt keine Ernährung, die ausschließt, dass man Krebs bekommt oder der Krebs wiederkehrt.

Die Theorie, man darf kein Zucker essen und damit hungert man die Krebszellen aus, das funktioniert im Labor, aber nicht in der Wirklichkeit. Aber mit gesunder Ernährung, das ist die mediterrane Vollwertkost, hat man einen Effekt. Das sind die bekannten drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst am Tag, maximal 25 Gramm Zucker, wenig Fett und Kohlehydrate, nicht mehr als 500 Gramm rotes Fleisch pro Woche, und auf verarbeitetes Fleisch - wie Wurst - am besten verzichten. Bei Letzterem wissen wir aus Studiendaten ganz konkret, dass damit das Risiko für Dick- und Enddarmkrebs steigt.

Gibt es ein Krebs-„Superfood“?

Müller: Wir brauchen nicht das Superfood aus China, wie die Goji-Beeren, die vielleicht auch noch mit Pestiziden behandelt sind. Wir haben Superfoods bei uns und aus denen kann man auch noch viel herausholen. Wenn man Champignons noch zwei Stunden vor dem Verarbeiten in die Sonne stellt, haben sie das Doppelte an Vitamin D. Das krebshemmende Lycopin ist primär in der Schale von Tomaten. Wenn man durch das Kochen die Schale aufbricht, haben Sie einen höheren Gehalt an Lycopin. Und wenn Sie dann noch etwas Fetthaltiges wie Olivenöl oder Parmesan dazu essen, wird die Aufnahme noch verbessert.

Nehmen wir den Brokkoli. Der enthält, wie die ganzen Kohlsorten, in unterschiedliche Konzentration, Senföle, die die Entzündungswerte senken. Chronische Entzündungen im Körper können krebsfördernd sein. Man verliert beim Brokkoli aber auch ganz viel wenn man ihn kocht. Am besten verzehrt man ihn roh oder nur ganz kurz Dampf gegart. Die Aufnahme wird hier mit Senf und Meerrettich noch verstärkt. Wenn Sie zum Beispiel eine Kartoffel roh schneiden und in den Kühlschrank packen, dann haben sie zwei Tage später die doppelte Anzahl an Antioxidantien. Eine Zwiebel macht sehr viel mehr Quercetin, wenn Sie die vorher schneiden und eine Viertelstunde liegen lassen. Diese ganzen Prozesse funktionieren übrigens wegen der sekundären Pflanzenstoffe, mit denen sich die Pflanze eigentlich gegen Fraßinsekten verteidigt. Wird das Gemüse angeknabbert, senden sie diese Stoffe aus. Und wir können mit diesem Wissen unsere Lebensmittel ein bisschen „tunen“.

Gibt es denn noch weitere Lebensmittel, die regelmäßig auf der Speisekarte stehen sollten?

Müller: Die Anthocyane sind wichtig zu erwähnen. Das ist der Stoff, der in den Beeren enthalten ist. Je dunkler, je violetter, desto besser ist die Regel. Das gilt für Brombeeren, Heidelbeeren, auch für rote Beete und violette Süßkartoffeln. Eine Einschränkung gibt es in Bezug auf Milchprodukte. Joghurt oder Quark können die Aufnahme der Anthocyane hemmen. Aber es gibt noch einen guten Hinweis: Bunt soll es sein. Mit verschiedenen Farben hat man verschiedene Pflanzenstoffe.

Welche Lebensmittel sollte man denn meiden?

Müller: Wir wissen, dass Stoffe, wie die Acrylamide, Nitrosamine und Pökelsalze, schädlich sind. Diese finden wir in Wurstwaren oder in Chips. Generell kann man sagen, dass hochverarbeitete Lebensmittel inhaltlich sicher nicht sehr wertvoll sind - und auch kalorienreich noch dazu, was den Insulinspiegel wieder hoch treibt. Wir wissen schlanke Frauen haben ein fünfprozentiges Risiko Brustkrebs zu bekommen, Übergewichtige sieben Prozent und Diabetiker ein um 20 Prozent höheres. Ganz deutlich muss man aber sagen, nicht jeder Krebs ist vermeidbar und niemand hat Schuld, wenn er an Krebs erkrankt. Krebs ist ein Multifaktorielles Geschehen.

Da spielt die Genetik mit rein, da ist der Lebensstil und wir haben immer noch eine Blackbox – da wissen wir einfach nicht, warum jetzt Krebs entstanden ist. Man kann aber das individuelle Risiko senken und die Anzahl der Lebensjahre erhöhen. Das hat auch die große EPIC-Studie von Heidelberg mit 25 000 Männern und Frauen ergeben. Da wurde auf den Lebensstil und die Lebenszeit jenseits des 40. Lebensjahr geschaut. Rauchen ergab bei Männern neun Jahre weniger Lebenszeit, bei Frauen sieben Jahre. Alkoholkonsum reduziert die Lebenszeit um etwa drei Jahre. Bewegungsmangel und schlechte Ernährung ergibt jeweils ca. zwei Jahre weniger. Zwischen besten und schlechtesten Lebensstil liegen statistisch zwischen 13 und 17 Jahre.

Ist Rauchen nur ein Thema bei Lungenkrebs und Alkohol bei Leberkrebs?

Müller: Raucherinnen erkranken im Schnitt zehn Jahre früher an Brustkrebs als Nichtraucherinnen. Da hilft Frauen auch das Stillen nach einer Geburt nichts. Von diesem Effekt profitieren nur Nichtraucherinnen. Und der Zeitpunkt, an dem ein junger Mensch anfängt zu rauchen, ist ebenfalls entscheidend. Wenn sich die Brustdrüse im Wachstum gerade differenziert und dann geraucht wird, gibt es auch noch mal ein deutlich höheres Risiko für Brustkrebs. Man muss ganz deutlich sagen, dass Rauchen für bis zu 30 Prozent der Krebserkrankungen verantwortlich ist. Auch zu hoher Alkoholkonsum erhöht das Risiko an hormonabhängigen Brustkrebs zu erkranken. Die maximale empfohlene Tagesdosis bei Frauen liegt bei 10 Gramm, das ist etwa 0,1 Liter Wein am Tag. Alkohol ist vielleicht für die Gefäße ganz gut, aber es ist eben dennoch ein Zellgift.

Was sind denn weitere Risiken für eine Krebserkrankung?

Müller: Jeder bringt sein Päckchen, in Form der Genetik mit. Da lohnt sich der Blick auf die Familienanamnese. Wir werden immer besser, die einzelnen Gene für Krebs herauszufinden. Wenn ich also weiß, dass Mutter, Tante und Oma an Brustkrebs oder Eierstockkrebs erkrankt sind, dann macht der Gang zum Genetiker Sinn. Wenn man eines der Gene hat, die ein hohes Risiko an Brustkrebs mit sich bringen, dann kann man intensive Vorsorgen machen, wie jährliche Brust-MRT-Untersuchungen, oder auch prophylaktisch operieren. Da war ja der Fall Angelina Jolie in der Presse. Etwa 10 bis 15 Prozent der Brusterkrankungen sind auf entsprechende Gene zurückzuführen.

Welche Vorsorgeuntersuchungen sollten den genutzt werden?

Müller: Bei Männern ab 50 Jahren, bei Frauen ab 55 Jahren wird die Darmspiegelung von der Kasse übernommen. Da hat man die Möglichkeit, Krebs so früh zu entdecken, dass man in einem heilbaren Bereich oder es gar nur eine Vorstufe ist. Das gilt auch für das Mammographie-Screening für Frauen im Alter zwischen 50 und seit diesem Jahr neu bis 75 Jahre. Wenn man Tumore in der Brust ertastet, sind sie meistens schon zwei Zentimeter groß. Das geht mit dem Screening deutlich früher. Da sehen wir schon 5 Millimeter große Tumore, bei denen wir wirklich komplette Heilungschancen haben. Bei 87 Prozent der Brusterkrankungserkrankungen, die beim Screening entdeckt werden, werden keine Lymphknotenmetastasen gefunden.

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Bei Brustkrebs, der außerhalb des Screenings entdeckt wird, liegen wir bei 57 Prozent. 2021 wurden 14 000 Erkrankungen im Rahmen des Screenings entdeckt. Über 90 Prozent Frauen werden jedes Jahr eingeladen, aber trotzdem gehen nur etwa 50 Prozent tatsächlich hin. Alle zwei Jahre gibt es noch das Hautkrebsscreening. Ab 45 Jahren wird die jährliche urologische Vorsorgeuntersuchung bei Männern empfohlen. Ab 35 Jahren wird alle drei Jahre von der Krankenkasse ein Gebärmutterhalskrebs-Abstrich zusammen mit einem HPV-Test gezahlt. Die gynäkologische Vorsorge bereits ab dem 20. Lebensjahr jährlich.

Zur Krebsprävention zählen auch Impfungen – welche gibt es aktuell?

Müller: Es gibt eine Impfung gegen das HPV-Virus, der vor allem für den Gebärmutterhalskrebs bei Frauen verantwortlich ist. Empfohlen wird die Impfung für Mädchen und auch Jungs ab neun Jahren – im Idealfall vor dem ersten Sexualkontakt, auch wenn sie noch danach Sinn macht. Und Jungen schützen damit übrigens nicht nur ihre künftigen Partnerinnen, sondern auch sich selbst, da die Wahrscheinlichkeit für Peniskrebs sinkt. Australien hat uns da vorgemacht, wie es mit einer hohen Impfquote richtig geht. Die sehen schon den Rückgang der Erkrankungen. Da sind wir in Deutschland mit einer Impfquote bei 15-jährigen Mädchen mit lediglich 54 Prozent und bei Jungen nur 25 Prozent deutlich schlechter. Dann haben wir noch die Hepatitis-B-Impfung beim Kinderarzt. Denn diese Infektion führt oft zu Leberkrebs.

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