Gesundheitsserie I

Im Geburtshaus Bergstraße ist jede Schwangere willkommen

Seit 2021 begleiten Hebammen im Geburtshaus Frauen durch die Schwangerschaft. Die Geburten im Kreis Bergstraße sind jedoch rückläufig.

Von 
Angela Schrödelsecker
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Die Hebammen arbeiten viel mit ihren Händen und können so zum Beispiel die Lage des Kindes ertasten. © Thomas Zelinger

Bergstraße. 2023 kamen im Kreis Bergstraße 2142 Babys zur Welt. Der Start ins Leben kann ganz unterschiedlich sein – im Sozialgesetzbuch ist geregelt, dass die Frau das Recht hat zu entscheiden, ob sie ambulant, stationär im Krankenhaus, in einem Geburtshaus (oder einer vergleichbaren Einrichtung unter Leitung von Hebammen) oder im Rahmen einer Hausgeburt ihr Kind bekommen möchte.

Die junge Mutter Katharina entschied sich, wie seit 2021 233 Schwangere, im Geburtshaus Bergstraße in Bensheim ihren Sohn Levi zur Welt zu bringen: „Ich habe schon immer den Wunsch gehabt, in einem Geburtshaus oder Zuhause mein Kind zu bekommen. Und als ich das erste Mal hier war, habe ich sofort die Wärme, Liebe und Geborgenheit gespürt. Ich habe mich bei jedem Termin gefreut ins Geburtshaus zu kommen.“

Hebammenkreißsaal im Kreiskrankenhaus Bergstraße in Heppenheim

Das Kreiskrankenhaus Bergstraße in Heppenheim (KKH) ist die erste und bisher einzige Klinik in der Region, die einen Hebammengeleiteten Kreißsaal anbietet – und das bereits seit sechs Jahren. Mehr als 20 Prozent der über 800 Kinder, die 2023 im Kreiskrankenhaus das Licht der Welt erblickten, im Hebammenkreißsaal zur Welt. „Hier können Schwangere ohne medizinische Eingriffe mit einer Hebamme natürlich und selbstbestimmt ihr Kind auf die Welt bringen,“ erklärt Susanne Haager, komm. stellv. Leiterin des Kreißsaals am KKH Bergstraße. „Gleichzeitig haben die werdenden Mütter die Sicherheit eines Krankenhauses und der ärztlichen Geburtshelfer im Hintergrund.“

Der Hebammenkreißsaal stellt damit ein Bindeglied zwischen außerklinischer Geburt wie etwa einer Hausgeburt oder einem Geburtshaus und einer Klinikgeburt dar. „Die Geburtsbetreuung findet individuell durch uns Hebammen statt. Auf Medikamente oder medizinische Eingriffe verzichten wir nach Möglichkeit komplett“, so Haager.

Hinter dem Konzept stehe der Gedanke, die Geburt auf das zurückzuführen, was sie ist: Ein sehr persönliches Ereignis. „Jede Geburt ist so individuell wie wir Menschen selbst“, weiß Haager, die selbst seit 1991 als Hebamme am Krankenhaus in Heppenheim arbeitet.

Kreiskrankenhaus ist von WHO als babyfreundlich zertifiziert

Das Konzept ließe viel Raum für Individualität und sei ganz zentral an den Bedürfnissen der Mutter ausgerichtet. „Der Hebammengeleitete Kreißsaal ist ein Angebot für gesunde Frauen, die den Wunsch nach einer natürlichen, selbstbestimmten Geburt in geschützter Atmosphäre haben“, erläutert Frau Dr. Müller, Chefärztin der Gynäkologie am KKH Bergstraße. „Die Schwangerschaft sollte risiko- und komplikationsfrei verlaufen sein. Gleichzeitig haben sie die Sicherheit der klinischen Struktur mit unseren erfahrenen Team aus Hebammen und ärztlichen Geburtshelfern.“

Zwei Mal im Monat bietet das KKH Bergstraße hierzu Informationsabende mit Kreißsaalführung für werdende Eltern an. „Die schwangeren Frauen haben zusätzlich die Möglichkeit in unserer Hebammensprechstunde durch intensive Gespräche mit uns Hebammen ihre individuellen Vorstellungen, Sorgen und Wünsche zu besprechen“, erklärt die erfahrene Hebamme.

„Bei der Geburt selbst ist dann vom ersten Moment eine Hebamme an der Seite der Mutter, selbst wenn sich diese über Stunden erstrecken sollte,“ erklärt Haager. „Sollte medizinische Hilfe während des Geburtsprozesses notwendig oder von Seiten der Mutter gewünscht werden, sind unsere Ärzte natürlich sofort zur Stelle. Durch die Eins-zu-Eins Hebammenbetreuung bieten wir ein hohes Maß an Individualität und Intimität. Sie profitieren von unserer am längsten vorhandenen Erfahrung als Hebammenkreißsaal im südlichen Hessen und in der Region Rhein-Neckar.“ Das Kreiskrankenhaus in Heppenheim gehört zu den wenigen von der WHO als babyfreundlich zertifizierten Geburtskliniken an der Bergstraße. „Um die natürliche Geburt zu unterstützen, haben wir zudem das Konzept der bewegten Geburt mit einem speziellen bewegten Geburtsbett als zweite Klinik in ganz Deutschland eingeführt. Eine bewegte Geburt verhilft zu kürzeren Geburten und weniger Kaiserschnitten. So sind wir stolz auf eine Kaiserschnittrate von nur 26 Prozent gegenüber dem Durchschnitt in Hessen von 32 Prozent,“ erläutert die Chefärztin und ergänzt: „Auch eine beckenbodenschonende Geburtshilfe für die spätere Frauengesundheit ist uns wichtig. Nach der Geburt stehen Beraterinnen rund um die Zeit nach der Geburt, Fragen zum Stillen und mit unserem monatlich stattfindenden Stillcafé auch ein Ort zum Austausch untereinander zur Verfügung.“ asch

Die 29-Jährige hat nahezu die komplette Vorsorge im Geburtshaus machen lassen. Wie die Mit-Gründerin und fachliche Leiterin des Geburtshauses Annett Haase erzählt, könne bis auf Ultraschall jede Untersuchung, die der Frauenarzt bei den Vorsorgen macht, auch von den Hebammen durchgeführt werden. Bei den regelmäßigen Sprechstunden ist bis zu 1,5 Stunden Zeit für körperliche Untersuchungen, aber auch für die Themen, die die Schwangere gerade beschäftigen. „Wir ermöglichen gesunden Frauen eine selbstbestimmte Schwangerschaft und Geburt,“ so Annett Haase. Annett Haase betont, dass die Frauen von den Hebammen über die gesamte Schwangerschaft begleitet werden und dass im Falle einer auffälligen Untersuchung ein Frauenarzt miteinbezogen wird.

Eine Hebamme sollte man möglichst früh kontaktieren

Derzeit sind 76 freiberufliche Hebammen im Kreis gemeldet und sind somit Ansprechpartner für alle Frauen, die ein Kind erwarten. Die Hebammen übernehmen Vorsorgen, bieten Geburtsvorbereitungskurse und die Wochenbettbetreuung an. Zu Letzterem gehört die Unterstützung beim Stillen, Gewichtskontrolle beim Kind und vieles mehr. Jede Schwangere hat ein Recht auf diese Betreuung, die von der Krankenkasse übernommen wird. Es gibt Hebammen im Kreis, die auch Hausgeburten anbieten.

Laut Hebammengesetz können sie eine normal verlaufende Geburt alleine leiten – Ärzte dagegen dürfen nur im Notfall eine Geburt alleine anleiten. Hebammen müssen auch bei einem Kaiserschnitt anwesend sein. Die Ausbildung der Hebammen wurde auf ein Duales Studium umgestellt. Die nächsten Hochschulen sind in Ludwigshafen und Frankfurt. Den praktischen Teil lernen die Studenten in Kliniken und bei freiberuflichen Hebammen. Um dem Nachwuchs ausreichend Möglichkeiten zur praktischen Ausbildung zu ermöglichen, hat sich im Kreis unter anderem der Ausbildungsverbund Weschnitztal gegründet.

Christine Richter, Kreissprecherin im Landesverband der Hessischen Hebammen, hat eine wichtige Bitte an alle Schwangeren: Direkt nach der bestätigten Schwangerschaft sollen sich die Frauen, am besten wohnortnah, bei einer Hebamme ihrer Wahl melden – nicht erst nach der 12. Schwangerschaftswoche, wie es viele machen: „Eine Hebamme ist Ansprechpartnerin für viele Fragen – auch bei Schwangerschaftsübelkeit und bei Fehlgeburten ist sie an der Seite der Frauen. Hebammen stehen auch in dunklen Zeiten den Schwangeren und den Familien bei.“

Die Not eine Hebamme zu finden hat sich inzwischen etwas gelegt. Nur in Ferienzeiten kann es mal eng werden. Das liegt zum einen an den rückläufigen Geburtenzahlen: „So langsam tragen aber auch unsere Bemühungen um Nachwuchs Früchte,“ so Richter.

Sechs Hebammen haben seit 2019 von einer Förderung des Kreises für Hebammen, die sich neu niederlassen möchten, profitiert. Zwei weitere kommen dieses Jahr hinzu. In diesem Zuge hat der Kreis auch ein Netzwerk initiiert, das zum Erhalt der Geburts- und Hebammenhilfe beitragen soll.

Das Land Hessen hat zudem aktuell eine eigene Förderung auf den Weg gebracht hat, mit der freiberufliche Hebammen bis zu 10 000 Euro erhalten können. asch

Es haben immer zwei der neun freiberuflichen Hebammen Rufbereitschaft. Spätestens zur Geburt wird die zweite Hebamme dazu gerufen: „Vier Hände sind immer besser als zwei und eine Hebamme kann der anderen zuarbeiten. Zudem gehört zu einer Geburt auch viel Bürokratie. Da ist man froh, wenn sich eine Hebamme um Mutter und Kind kümmert, während die andere solche Aufgaben übernimmt. Wir sind erfahrene Hebammen und durch die Eins–zu–Eins Betreuung sind wir ganz nah an den Schwangeren dran. Dadurch erkennen wir Besonderheiten unter der Geburt zeitnah. Zwei Mal im Jahr üben wir mit einem Baby-Notarzt verschiedene Situationen und wir haben für uns extra einen Leitfaden entwickelt, in dem wir Abläufe festgelegt haben, um schnellstmöglich reagieren zu können.“

Im Verlauf der Schwangerschaft erhalten die Frauen und Paare, die eine Geburt im Geburtshaus wünschen und dafür die Voraussetzungen erfüllen, eine ausführliche Aufklärung. Das gebe, so Annett Haase, Orientierung und Sicherheit.

Ziel ist selbstbestimmte Schwangerschaft und Geburt

Katharina konnte so gebären, wie sie es sich vorstellte. Sie war bereits zehn Tage über den errechneten Termin als sich ihr Sohn auf den Weg machte. Fast zwei Tage stand sie immer wieder im telefonischen Kontakt mit den Hebammen, bis nachts um 0 Uhr die Geburt wirklich losging. Elf Stunden dauerte es noch bis Levi da war. Bis dahin verbrachte sie viel Zeit in der Badewanne des Geburtshauses, hörte ihre Lieblingsmusik: „Wenn wieder eine Welle kam, das klingt für mich viel positiver als das Wort Wehe, habe ich mitgesungen. Jede Welle hat mich meinem Kind näher gebracht und das war gut.“

Geburten im Kreis Bergstraße

Die Geburten im Kreis gehen zurück – besonders im Vergleich zum Pandemiejahr 2021:

  • 2019: 2512
  • 2020: 2424
  • 2021: 2613
  • 2022: 2390
  • 2023: 2142 asch

Auch wenn sie, wie wahrscheinlich fast jede natürlich Gebärende, an den Punkt kam, an dem sie dachte, dass es nicht mehr geht, die Kraft erschöpft ist. „Doch das ist der Moment, in dem wir Hebammen wissen, jetzt kommt das Kind bald. Und genauso war es. Kurze Zeit später war Levi da,“ ergänzt Annett Haase lächelnd.

Übrigens gibt es keine Beschränkung, wer bei der Geburt aus dem Umfeld der Schwangeren anwesend ist. „Es gab auch schon Geburtsfotografen, die dabei waren. Alles, was sich die Schwangere wünscht und ihr ein gutes Gefühl gibt, ist erlaubt.“

Im Geburtshaus sind Geburten immer ambulante Geburten, das heißt, die Frauen gehen nach vier bis fünf Stunden nach Hause. Die Wochenbett-Betreuung wird von Hebammen übernommen, die in der Nähe der Familie wohnen. Das kann eine Hebamme aus dem Geburtshaus sein, muss aber nicht.

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Träger des Geburtshauses ist ein Verein. Seit 2021 wurden über 400 Familien in der Zeit der Schwangerschaft begleitet. Pro Monat nimmt das Geburtshaus zehn bis fünfzehn Frauen auf, die die Absicht haben, hier zu gebären.„Wir sind während der gesamten Schwangerschaft Ansprechpartner für die Frauen. Und wenn eine Frau hier nicht gebären wird, sind wir trotzdem in der Sprechstunde da. Alle Schwangeren sind willkommen – unabhängig von der Geburt. Wir bieten zudem Geburtsvorbereitungskurse an, von denen auch die Frauen profitieren, die im Krankenhaus ihr Kind zur Welt bringen,“ wie Annett Haase erzählt.

Wer sich über die Geburt im Geburtshaus informieren möchte, kann dies an regelmäßig stattfindenden Infoabenden machen. Auf der Homepage finden sich alle aktuellen Angebote, wie Stillberatung, Rückbildungsgymnastik, Babymassage, Yoga mit Kind und Hypnobirthing.

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