Geburtshilfe

Das Geburtshaus in Bensheim ist ein Wunschkind

Im April 2021 ging das Geburtshaus Bergstraße in Bensheim an den Start - seither hat sich die Einrichtung sehr gut etabliert. Sechs Hebammen kümmern sich um alles - von der Beratung bis zur Geburt und die Betreuung.

Von 
Thomas Tritsch
Lesedauer: 
Landrat Christian Engelhardt (r.) besuchte im Rahmen seiner Sommertour das Geburtshaus Bergstraße. Unser Bild zeigt (v.l.) die Hebammen Birgit Heidkamp und Kayoko Wallenstein, Praktikantin Anna-Maria Roos mit ihrem Kind, das im Geburtshaus auf die Welt kam, die Hebammen Eva Oßwald, Lara Chiostergi und Annett Haase sowie Rolf Richter als Vorsitzender des Trägervereins. © Thomas Neu

Bensheim. Als 2019 bekannt wurde, dass das Heilig-Geist-Hospital seine Geburtsstation schließen würde, reagierte halb Bensheim überaus emotional. Sollte es – über Hausgeburten hinaus – etwa nie wieder „echte Bensemer“ geben?

Im Sommer des folgenden Jahres gründete sich ein Trägerverein für eine neue Einrichtung, die als familiäre Alternative zu einer großen Klinik werdenden Müttern ein ideales Umfeld bieten sollte: ein Geburtshaus. Die ehemalige Zentrale der Diakoniestation an der Fehlheimer Straße wird seither von der Michaelsgemeinde an den Trägerverein vermietet. Sechs Hebammen kümmern sich um alles – von der ersten Beratung bis zur Geburt und die Betreuung darüber hinaus.

Das Haus bietet einen geschützten Ort, um die Zeit rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett selbstbestimmt in einem angenehmen Rahmen intensiv und entspannt zu erleben. Die Begleitung durch ein vertrautes Hebammenteam soll die Eigenkompetenz und das Selbstvertrauen der Frauen stärken, so die Mitgründerin und fachliche Leiterin Annett Haase im Gespräch mit Landrat Christian Engelhardt, der dort im Rahmen seiner Sommertour am Station gemacht hat.

Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"

Engelhardt informierte sich über Konzept, Auslastung und Kapazitäten der Einrichtung, in der im Monat Juli bislang (Stand 22. Juli) acht Babys zur Welt gekommen sind. Relativ viele, wie die organisatorische Leiterin Birgit Heidkamp kommentiert.

Auch sie gehörte zusammen mit Kayoko Wallenstein zum Gründungsteam, das nach langer Vorbereitungsphase am 1. April 2021 das Haus eröffnet hat. Keine drei Wochen später wurde dort das erste Kind geboren. Aktuell liegen bereits viele Anfragen für 2024 vor – von Frauen in der Schwangerschaft oder von jenen mit einem konkreten Kinderwunsch.

Frühe Planung ist alles, auch im Geburtshaus, das weder öffentlich noch institutionell finanziert wird. Es ist sozusagen ein Wunschkind des Trägervereins, der neben dem über ein Darlehen geschulterten Umbau auch die Miete für das Anwesen bezahlen muss. Das Gebäude wurde vom Vermieter saniert, der Trägerverein übernahm die erforderlichen Umbauten. Das Wohnhaus mit Garten verfügt über Parkplätze und Bushaltestelle direkt vor der Tür.

Rolf Richter: "Wir sind ins Risiko gegangen und haben Schulden gemacht"

Neben der Stadt Bensheim und dem Kreis Bergstraße sollte sich damals eigentlich auch das Land Hessen mit einer Anschubfinanzierungbeteiligen. Daraus wurde aber nichts, da die Richtlinien für die Förderung noch nicht in trockenen Tüchern waren und die Mittel noch nicht beantragt werden konnten, blickte Rolf Richter als Vorsitzender des Trägervereins auf die Geburtswehen der Einrichtung zurück.

Den üblichen Vergabegrundsätzen zufolge hätte der Verein mit dem Projekt erst nach Antragstellung und Zusage der Förderung beginnen können. Aber so lange wollte die Kirchengemeinde damals nicht auf eine Entscheidung warten. „Also sind wir ins Risiko gegangen und haben Schulden gemacht“, so Richter. Perspektivisch habe man kaum eine Aussicht auf einen ähnlich idealen Standort gesehen. „Wir hatten ein Haus mit Charme und Geist gesucht“, sagte der ehemalige Bürgermeister.

Viele Akteure der ersten Stunde sind noch immer aktiv. Damals wollten sie sich nicht kampflos damit abfinden, dass es nach der Schließung der Geburtshilfeabteilung des Heilig-Geist-Hospitals keine stationäre Alternative geben sollte – heute kümmern sie sich um den laufenden Betrieb und die Ausstattung des Gebäudes. Als nächstes stehen die Modernisierung und Neumöblierung der Büroräume an.

In persönlicher und geschützter Atmosphäre

Der Trägerverein sei gut durch die ersten Jahre gekommen, auch während der Pandemie, so der Vorsitzende. Nachdem man im ersten Jahr an die räumlichen und personellen Kapazitäten gestoßen war (mehr Anfragen als Platz), hatte sich die Situation 2022 etwas ausbalanciert. Im Juli letzten Jahres organisierte man einen Tag der offenen Tür, der sehr gut frequentiert war. Auch von Müttern, die dort entbunden haben. „Viele der Familien haben eine Bindung zum Haus“, so Birgit Heidkamp im Gespräch mit dem Landrat.

Trotz Trägerverein: Das Geburtshaus steht und fällt mit den Hebammen. Im Kreis Bergstraße gab und gibt es viele ausgebildete Frauen (es gibt nur rund 20 männliche „Entbindungspfleger“ bundesweit), die jenseits von Krankenhäusern einen Ort suchen, wo sie Frauen in persönlicher und geschützter Atmosphäre begleiten können.

Sie sind Angehörige eines freien Berufs – mit allen Vor- und Nachteilen dieses Genres. Die rechtlichen Vorgaben zum Versicherungsschutz für freie Geburtshelferinnen sind komplex und schwierig, die Arbeitsbedingungen und die persönliche Verantwortung anspruchsvoll. Schließlich geht es um das Wohl des neuen Lebens und um das von Müttern und der gesamten Familie. Annett Haase verweist auf die psychischen Aspekte der Begleitung, auf die Beratungsgespräche auch zu ernsten und belastenden Themen. Hinzu kommen die Arbeitszeiten.

Mehr zum Thema

Gericht

24-jähriger Viernheimer muss für siebeneinhalb Jahre ins Gefängnis

Veröffentlicht
Von
Agnes Polewka
Mehr erfahren

Ab drei Wochen vor und bis zu zwei Wochen nach dem Geburtstermin sind ständig jeweils zwei der Fachfrauen im Rufdienst bereit. Damit wird eine lückenlose Eins-zu-Eins-Betreuung gewährleistet. Auch dann, wenn einmal – aber das ist selten – zwei Babys gleichzeitig entbunden werden wollen. Schließzeiten gibt es nicht. „Eine Geburt ist ein sensibles Ereignis, und die Frauen wollen Sicherheit“, so die erfahrene Hebamme. Wie die allermeisten ihres Berufs ist sie selbst Mutter und weiß, was während dieser Zeit wichtig ist.

Im Bensheimer Geburtshaus können sich Schwangere in einem wohnlichen und angenehmen Rahmen auf die Geburt vorbereiten. Die Hebammen nehmen sich die Ruhe, die dafür nötig ist. Und die Zeit, so Annett Haase über die vielleicht wertvollste Ressource in diesem Kontext.

Der gute Ruf des Hauses hallt allerdings weit über die Bergstraße hinaus. Die jungen Familien kommen unter anderem aus Heidelberg, Worms oder Mannheim nach Bensheim. Die meisten aber leben im Kreis Bergstraße. Über 140 Kinder sind hier schon zur Welt gekommen.

Freier Autor

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger