Festspiele Heppenheim

Feingliedrige Gerichts-Komödie mit ernsten Untertönen

Es war eine erfolgreiche Premiere von „Der zerbrochne Krug“ bei den Festspielen in Heppenheim im Kurmainzer Amtshof.

Von 
Thomas Tritsch
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Uli Pleßmann (l.) gibt der Figur des Richters Adam das nötige Maß an Tiefe. © Thomas Zelinger

Bergstraße. Der Richter als Täter, der seine Tat mit allen Mitteln der Kunst zu verschleiern versucht: juristisch, taktisch und kriminell. Verzweifelt versucht ein amtlich zugelassener Lügenteufel, die aufgeladene Schuld trotz eindeutiger Indizien unter den Teppich zu kehren. Dass er sich dabei um Kopf und Kragen redet, ist die dramatische Würze, aus der Heinrich von Kleist sein berühmtes Lustspiel gebaut hat.

„Der zerbrochne Krug“ aus dem Jahr 1806 gilt als eine der wenigen deutschen Komödien der Weltliteratur. Ein Stück, das wie für die Heppenheimer Festspiele gemacht ist: komisch und tragisch, lächerlich und düster, gedankenscharf und feinsinnig.

Der Versuch des einsamen Dorfrichters mit dem beziehungsreichen Namen Adam, sich – wie in den Zeiten des Paradieses – wieder mit einer Eva zu vereinigen, ist eine ewige wie unerfüllte Sehnsucht. Der depressive Dramatiker Heinrich von Kleist, selbst ein Außenseiter seiner Zeit, hat diese diffizile Situation in ein literarisch-philosophisches Werk gegossen, das trotz Goethes Verriss nach der Premiere längst zu einem Klassiker avanciert ist.

Das Darmstädter Familienunternehmen „Theaterlust“ inszenierte „Der zerbrochne Krug“ in Heppenheim nah am Original. © Thomas Zelinger

Der Sündenfall als bürgerlicher Schwank über das selbstgemachte Schicksal eines Richters mit blutigen Kopfwunden, die er sich in der vorherigen Nacht zuzog, als er versuchte, Eve in deren Kammer sexuell zu erpressen, von deren Bräutigam Ruprecht überrascht wurde, durchs Kammerfenster abhauen wollte und mit seiner Perücke in den Spalierzweigen hängen blieb, bevor er von Ruprecht mit der herausgerissenen Türklinke eins übergezogen bekam und es doch noch schaffte, im Dunkel unerkannt zu fliehen. So viel zum Tatort.

Dieser Adam ist kein schürzenjagender Teufelskerl, sondern eher ein teuflischer Macho, der seine berufliche Position als Macht über das Volk – und die Frauen – ausnutzen will, dabei aber an seiner eigenen Beschränktheit hängen bleibt. Ein zeitloses Thema, das Intendantin Iris Stromberger dennoch nicht in die Gegenwart verpflanzt, weder durch Sprache noch durch Kostüme. Die Inszenierung braucht keine Modernisierung, um von heute zu sein. Typen, die kein Urteil fürchten, weil scheinbar keiner in der Nähe ist, der eines fällen könnte, sind wohl jedem bekannt. Heinrich von Kleist hat ihnen ein negatives Denkmal gesetzt.

Stromberger hat dem Amtshof eine rasante wie feingliedrige Gerichts-Comedy mit ernsten Untertönen geschenkt, die am Freitagabend eine erfolgreiche Premiere erlebt hat. Längst nicht ausverkauft, aber gesegnet von einem spielfreudigen Ensemble, das bei aller Komik auch die traurigen und tragikomischen Nuancen des Stücks auf die Bühne bringt.

Gewissenloser Rechtsverdreher

Nicht nur die Hauptfigur, gespielt von Uli Pleßmann, der bereits 2022 als Weingutsbesitzer Gunderloch überzeugen konnte – er gibt dem klumpfüßigen Glatzkopf das nötige Maß an Tiefe –, zeigt ihn als Dealer der Ursünde auf einem stabilen Amtssessel, der dem Erpresser gesellschaftlichen Halt in einer eher privaten Krise bietet. Einer, der ins Paradies eingebrochen ist und dort sein Gefängnis findet. Sein Adam ist kein kalkulierender Bösewicht, sondern – ganz im Sinne des Schriftstellers – ein eitler Amoralist mit einer fleischlichen Schwäche, die ihn zum gewissenlosen Rechtsverdreher werden lässt. Einsehen kann er sein Unrecht nicht, dafür fehlt ihm die Empathie nach innen.

Man empfindet eher Bedauern denn Hass bei diesem negativen Ödipus, der im Gegensatz zu seinem antiken Urahn nicht in Unwissenheit die Wahrheit erforschen muss, sondern im Wissen um die eigene Falschheit fantasiereich danach strebt, das Geschehene zu verdunkeln.

So hat Kleist aus der Mutter aller Tragödien eine wunderbare Komödie erschaffen, die in Heppenheim ohne Pause über die Bühne geht. Eine kluge Entscheidung, denn jeder Bruch hätte diesem dramatischen Fluss einen störenden Bremsklotz ins Getriebe gekeilt. In 90 Minuten inszeniert das Ensemble von Strombergers Darmstädter Familienunternehmen „Theaterlust“ einen spannenden niederländischen Gerichtskrimi, der ganz nah am Original bleibt und gerade deshalb ein Vergnügen ist.

Die Kraft der Kleist’schen Sprache, ihre ganze Intensität und natürliche Wucht bleibt erhalten in einem spannungsgeladenen Geflecht, in dem der Adam nicht als Solist im Zentrum steht, sondern innerhalb eines wabernden psychologischen Mosaiks aus plastischen Figuren in einem stimmigen Genrebild gleichsam aufblüht.

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Zwischen Gerechtigkeit und Selbstjustiz

Veröffentlicht
Von
red
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Dazu gehört der gescheite Schreiber Licht (Sebastian Muskalla), der den Richter morgens blutend aus den Federn kriechen sieht und bald den Braten riecht. Als Eve ist Elinor Stromberger zu sehen, die eigentlich nur ihrem Verliebten helfen wollte und deshalb den Richter mit einem vermeintlichen militärischen Freibrief zu sich geladen hatte. Später hat das arme Mädchen von niederem Stand Skrupel, dem Würdenträger an den Talar zu speien – doch der Sinn für Gerechtigkeit siegt und am Ende schickt Eva diesen Adam in die Hölle, um ihre Liebe vor der falschen Bedrohung zu retten. Es ist ihre Reinheit und Aufrichtigkeit gegenüber Ruprecht, die Adams Schuld umso schwerer wiegen lässt. Als er sogar versucht, den Verdacht auf den gänzlich unbeteiligten Flickenschuster Lebrecht zu lenken und so Ruprechts Eifersucht schürt, ist Eve empört.

Als sie die fortwährenden Lügen der Staatsgewalt nicht mehr mit anhören kann, packt sie schließlich aus. Ihre Mutter Marthe Rull (Iris Stromberger) ist die stolze Personifikation von Ehre und Gerechtigkeit, der Bauernsohn Ruprecht wird von Fabian Stromberger – spielerisch glänzend – als in die Ecke getriebener Sündenbock überaus vielschichtig gezeichnet. Der Verlobte ist kein billiges Bauernopfer, er leidet zutiefst unter dieser für ihn doppelt lebensgefährlichen Situation, die er bis zum Finale lediglich dramaturgisch nicht verstehen kann.

Pferdefüßiger Teufel

Robert Menke tritt als skeptischer Gerichtsrat Walter auf, der dem Dorfrichter brutal vor Augen führt, dass er in seinem Machtbereich keineswegs als höchste Instanz tun und lassen kann, was er will. Als Frau Brigitte, Zeugin aus der Nachbarschaft, ist Margit Schulte-Tigges zu sehen. Sie hat die Spuren von Adams deformiertem Fuß im Schnee gesehen und wähnt den pferdefüßigen Teufel im Spiel. In einer kleinen Rolle als Magd Liese ist Saskia Huppert zu sehen.

Eine sensible Regie und ein vital aufspielendes Ensemble bringen die Lebendigkeit des Textes auf die Bühne, die Ingo Schöpp als Collage aus Schlafgemach, Stube und Richterzimmer gestaltet hat und so einen auch räumlich bruchlosen Handlungsverlauf ohne Umbaupausen ermöglicht. Die Kostüme stammen von Corina Krisztian, die Regieassistenz hat Hans-Peter Wollmann.

Freier Autor

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