Bergsträßer Ansichts-Sachen

Die Geschichte vom Bensheimer Storch, der gar keiner war

Von 
Thomas Neu
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Bei dem heutigen Bildvergleich könnte manchen älteren Bensheimern die Aufnahme von 1962 noch bekannt sein. Standort der Fotografen war jeweils die Zeller Straße an der Einmündung zur Hasengasse.

Wo heute ein Wohn- und Geschäftshaus steht, befand sich bis in die 1990-er Jahre das „Bürgerliche Brauhaus“. In der Speisegaststätte hatten über Jahrzehnte viele Vereine ihr Zuhause. Die Brauerei hatte eine lange Geschichte und wurde bereits im 17. Jahrhundert als Brauhaus vor dem Heppenheimer Tor erwähnt. Zur Brauerei gehörte auch der Bierkeller in der Grieselstraße. Mit dem Bierbrauen war aber schon um 1920 Schluss. In der Folgezeit siedelten sich auf dem Brauereischornstein Störche an und prägten fortan das Stadtbild. Die Bensheimer Feuerwehr half des Öfteren mit ihrer Drehleiter beim Herrichten des Nestes, wie die Aufnahme von 1962 zeigt.

Aus dem Archiv der Freiwilligen Feuerwehr Bensheim-Mitte ist uns folgende Geschichte überliefert: An einem herrlichen Frühlingsmorgen im Jahre 1957 kam es beim Storchennest an der Zeller Straße zu einem kleinen Menschenauflauf. Der schon seit zwei Wochen überfällige Freund Adebar war aus seinem Winterquartier zurückgekehrt, aber irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Er streckte seinen langen Hals gegen Norden und zuckte rhythmisch mit dem Kopf nach unten. Sein rechtes dünnes, rotes Stelzenbein schwebte immer einige Sekunden lang in der Luft, dann stieß er es krampfartig nach unten.

Die Zuschauer wurden immer aufgeregter, die Kommentare immer abenteuerlicher: „Der hat sich in Afrika Malaria eingehandelt“, oder „Vielleicht kriegt er ein Kind“, „Nein, der hat einen zu dicken Frosch verschluckt und bekommt keine Luft“, bis zu „der ist nervös, weil in seinem Nest Ratten sind“. Schließlich holte man die Feuerwehr, und Kommandant Karl Roth fuhr mit zwei Kollegen die Kraftfahrdrehleiter bis zum Nest aus. Als Roth am Nest angekommen war, wurde Adebar plötzlich ganz ruhig, kein Zucken, kein Flattern. Unten angekommen, entpuppte sich der eigenartige Storch als ein naturgetreu nachgemachter Klapperstorch, der sonst einem Baby-Ausstattungsgeschäft als Reklamefigur dient. Von Karl Roth und einigen Feuerwehrkameraden war er in der Nacht zum 1. April auf dem Storchennest montiert worden und hatte so manchen Bensheimer in den April geschickt.

Seit Ende der 60er Jahre sind die Störche auf dem Schornstein ausgeblieben. Es dauerte Jahrzehnte, bis sich die Vögel wieder im Bensheimer Stadtgebiet ansiedelten. tn/BILD: Neu

Freier Autor Thomas Neu ist freier Fotograf und Autor

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