Bergstraße. In der fast voll besetzten Lampertheimer Domkirche wurde Sonja Mattes am Freitag in ihr Amt als Dekanin des Evangelischen Dekanats Bergstraße eingeführt. Die 47-jährige Pfarrerin ist Nachfolgerin von Arno Kreh (66), der sich nach zehn Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Zahlreiche Gäste besuchten den feierlichen Gottesdienst mit Probst Stephan Arras und den anschließenden Empfang in der Notkirche, wo Mattes im Juni letzten Jahres von der Synode des Dekanats mit 57 von 85 Stimmen ins Amt gewählt wurde. Ihre Stellvertreterin ist Silke Bienhaus.
„Die Neue“ repräsentiert das Dekanat nach außen und ist als Vorgesetzte von aktuell rund 60 Pfarrerinnen und Pfarrern auch für die Dienstaufsicht in den 44 Kirchengemeinden zuständig. Ihre reguläre Amtszeit beträgt sechs Jahre. Sie wird das Dekanat ab sofort gemeinsam mit Präses Ute Gölz leiten, die an der Spitze des Dekanatssynodalvorstands steht. „Alles hat seine Zeit“, betonte Gölz in der Domkirche. Der Amtswechsel zwischen Weihnachten und der Passionszeit bedeutet für die Evangelische Kirche an der Bergstraße neues Kapitel in schwierigen Zeiten. Sonja Mattes muss sich mit sinkenden Mitgliederzahlen, knappen Finanzen und einer riesigen Baulast auseinandersetzen. Stephan Arras sprach von einem immensen Vertrauens- und Relevanzverlust der Kirche in der Gesellschaft.
Auch die Missbrauchstudie in der evangelischen Kirche wurde thematisiert
Hinzu kommt die jüngst veröffentlichte „ForuM“-Studie, die erste umfassende Aufarbeitung zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und in der Diakonie. Sie berichtet von über 2200 Missbrauchsopfern. Für den Probst ein Erdrutsch mit unabsehbaren Folgen: „Wir wissen nicht, wie es mit unserer Kirche weitergeht.“ Auch die Konsequenzen des laufenden Reformprozesses „ekhn 2023“ seien heute noch nicht prognostizierbar. Man könne nicht sagen, ob die Idee, den Pfarrer als Teil eines multiprofessionellen Teams inhaltlich neu zu positionieren, „der Weisheit letzter Schluss“ sei. Innerhalb dieser strukturellen und personellen Dynamik der Evangelischen Kirche gehe es in den kommenden Jahren darum, sich unbekanntem Terrain mit Zuversicht und Mut zu stellen. „Ein guter Dekan ermutigt die Menschen, Neues auszuprobieren und Veränderungen zuzulassen“, so Arras.
Arno Kreh hatte in seiner Amtszeit große Herausforderungen zu meistern
Im Rahmen des Gottesdienstes erfolgte auch die offizielle Verabschiedung von Arno Kreh. Er wurde im September 2013 mit absoluter Mehrheit von der Synode gewählt – damals das glückliche Ende einer elfmonatigen Vakanz an der Kirchenspitze. Er war Nachfolger von Ulrike Scherf, die ab Februar 2013 als Stellvertreterin des Kirchenpräsidenten das zweihöchste Amt in der EKHN innehat. Bis zu seinem Wechsel an die nahe Bergstraße war er als Gemeindepfarrer in Groß-Umstadt und stellvertretender Dekan im Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald tätig. In seine Amtszeit fielen große Herausforderungen, etwa die Auflösung des Nachbardekanats Ried und die Eingliederung von zehn Kirchengemeinden des südlichen Rieds ins Dekanat Bergstraße. Auch mit Personalnot hatte Kreh zu kämpfen, zeitweise waren bis zu 20 Prozent der Pfarrstellen in seinem Zuständigkeitsbereich unbesetzt. In den vergangenen Monaten konnten immerhin die vollen Pfarrstellen – mit Ausnahme von Biblis-Nordheim – wieder neu besetzt werden. Bei seiner Wiederwahl 2018 sagte Kreh, es komme darauf an, Kirche auch in Zukunft so zu gestalten, dass sie nah und verlässlich bei den Menschen sei.
An dieser Haltung habe sich bis heute nichts verändert. Die Kirche, für die er vor 40 Jahren seine Arbeit begonnen hatte (er begann 1985 als Vikar), sei nicht mehr jene der Gegenwart, so der scheidende Dekan in Lampertheim. Die Entwicklungen seien schnelllebiger geworden, was zu einer spürbaren Verunsicherung führe. Heute mache sich in der Gesellschaft eine gewisse Verzagtheit bemerkbar, die Menschen seien insgesamt dünnhäutiger und reizbarer geworden. Auch seine Kirche neige zu einer „protestantisch depressiven Grundstimmung“, die es abzulegen gelte, um positiv in die Zukunft zu blicken und die Menschen auf diesem Weg wieder mitzunehmen. Kreh betonte den Geist Gottes als einen Geist der Kraft und der Besonnenheit. Mit dieser Grundhaltung müsse man sich den Herausforderungen stellen. Erst vor kurzem hatten sich der Pfarrer und das Dekanat angesichts des zunehmenden Rechtsextremismus sowie des aufkeimenden Antisemitismus öffentlich klar positioniert.
„Arno Kreh stand für theologische Orientierung und ein professionelles Kirchenmanagement“, so Stephan Arras in seinem Dank. Der probst betonte, dass die Predigt in der Domkirche nicht Krehs letzte gewesen sein müsse: Der Pfarrer genieße auch im Ruhestand ein Ordinationsrecht und kann weiterhin eine öffentliche Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung praktizieren. Über die Kosten seines kirchlichen Dienstes müsse man bei ihm direkt anfragen, so Arras augenzwinkernd.
Der Bergsträßer Landrat Christian Engelhardt sprach von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit des Dekans mit den kommunalen politischen Gremien der Bergstraße. Arno Kreh habe ein Jahrzehnt lang geprägt, was es heiße, an der Bergstraße evangelisch zu sein. Er habe stets mit offenen Ohren und sehr pragmatisch gehandelt. Engelhardt nannte beispielhaft Krehs Engagement bei den Tafeln, in den Diakoniestationen oder bei der Hospizarbeit. Er bescheinigte ihm eine wichtige Rolle beim Kampf gegen Rechtsradikalismus und in der Ausgestaltung einer humanitären Willkommenskultur im Kreisgebiet. tr
Ein Ansatz, den auch Sonja Mattes in ihrem neuen Amt leben möchte. Statt den Kopf in den Sand zu stecken, müsse Kirche positiv nach außen wirken und die Menschen anstecken und motivieren. Die Dekanin kündigte in Lampertheim einen pragmatischen und optimistischen Kurs an. In einer Phase, in der weite Teile der Gesellschaft das Vertrauen in die Zukunft verloren haben, sei das Vertrauen auf Gott umso wichtiger. Sie sei angetreten, um daran mitzuwirken. Mattes erwähnte neben der „ForuM“-Studie („Die dunklen Nischen der Kirche sind offensichtlich“) auch den gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck in Deutschland als verheerendes Zeichen für eine Demokratie. Sie sei aber froh, dass aktuell so viele Menschen auf die Straße gehen und sich ein breites Bündnis gegen Rechts formiert hat. „Wir brauchen einen ermutigenden Geist.“
Die neue Dekanin war zuletzt Referentin für Theologische Ausbildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Davor arbeitete sie elf Jahre lang als Pfarrerin in der Petrusgemeinde Urberach (Landkreis Offenbach). Sieben Jahre lang war sie stellvertretende Dekanin des Evangelischen Dekanats Rodgau. Mit ihrem Mann und den beiden schulpflichtigen Kindern zieht die Familie nach Bensheim-Gronau. Oliver Mattes wird im August Urberach verlassen und seinen Dienst als Seelsorger in den Evangelischen Kirchengemeinden Zell-Gronau und Schönberg-Wilmshausen antreten.
Die Nachfolge für das Dekan-Amt war lange geplant
Die Nachfolge für das Dekan-Amts war lange geplant. Als absehbar war, dass Arno Kreh Anfang 2024 in den Ruhestand gehen und daher nicht mehr für eine weitere Amtszeit zur Verfügung stehen werde, hatten die Kirchen- und die Dekanatsleitung das Bewerbungsverfahren frühzeitig eröffnet. Neben Sonja Mattes trat auch Pfarrerin Sabine Kazmeier-Liermann aus Mainz an. Probst Stephan Arras kommentierte die Personalie als erfolgreich. Auch viele Gäste in der Domkirche sahen die Nachfolgerin als richtige Wahl zur richtigen Zeit. Das Kirchenparlament habe eine kluge Entscheidung getroffen, so ein Gemeindemitglied aus Lampertheim beim Empfang.
Umrahmt wurde der Amtswechsel vom Chor der Bergsträßer Kantorinnen und der Dekanatsjugendband unter der Leitung von Bruno Ehret. Die musikalische Begleitung übernahmen Heike Ittmann (Orgel) sowie Falk Zimmermann, Tobias Blecher, Alex Petry und Heidi Merz.
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