Wohnen

Das Bensheimer Kirchbergviertel ist ein bedeutendes Stück Heimatgeschichte

Der Architekt Sanjin Maracic berichtet bei einem Rundgang über die baulichen Besonderheiten und Geschichten der Häuser.

Von 
Alicia Diry
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Diese alte Postkarte zeigt eine Aufnahme des Villenviertels in Bensheim am Fuße des Kirchbergs. Viele der Anwesen gehen auf die Arbeit von Architekt Heinrich Metzendorf zurück. © Archiv

Bergstraße. Was haben die Architekten-Brüder Metzendorf, das Dritte Reich und eine der größten Industriekatastrophen des 20. Jahrhunderts gemeinsam? Sie alle prägen die Geschichte des Kirchbergviertels oberhalb der Darmstädter Straße in Bensheim.

Seerosen und andere Wasserpflanzen ragen aus dem tiefblauen Teich empor – diese Bemalung der Fenster eines Metzendorfhauses in der Hochstraße könnte nicht künstlerischer sein. Doch bevor Architekt Sanjin Maracic das Gebäude sanierte, waren diese Fenster zugemauert.

Die ursprüngliche Version der in 1897 erbauten Villa enthielt bereits ein bemaltes Fenster, das jedoch 1921 bei einer Explosion in der BASF zersprang. Bei dieser Chemiekatastrophe detonierten innerhalb von vier Sekunden 500 Tonnen Düngemittel, die 561 Tote und ein Trümmerfeld in Ludwigshafen hinterließen. Der Druck der Explosion war so stark, dass das Fenster des Metzendorfhauses zerplatzte und erst nach der Sanierung Maracics wiederhergestellt wurde.

Das Tor ins Kirchbergviertel

Viele Häuser im Kirchbergviertel sind geschichtsträchtig – so auch die Metzendorfvilla an der Ecke zur Darmstädter Straße. Zur Zeit des Nationalsozialismus war in diesem Gebäude die NSDAP ansässig. Auch Adolf Hitler besuchte das eindrucksvolle Metzendorfhaus.

Maracic bezeichnet bei einem Rundgang durch das Viertel dieses Gebäude und das gegenüberliegende Mehrfamilienhaus, das ebenfalls ein Bauwerk Metzendorfs ist, als „Tor ins Kirchbergviertel“.

Die alte Aufnahme zeigt eines der beiden gespiegelten Landhäuser. © Archiv

Bei der Fahrt über die Darmstädter Straße ist ihm schon oft die Biegung an der Kreuzung zur Hochstraße aufgefallen. Der Knick in der Straßenführung sei darauf zurückzuführen, dass dort einmal ein Turm gestanden habe, um den die Leute damals einen Bogen fahren mussten.

Von der Hochstraße aus führt der Rundgang durch die bekannte Bensheimer Gegend über die Arnauerstraße. „Früher hatten Gartenzäune und Pflanzen einen anderen Stellenwert, als es heute der Fall ist“, betont der Architekt. Dabei zeigt er auf eine Villa mit einem verschnörkelten Zaun und zwei riesigen Eichen im Vorgarten. Zudem sei diese Villa ein Plagiatshaus aus Wuppertal, das von Metzendorf eins zu eins übernommen wurde. Auf dem Weg in Richtung Ernst-Ludwig-Straße sticht dem Architekten die Beschaffenheit des Gehweges auf der linken Seite ins Auge. „Hier befindet sich der einzige ungepflasterte Bürgersteig in Bensheim“, informiert Maracic.

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Nach einigen Metern und einer kleinen Abzweigung führt der Weg ins Herzstück des Kirchbergviertels. Ein altes Haus steht neben dem anderen. In den Anwesen verbergen sich spannende Geschichten. „Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten hier amerikanische Offiziere, die in den Gärten Schießübungen abwickelten. Man kann dort sogar heute noch Munition finden“, erinnert sich ein Anwohner an seine Kindheit zurück. Sanjin Maracic bestätigt, dass bei Renovierungsarbeiten auch schon einmal Handgranaten gefunden wurden.

„Im 20. Jahrhundert kamen viele ältere Leute nach Bensheim, um sich in ihrer Pension zur Ruhe zu setzen“, erzählt er. Die Gegend sei daher früher als „Goldstaub-Viertel“ bezeichnet worden, da die Familien, die damals hier wohnten, als reich galten.

Architekt Sanjin Maracic hat sein Büro in Bensheim. © come-to-web

Ein paar Schritte weiter steht ein mehrteiliges Gebäude in den Farben orange, grau und gelb, das nicht in die Architektur der Häuser in der Straße passt. Maracic erzählt, dass hinter der Fassade eine Metzendorfvilla stecke und dass ein vorheriger Besitzer das Haus für seine Tochter renovieren ließ.

„Wenn eine Generation Geld hatte, dann ließ sie die Villen meistens modernisieren. Deshalb war es sogar besser, wenn die Besitzer der Häuser nicht so viel Geld hatten“, schmunzelt der Architekt.

Besitzer gehen, Geschichte bleibt

Etwas oberhalb gelegen, steht ein besonders eindrucksvolles Gebäude. Die von Georg Metzendorf erbaute Villa ist mit roten Details an den Giebeln geschmückt, das dem Haus einen ganz besonderen Flair verleiht. Auf der Terrasse befindet sich sogar ein Bild von den Brüdern – Heinrich und Georg – die sich dort verewigt haben.

In unmittelbarer Nähe zum Bismarckbrunnen liegt das Haus, in dem Heinrich Metzendorf einst wohnte. Für jeden Spaziergänger ist der einstige Besitzer deutlich durch das Tor aus rotem Sandstein erkennbar. Eine Aufschrift mit „Heinrich Metzendorf, 1902“ bestätigt den ursprünglichen Eigentümer der Villa. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass das Gebäude durch einen Anbau erweitert wurde. „Die Kunst ist es, einen Hausanbau so wirken zu lassen, dass ein gesamtheitliches Bild entsteht“, gibt Maracic zu verstehen.

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Neben der großen Villa Heinrich Metzendorfs befindet sich ein kleineres Gebäude, das mit grünen Details und hellen Dachziegeln verziert ist. Im 20. Jahrhundert soll dieses Haus von Fürstin Marie Caroline von Schönberg an einen Bensheimer Pfarrer gespendet worden sein, berichtet ein Anwohner.

Auf der linken Seite der Straße stechen zwei elegante Landhäuser ins Auge, die in ihrer Bauweise gespiegelt sind. Sie sind mit einzelnen Zierelementen am Dach und ovaler Bemalung auf den Klapprollläden geschmückt. Sanjin Maracic renovierte beide Gebäude vor einigen Jahren und lebte einmal selbst in einem der Häuser. „Für mich sind es die zwei schönsten Metzendorfhäuser“, schwärmt der Architekt.

Der Rundgang führt weiter über die Bismarck- und die Roonstraße, in der überwiegend Gebäude aus den dreißiger und vierziger Jahren stehen. Auf dem Rückweg hält Maracic fest: „Die Besitzer der Häuser gehen, aber die Geschichte bleibt.“

Auch die „Villa“ des Caritasheims Sankt Elisabeth in Bensheim stammt von Architekt Heinrich Metzendorf. © Thomas Neu

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