Am Wegesrand

Die Auerbacher Pioniere und ihre Geschichte

Wer zu Fuß geht, der kann viel erleben und nicht nur nette Menschen zum Plausch treffen, sondern an allen Ecken auch (meist) steinerne Zeugen vergangener Zeiten. Genau besehen, ist das gesamte Bensheimer Stadtgebiet ein Freiluftmuseum!

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Manches übersieht man leicht, obwohl es ziemlich groß ist. Zum Beispiel das merkwürdige Wappen, das an der Mauer zwischen dem Bürgerhaus Kronepark und dem Hotel Krone in Auerbach angebracht ist. Es zeigt die ungewöhnliche Kombination eines Seepferdchens, einer Brücke und einer Weintraube. Eine kleinere erklärende Schrifttafel macht die Verwirrung womöglich nur größer: Wappen des Schwimmbrückenbataillons 850 „Auerbacher Pioniere“ von 1951 – 1983 in Bensheim-Auerbach stationiert. Patenbataillon der Stadt Bensheim, dessen außergewöhnliche Geschichte an dieser Stelle im Jahre 1951 begann.

1951 nämlich wurde das damals nicht bewirtschaftete Hotel Krone zum Quartier einer amerikanischen Militäreinheit, die – und das ist das Bemerkenswerte an der Geschichte – überwiegend aus Deutschen bestand, und zwar aus ehemaligen Angehörigen der deutschen Wehrmacht. Ausgerüstet mit amerikanischen Amphibienfahrzeugen, die 1944 bei der Landung in der Normandie gute Dienste geleistet hatten, sollte diese Kompanie dafür sorgen, dass im damals für wahrscheinlich gehaltenen Fall eines militärischen Angriffs von Osten die Versorgung von Westen über den Rhein gewährleistet werden konnte. Zunächst sollte das mit den DUKW genannten Amphibienfahrzeugen geschehen, später setzte die US-Armee dafür auch auf Schwimmbrücken, über die auch schwere Panzer und Geschütze den Fluss überqueren konnten.

Dass das amerikanische Militär dafür auf Deutsche zurückgriff, scheint sich aus zwei Gründen zu speisen: Um ihren ungeheuren Bedarf an Mitarbeitern zu decken, baute die US-Armee schon gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zunächst sogenannte Labor Services – Dienstgruppen – auf, für die sie unter anderem heimat- und arbeitslos gewordene ehemalige Zwangsarbeiter des Deutschen Reiches einstellte.

Die Vorbehalte waren groß

Aber man brauchte schließlich wohl auch die Unterstützung durch das einheimische, militärisch organisierte Personal der früheren Wehrmacht. Während im Hintergrund schon über Konzepte zur deutschen Wiederbewaffnung beraten wurde, waren die Vorbehalte dagegen innen- wie außenpolitisch groß.

So trugen die deutschen Dienstgruppen am Anfang der 1950er Jahre zwar zur Einsatzfähigkeit der alliierten Streitkräfte bei, stellten allerdings keinen deutschen Verteidigungsbeitrag im Sinne eigener Truppen dar. Konrad Adenauer förderte dieses Modell offenbar als Teil des Wegs zu einer eigenen Armee: In einem heftig kommentierten Interview für eine amerikanische Zeitung im Dezember 1949 forderte er, Deutschland solle zur Verteidigung Europas einen Beitrag in einer europäischen Armee unter dem Kommando eines übergeordneten europäischen Befehlshabers leisten und die Vereinigten Staaten müssten deshalb ihr militärisches Hilfeprogramm auf Deutschland ausdehnen.

In Bensheim wurden die Auerbacher Pioniere vielleicht deshalb als die „Adenauer“ bekannt. In einem ausführlichen Beitrag zu den „Mitteilungen“ des Museumsvereins Bensheim (1/2010) schildert der ehemalige Berufssoldat Alexander Klemm, der 1951 mit der Pionierkompanie nach Auerbach gekommen war, ausführlich die Geschichte dieser Einheit, die als erste rein militärische Verteidigungseinheit mit fast ausschließlich deutschem Personal unter einem kleinen amerikanischen Führungsstab agierte – und von Auerbach aus auch noch zwei weitere Standorte, in Ettlingen bei Karlsruhe und in Rüsselsheim, kommandierte.

Zunächst im Hotel Krone untergebracht, siedelten die Angehörigen der Kompanie später in eigens errichtete Kasernen um, die sich auf einem ehemaligen Wehrmachtsgelände östlich der Wilhelmstraße, südlich angrenzend an die Karl-Marx-Straße, befanden, wo auch der Fuhrpark untergebracht war. Zusätzlich wurden Führungsoffiziere in der von Heinrich Metzendorf errichteten Villa Eulenhorst untergebracht, wo sich heute in Bensheim das Caritasheim befindet. Und auch noch ein weiterer ehemaliger Wehrmachtsstandort, ein Depotgebäude an der Fabrikstraße, kam hinzu. Es entwickelte sich ein reges, geselliges Leben, zunächst in den Räumen der Krone, dann in einem eigenen Kasino auf dem Militärgelände, aber auch in der „Grünen Au“ in der Saarstraße, einer Gaststätte, die noch bis vor einigen Jahren bestand.

Legendär müssen auch die Festivitäten gewesen sein, die Lieutenant-Colonel Erich Schmidt, ein ehemaliger Major der deutschen Wehrmacht bis in die 1960er Jahre veranstaltete – manche älteren Bensheimer berichten noch heute davon. Schmidt hatte 1953 die amerikanische Führung abgelöst. Auch nach der Gründung der Bundeswehr im Jahr 1955 blieb der hybride Status der Auerbacher Pioniere noch über Jahre erhalten. Erst 1965 wurde die Kompanie von der Bundeswehr übernommen und sollte am Standort Auerbach – unter mancherlei Modifikationen – noch bis 1983 bestehen bleiben. 1993 wurde das Bataillon schließlich komplett aufgelöst.

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