Bergstraße. Siesta in Deutschland? Mediziner fordern die Einführung hitzebedingter Tätigkeitspausen und die Verlegung der Arbeit in weniger sonnenintensive Morgen- oder Abendstunden aus gesundheitlichen Gründen. Insbesondere für Personen mit körperlich anstrengenden Arbeiten oder im Freien Tätige.
Ob Musiker darunter fallen, ist noch nicht amtsärztlich geklärt. Das Bergsträßer Jazzpublikum jedenfalls hat am Samstagmittag eine kleine Abkühlungsphase eingelegt: Vor der Bühne am Bürgerwehrbrunnen war es aufgrund tropischer Temperaturen mit hoher Luftfeuchtigkeit etwas weniger belebt als sonst. Trotz wehendem Swing und erfrischendem Blues.
Aber warum sollte es Menschen anders gehen als Instrumenten, bei denen man ja weiß, dass das Umgebungsklima den Klang und die sonstigen Eigenschaften maßgeblich beeinflussen kann. Unterm Strich war der Konzerttag „Jazz von 10 bis Zehn“ aber überaus erfolgreich.
Nach einer etwas ruhigeren Piano-Passage mit dem Stefan Ulbricht Trio und einem kollektiven Durchatmen mit der Magic Ed Combo wurden die Temperaturen am frühen Abend etwas angenehmer – ein Geschenk für die Original Blütenweg Jazzer, die einen vitalen Ausklang des Jazz-Marathons gegen 22 Uhr eingeläutet hatten. Zu diesem Zeitpunkt war es richtig voll auf dieser kleinen Meile, die für kulturelle Veranstaltungen dieser Art nicht nur Atmosphäre, sondern auch eine ansprechende Akustik anzubieten hat.
Die Macher
- Das Bergsträßer Jazz-Festival wird veranstaltet von der Stadtkultur Bensheim, der Sparkasse Bensheim, der GGEW und dem Bergsträßer Anzeiger.
- Künstlerischer Leiter ist Professor Bruno Weis.
- Kulinarisch versorgt wurden die Gäste bei freiem Eintritt von Mitgliedern des Lions Clubs Bergstraße. tr
Den Anfang machte wie immer ein mobiles Einsatzkommando. Diesmal waren dies die Dixie Heroes um die Gründer Bernd W. Fischer und Paul „Hero“ Held. Eine Marching Band mit breitem Repertoire aus Dixieland, Skiffle, Jazz, Blues und Schlagern im Stil der 1920er Jahre, die nicht nur gut klingt, sondern auch recht flott zu Fuß unterwegs ist.
Drei Mal marschierte die Band durch die Innenstadt, ihr New-Orleans-Jazz mit jeder Menge Blech und Rhythmus war auch ein akustisches Werbebanner für das swingende Zentrum der Stadt Bensheim, das am Samstag eindeutig nicht auf dem Marktplatz lag. Mancher Jazzfan betonte sogar, dass dieser jegliches Swingen schon vor Jahren verloren habe. Wie dem auch sei: Der „Schorschblick“ wird ohnehin gerade für das Winzerfest perspektivisch weggezimmert. Da gab es also nix zu sehen und zu hören.
Leidenschaft am Boogie Woogie, Ragtime und Stride
Auf der Bühne am Bürgerwehrbrunnen war deutlich mehr Betrieb. Die Pianisten Stefan Ulbricht und Michael van den Valentyn wurden von Moritz Schlömer am Schlagzeug begleitet und servierten frühe Klavierstile der 30er und 40er Jahre. Die Tastenmänner lernten sich 2005 auf der Frankfurter Musikmesse kennen und teilten sofort ihre Leidenschaft am Boogie Woogie, Ragtime und Stride – sowohl solo wie auch im Duett. Die 176 Tasten kamen dabei ebenso ins Schwitzen wie jene Gäste, die den Platz vor der Bühne als Tanzparkett auserkoren hatten. Ob der „Boogie Woogie Stomp“ oder genre-fremde Titel: Das Trio schenkte auch Stücken aus anderen stilistischen Schubladen einen flirrenden Boogie-Groove.
Nach einem längeren Umbau präsentierte die Formation Magic Ed Combo Blues in Reinform. Das Aschaffenburger Trio um den Sänger und Gitarristen Marcus Staab befreit diese Musik von allen Fesseln und gießt sie in eine flotte Bühnenshow, die vom lässigen Texasblues über Jazziges bis zu Country und Rockabilly reicht. Das Publikum erlebte viel musikalische Dynamik, einen würzigen Sound und souveräne Instrumentalisten. Mit Detlef Schmidt am E-Bass und Gerhard Philipp am Schlagzeug passte auch das rhythmische Fundament für diese viel beklatschte Retro-Nummer.
Seit 1979 ist OBJ ein vielsagendes Kürzel in Bensheim und über die Bergstraße hinaus. Die Original Blütenweg Jazzer schaffen es trotz einer bewegten inneren Band-Dynamik mit personellen Wechseln, ihrem Sound und Stil treu zu bleiben. Die Melange aus Mitgliedern der Originalbesetzung und handverlesenen Gastmusikern war ein süffiger Mix für den Abend eines langen Musik-Buffets.
Mit Songs wie „Ice Cream“, „Johnny B Goode“ oder Louis Armstrongs „Tin Roof Blues” sorgte die Formation um Bruno Weis immer wieder für Abkühlung. Ansonsten bereiste die Band gewohnt ausgiebig das Mississippi-Delta und die Wiege des New-Orleans-Jazz, dem man sich seit bald 45 Jahren mit Herz und Seele widmet.
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