Blütenweg-Jazzer: musikalische Botschafter der Bergstraße

Die Original Blütenweg-Jazzer sind eine Bensheimer Institution. In diesem Jahr feiert die Band ihr 45-jähriges Bestehen. Ein Gespräch mit dem „Regisseur“ Bruno Weis.

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Das sind sie - die Blütenweg-Jazzer. © Thomas Neu

Bensheim. Als Bandleader muss man auch Psychologe sein!“ Für Bruno Weis ist es eine Art Lebensaufgabe, die Truppe zusammenzuhalten, sie zu motivieren, Konzerte zu koordinieren und personelle Ausfälle zu kompensieren. Seit 45 Jahren steht er seinen Mann. Gitarrenbanjo und Waschbrett spielt er im Sitzen. Der Rücken will es so.

„Ich bin musikalisch sicherlich nicht die wichtigste Stimme in der Band. Aber ich bin der Regisseur“, lächelt der 82-Jährige, der als Gründer und Chef eine Bensheimer Institution am Leben hält, die man längst nicht mehr von ihrem Sockel stoßen kann.

Die Blütenweg-Jazzer hatten über 1700 Gigs in 15 Ländern 

1979 hat er mit einer Handvoll musikalischer Nachbarn die Original Blütenweg-Jazzer formiert. Seither agiert er an der Jazz- und Dixieland-Front. Trotz Besetzungswechseln – auch biologischer Natur – hat er es geschafft, seine Crew nicht nur bei der Stange, sondern auch bei Laune zu halten. Dazu gehören Ausdauer, Überzeugungskraft und Management-Qualitäten. Die Band ist eine Marke, die dauerhaft gepflegt und nach innen wie nach außen repräsentiert werden muss. Das ist sein Job.

Dabei ist Bruno Weis von Haus aus Elektroingenieur und promovierter Lichttechniker. Über 20 Jahre lang hat er als Professor Vorlesungen an der Technischen Universität Berlin gehalten. Er war technischer Leiter bei der Fachfirma Schuch in Worms, mit er der immer noch verbunden ist, und hat mehrere Fachbücher veröffentlicht. Und er zaubert – vor allem den Menschen ein Lächeln ins Gesicht, wenn sie den unverkennbaren Blütenweg-Sound hören. Sein anderer Fachbereich, die Magie, hat er in den letzten Jahren etwas heruntergefahren. Der Terminkalender ist auch so prall gefüllt.

Bruno Weis mit all den Erinnerungen auf dem Tour-. und Banjokoffer, Cds und mehr. © Thomas Neu

Konzerte, Jubiläen, private Feste und immer wieder Benefizauftritte. Heute kann die Band auf über 1700 Gigs in 15 Ländern zurückblicken. Darunter Gastspiele in Südafrika, Irland, Polen, Italien und Litauen. Und natürlich auch in New Orleans: Vor 22 Jahren wurden sie mit dem Titel Ehrenbürger ausgezeichnet. Damit sind sie nicht allein. Doch das wirklich Besondere ist, dass der 22. Oktober im Kalender der Stadt am Mississippi als „The Original Blutenweg Jazzband Day“ geführt wird. Der Banjo-Koffer ist dermaßen dicht mit Aufklebern aus aller Welt versehen, dass er auch bei altersbedingter Materialschwäche nicht auseinanderfallen dürfte.

Der Sound: ein Frage-Antwort-Spiel zwischen den Instrumenten

Mittlerweile hat die Band über 400 Titel im Repertoire. „Wir spielen alles“, relativiert Bruno Weis und öffnet den Fundus der Truppe in Richtung Unendlichkeit. Der Stil: ungezügelter Dixieland mit kollektiven Improvisationen, rhythmisch-melodischen Brüchen, süffigen dirty Notes und fließenden Soli. Der Sound ist ein permanentes Frage-Antwort-Spiel zwischen den Instrumenten. Aber auch verjazzte Oldies aus Rock und Pop, klassische Schlager und internationale Lieder gehören zur Standard-Kollektion der Band mit Hubert Ensinger (Trompete, Posaune und Gesang), Dieter Kordes (Piano, Akkordeon, Gesang), Günter Flassak (Bass), Rainer Dorstewitz (Tenorbanjo) sowie Hans-Jürgen Götz am Schlagzeug und Markus Jörg (Klarinette, Saxofon), der mit Bruno Weis zur Urbesetzung gehörte.

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Durch ein Gartenzaungespräch mit seinem Nachbarn Siegfried Kintopf im Blütenweg entstand rund um Bruno Weis das erste Amateur-Jazzkollektiv, das damals noch unter den Namen „Flowerway Press Band“ oder „Flowerway Brass Band“ erste Auftritte gespielt hat. Eines der ersten, das auch bildlich dokumentiert ist, fand im August 1983 im Wendehammer des Blütenwegs statt. Mit dabei Harald Büttner am Schlagzeug, Wolfgang Völker an der Trompete, Siegfried Kintopf an der Posaune, Markus Jörg am Saxofon und Weis am Banjo. Am 19. September 1983 wurde die Band erstmals im Bergsträßer Anzeiger erwähnt.

Im August 1984 entstand in einem Tonstudio in Dillenburg die erste musikalische Aufnahme: eine Musikkassette mit dem Titel „Dixieland & Oldies mit den Original Blütenweg-Jazzern“. Darauf mit dabei sind neben Charly Andreas am Tenorbanjo bereits Günter Flassak und der vor zwei Jahren verstorbene Drummer Hans-Dieter „Dago“ Vötter, die später über viele Jahre ein fester Teil der Band waren.

1994 war ein vollgepacktes Jahr mit über 50 Auftritten

2022 war ein trauriges Jahr für die Musiker, denn auch Peter Glenewinkel hat die Weltbühne damals für immer verlassen. Die Gruppe spielt nicht nur bei Hochzeiten und Kindstaufen, sondern auch bei Beerdigungen. Der Blues gehört zum Leben. Die Momente in Moll werden häufiger, wenn man 45 Jahre gemeinsam unterwegs ist.

Für das Bensheimer Jazz-Unternehmen OBJ waren die 80er Jahre das Jahrzehnt des Aufstiegs. Flankiert von TV-Auftritten, Radiointerviews und bundesweiten Festivals. Am 20. Dezember 1990 wurde eine Gesellschaft bürgerlichen Rechtes mit dem Namen „Die Original Blütenweg-Jazzer“ gegründet. 1993 spielte die Band bei der „Autofreien Bergstraße“ in Zwingenberg – der Gig wurde damals live vom Hessischen Rundfunk übertragen.

1994 war ein vollgepacktes Jahr mit über 50 Auftritten, auf dem Wagen mit der Nummer 28 rollten die Jazzer beim Winzerfestzug mit. Es folgten Einladungen zu Wein- und Sektprämierungen unter anderem in Mannheim und in Kloster Eberbach. In den 90ern gehörte auch Schlagzeuger Fritz Straub zur Formation, die längst überregional bekannt war. Klaus Straub (Tenor-Banjo) war damals der Designer des bis heute verwendeten Schriftzug-Logos.

Mit dem Tourkoffer sind zahlreiche Erinnerungen verbunden. © Thomas Neu

An das Jahr 1995 erinnert sich Bruno Weis besonders gut. Der Vater von Boris Becker hatte am 18. März seinen 60. Geburtstag in der Stadthalle in Leimen gefeiert und hatte dazu die Original Blütenweg-Jazzer eingeladen. Mit dabei auch die Band von Beckers damaliger Frau Barbara, die spät nachts aus den USA anreist. Besonderer Wunsch von Karl-Heinz Becker: das Badnerlied. Eine Art Regionalhymne der Region Baden. „Der Text war auf der Rückseite der Speisekarte abgedruckt“, so der Bandleader, der mit seinen „Jungs“ 1996 im „Fröhlichen Weinberg“ im Südwestfernsehen zu Gast ist – und als Zauberer Rotwein einer Ausgabe des BA spurlos verschwinden lässt.

Auch das Jahr 1998 markiert einen Höhepunkt der Bandbiografie: Bei der Eröffnung der Internationalen Sommerfestspiele von Klaus P. Becker im Juni auf Schloss Auerbach spielten die Blütenweg-Jazzer zusammen mit dem Stargeiger Schnuckenack Reinhardt. Ohne proben. „Es hieß, er könne nicht lesen“, so Weis. Also weg mit den Texten und munter drauflos gespielt. Es folgten weitere Konzerte. Ende 1998 ging man gemeinsam ins Studio, es entstand eine legendäre Aufnahme mit bis dahin nie gehörten Einspielungen.

Das Thema Improvisation spielt bei dieser Band ohnehin eine prominente Rolle – nicht nur beim Spielen. Auch in puncto Logistik und Organisation. Die Original Blütenweg-Jazzer haben schon bei Stromausfall gespielt, in Flugzeugen und Zügen, auf Mississippi-Dampfern und Donaukreuzfahrtschiffen, vor dem Glacier-Express und 2006 sogar in der Dresdner Semperoper. „Wir haben zunächst die Garderobendamen bezirzt und uns während einer offiziellen Führung ganz kurz abgesetzt“, so Weis über die Strategie der Band, zumindest für einen kurzen Moment in der ehemaligen königlichen Hof- und Staatsoper Sachsens „auftreten“ zu können. Nach ein paar Takten in einem Seitengang nahe der Bühne wurde das Mini-Konzert flugs wieder aufgelöst.

Die Band gilt als musikalischer Diplomat im Ausland, was bei zahlreichen Reisen mit dem eigenen Fanclub – zuletzt 2021 – immer wieder deutlich wurde: Prag, Wien, Montreux, Litauen, Elsass, Piemont oder Rhone. Die Musik spielt überall. Heute leitet Weis’ Tochter Tina den Club als Vorsitzende.

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Seit 20 Jahren sind die Jazzer als offizielle „Botschafter der Bergstraße“ unterwegs. „Wir nehmen diesen Titel ernst“, betont der Chef der musikalischen Mission OBJ. Auch personell hat der Zauberer immer eine Karte im Ärmel: Fällt ein Musiker kurzfristig aus, kennt er mindestens vier bis fünf Kollegen, die er spontan anfragen kann.

Bei aller Dynamik in bald fünf Jahrzehnten Bandgeschichte habe die Existenz der Blütenweg Jazzer niemals auf dem Spiel gestanden, so Bruno Weis. Er selbst habe immer versucht, als menschliche Konstante zu wirken und den Geist der Truppe aufrechtzuerhalten. Wäre das nicht gelungen, gäbe es diesen Artikel nicht.

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