Bergstraße. Der Arbeitsmarkt verändert sich. Es entstehen neue Berufsfelder, Studiengänge und Abschlüsse. Angesichts dieser Dynamik und Komplexität ist eine solide Berufsorientierung enorm wichtig. Denn Fehlentscheidungen bei der Berufswahl führen zu Unzufriedenheit, Frustration oder zum frühzeitigen Abbruch der Ausbildung oder des Studiums.
Es gehört zu den großen Herausforderungen für die Zukunft der Gesellschaft, jungen Menschen nicht nur Bildung zu vermitteln, sondern ihnen auch optimale Studien- und Berufsbildungsmaßnahmen zu bieten. Doch wie genau finden Schulabgänger eine passende Ausbildung? Und wie können sie dabei unterstützt werden? Seit 2009 beteiligt sich der Kreis Bergstraße an der hessenweiten Strategie OloV zur „Optimierung der lokalen Vermittlungsarbeit im Übergang Schule-Beruf“. Ziel dabei ist es, den Übergang so zu gestalten, dass junge Menschen möglichst zügig und passgenau in eine Ausbildung vermittelt werden können. Das passiert durch eine vitale Kooperation und Koordination vieler verschiedener Akteure, die ständig ausgebaut und angepasst wird. Neben der Transparenz über Angebote und Maßnahmen in diesem Spektrum sollen außerdem Parallel- und Doppelstrukturen vermieden oder abgebaut werden.
Akteure ziehen positive Bilanz
15 Jahre nach dem Startschuss ziehen die Akteure eine überwiegend positive Bilanz. Das Jubiläum wurde am Donnerstag mit einem Fachtag begangen. Titel: „Schritte in die Zukunft: Berufsorientierung gemeinsam weiterdenken!“ Mit dabei waren neben Mitgliedern der zentralen Steuerungsgruppe viele weitere Beteiligte aus dem weiten Netzwerk der Initiative.
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Landrat Christian Engelhardt begrüßte zahlreiche Gäste im Parkhotel Krone in Auerbach. Er bezeichnete OloV als Bereicherung und als wichtiges Instrument am Übergang von Schule und Beruf. Das Programm sei längst ein fester Bestandteil der regionalen Arbeitsmarktstrategie und lebe letztlich vom dauerhaften Engagement seiner Protagonisten. Trotz der bisherigen Erfolge wolle und müsse man die Strategie auf Bergsträßer Ebene immer weiter entwickeln.
Akteure reden über Perspektiven
An Thementischen haben sich Vertreter der in der Steuerungsgruppe beteiligten Institutionen wie dem Staatlichen Schulamt, der IHK Darmstadt Rhein-Main Neckar, der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main sowie der Agentur für Arbeit Darmstadt und der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (Geschäftsstelle Darmstadt und Südhessen) zusammengesetzt und über Perspektiven gesprochen.
Doch zunächst reichte der Blick zurück auf die Anfänge. Karin Weißhaar und Hermann Riebel, die von Beginn an für die zentrale Koordination zuständig sind, beleuchteten die wichtigsten Stationen auf dem Weg nach vorn. Riebel, der als Sozialpädagoge vorrangig in der kreisweiten Jugendberufshilfe tätig ist, bilanziert eine positive Entwicklung, die aber auch durch viele Herausforderungen begleitet gewesen sei. Es habe beispielsweise viel Fingerspitzengefühl und Geschick erfordert, um die jeweils autonomen Institutionen innerhalb des Netzwerks als gleichrangige Partner zu gewinnen und die Balance dieser Akteure zu gewährleisten, die auf völlig verschiedenen Hierarchieebenen agieren.
„Es war ein Sprung ins kalte Wasser“, so Karin Weißhaar (Neue Wege Kreis Bergstraße, Kommunales Jobcenter), die als Tandem mit Riebel bis heute den regionalen Kurs managt. So viel Kontinuität ist hessenweit eine Rarität, wie Monika von Brasch in ihrer Funktion als Leiterin der hessenweiten OloV-Koordination betonte. Auf Anregung des Schulamts habe man damals begonnen, ein Netzwerk aufzubauen und eine Strategie zu etablieren, die in regelmäßigen Abständen verbessert und angepasst werde. Gerade im Kontext des Fachkräftemangels, der unsere Gesellschaft noch lange beschäftigen werde, sei es wichtig, dass jungen Erwachsenen eine hochwertige Berufsorientierung angeboten werde und sie dabei unterstützt werden, dass richtige Unternehmen zu finden, so der Landrat weiter. Dass man dabei auf einem sehr guten Weg sei, zeige die hessenweit vergleichsweise niedrige Arbeitslosenquote bei den unter 25-Jährigen von rund 3,4 Prozent. „Das sind aber immer noch zu viele“, so Engelhardt.
Darum geht es dem Netzwerk
Die agemeinbildenden Schulen in der Region sollen eine qualitativ gute Berufs-und Studienorientierung in Zusammenarbeit mit relevanten Partner auf dem Arbeitsmarkt anbieten. Dazu gehört die Sensibilisierung für ihren Berufsorientierungsprozess und das Vermitteln einer Berufswahlkompetenz. Dadurch sollen Schulabgänger lernen, auf der Basis einer fundierten Einschätzung der eigenen Qualifikationen und Kompetenzen eine sachgerechte Entscheidung zu treffen.
Zudem sollen junge Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf eine qualifizierte individuelle Begleitung genießen. Und nicht zuletzt will OloV auch dazu beitragen, die Gleichwertigkeit von beruflichen (duales System) und akademischen Bildungsabschlüssen in der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Die Prämisse war und ist, dass die Angebote auf bereits vorhandenen Strukturen, Ansätzen und Initiativen aufbauen und sich konkret an der regionalen Bedarfslage orientieren.
„Man musste sich in den vergangenen 15 Jahren auch von Ideen verabschieden“, so Karin Weißhaar über Modelle, die nicht mehr in den Landkreis gepasst haben oder aufgrund ihrer Konzeption gar nicht erst eingeführt wurden. Die Steuerungsgruppe entscheidet, an welchen Qualitätsstandards sie arbeiten will und welche Teilziele sie sich setzt.
Als Grundlage dienen nach wie vor die vorhandenen Aktivitäten und Kooperationsstrukturen im Kreis Bergstraße. OloV wird von allen Partnern des Hessischen Ausbildungspaktes mitgetragen und von der Landesregierung aus Mitteln des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, des Hessischen Kultusministeriums und der Europäischen Union Europäischer Sozialfond gefördert.
Diskussion über neue Standards
Im Workshop-Format wurde in Auerbach unter anderem über neue Standards im hessischen Übergangssystem, über eine spezielle App als Ersatz für den Berufswahlpass sowie eine Berufsberatung im Kontext Künstlicher Intelligenz (KI) diskutiert. Christian Lannert aus dem Berufsorientierungsteam am Beruflichen Schulzentrum Karl-Kübel-Schule in Bensheim sprach in einem Impulsreferat über berufliche Orientierung im Wandel.
Hier ging es um die Entstehung von Berufswünschen und aktuelle Erkenntnisse aus der Berufswahlforschung. Außerdem ging er auf die Unterstützung von Jugendlichen im Kontext Gender und Migration sowie neue Möglichkeiten durch Künstliche Intelligenz ein. Lannert ist unter anderem Lehrbeauftragter für Arbeitsbereich Berufspädagogik und Berufsbildungsforschung an der TU Darmstadt, wo er auch zum Komplex Berufswahl forschend tätig ist.
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