Bergstraße. Geht es nach den Börsen, ist die Wahrscheinlichkeit derzeit recht hoch, dass der Krieg in der Ukraine eher früher als später zu Ende geht. Denn nach dem Kurssturz von Anfang März steigen die Aktien wieder – wenngleich sie noch einiges von den Höhen des Jahresanfangs entfernt sind.
Weitere Einflussfaktoren auf die Kurse sind derzeit der erste und weitere angekündigte Zinsschritte der US-Notenbank, die angesichts der hohen Inflationsraten dringend geboten sind. Die Europäische Zentralbank (EZB) scheut sich noch, trotz auch hier stark steigender Inflationsraten. Die Finanzierung der Schuldenstaaten Südeuropas qua niedriger Zinsen scheint ihr wichtiger. Doch lange wird die EZB den Inflationsdruck nicht mehr ignorieren können und die Zinsen ebenfalls anheben. Doch steigende Zinsen verheißen in der Regel nichts Gutes für die Börsen. Immerhin: Dass die Anleger den sicheren Hafen Gold allmählich verlassen, könnte wiederum ein Lichtblick für die Börsen sein.
Depot Rhein-Main verliert deutlich
Drei Regionen – drei Depots: Das Aktienranking des Bergsträßer Anzeigers
Der Bergsträßer Anzeiger hat verschiedene regionale Aktiendepots zusammengestellt und berichtet in regelmäßigen Abständen über die Entwicklung dieser (fiktiven) Geldanlagen.
Im Depot Bergstraße/Südhessen sind die Anteilsscheine des Dentaltechnikweltmarktführers Dentsply Sirona enthalten, ebenso die Papiere von TE Connectivity. Beide Konzerne sind an US-Börsen notiert. Für den besseren Vergleich werden Euro-Wechselkurse verwendet. Mit von der Partie sind die Anteilsscheine des Flurfördertechnikunternehmens Jungheinrich und des Zwingenberger Biotechunternehmens Brain. Nicht fehlen darf natürlich der Dax-Konzern Merck aus Darmstadt.
Im Depot Rhein-Neckar liegen Aktien des Softwarekonzerns SAP, des Mannheimer Energieversorgers MVV, von Südzucker, dem Schmierstoffkonzern Fuchs Petrolub sowie der BASF.
Das Depot Rhein-Main enthält Papiere der Deutschen Bank und der Commerzbank, sowie von Lufthansa und Fraport. Hinzu kommt der Bad Homburger Fresenius-Konzern. mir
Angesichts dieser unsicheren Gesamt-Gemengelage haben sich die Aktien aus dem Depot Südhessen/Bergstraße in den vergangenen Wochen vergleichsweise gut geschlagen. Sie verloren in den vergangenen vier Wochen rund fünf Prozent an Wert. Zum Vergleich: Der Deutsche Aktienindex Dax gab um rund acht Prozent nach. Schlimmer erging es den Anlegern mit dem Depot Rhein-Neckar mit einem Minus von neun Prozent. Und noch stärker unter die Räder kam das Depot Rhein-Main. Die Papiere verloren rund 19 Prozent.
Im Depot Südhessen/Bergstraße hat die US-Bank JPMorgan das hohe Kursziel für den Darmstädter Merck-Konzern zwar gesenkt, ist aber weiterhin zuversichtlich. Das starke Wachstum des Pharma- und Chemiekonzerns sei nach dem jüngsten Kursrückschlag nicht angemessen eingepreist, meint Analyst Richard Vosser. Auch erschienen die Gewinnerwartungen des Marktes zu niedrig. Dazu passt: Die DZ Bank erwartet für 2022 ein solides Gewinnwachstum.
Höhere Dividende bei Sirona
Mit dem Aktienkurs von Dentsply Sirona, dem größten Arbeitgeber an der Bergstraße, ging es die vergangenen Wochen nach der Bekanntgabe der Zahlen für 2021 bergab. Die Umsätze kamen zuletzt kaum von der Stelle und auch erst das zweite Halbjahr 2022 soll besser laufen als das erste. Da nützten auch eine höhere Dividende und Aktienrückkäufe wenig. Seit einigen Tagen sieht es so aus, als wäre ein Boden gefunden. Es könnte wieder bergauf gehen.
Beim Elektronikkonzern TE Connectivity mit seinem großen Standort in Bensheim ging die Talfahrt des Aktienkurses weiter. Nach wie vor macht sich die weltweit rückläufige Autoproduktion bedingt durch die Corona-Pandemie sowie fehlende Chips bemerkbar. Den Rückgang konnte TE durch den Trend hin zu mehr Elektronik im Auto und hin zu E-Autos nur zum Teil auffangen. TE Connectivity stellt Steckverbindungen und Sensoren unter anderem für die Autoindustrie her.
Brain wieder unter Emissionskurs
Der Gabelstaplerhersteller Jungheinrich ist nach Ansicht von Analyst Philippe Lorrain von der Berenberg-Bank nach wie vor gut positioniert, um von den strukturellen Wachstumstrends im Flurförderzeug- und Lagerautomatisierungssektor zu profitieren. Die Bewertung von Jungheinrich erscheint ihm inzwischen zu günstig, um sie zu übersehen. Das Biotech-Unternehmen Brain ist nach wie vor auf dem Weg zur Profitabilität. Das hat der Vorstand jüngst auf der Hauptversammlung bekräftigt. Mit einem geringeren Verlust und einem gestiegenen Umsatz ist Brain in das Geschäftsjahr gestartet. An der Börse rutschte der Aktienkurs unter der Woche zeitweise unter neun Euro, dem Emissionskurs beim Börsengang 2016.
Im Depot Rhein-Neckar rechnet die Schweizer Großbank UBS bei der BASF mit massiv gestiegenen Energiepreisen. Die dürften den gesamten europäischen Chemiesektor im ersten Halbjahr 2022 erheblich belasten, so Analyst Andrew Stott. Angesichts des zunehmenden Inflationsdrucks, dem die Verbraucher weltweit ausgesetzt seien, rücke damit das Risiko einer Rezession in den Mittelpunkt.
Geringes Abwärtsrisiko bei SAP
Beim Softwarekonzern SAP hingegen könnten sich die Geschäfte stabiler entwickeln. James Goodman von der britischen Investmentbank Barclays meint, dass der europäische Unternehmenssoftware-Sektor der steigenden Inflation und dem sinkenden Wirtschaftswachstum mit einer guten Preissetzungsmacht, einem stabilen Kundenstamm und anhaltenden Wachstumsimpulsen durch den Digitalisierungstrend begegne. Das Abwärtsrisiko für die Gewinnentwicklung erscheine begrenzt.
Südzucker hingegen machen die hohen Energiepreise zu schaffen. Dies werde ein wesentliches Problem für den Zuckerkonzern, so Oliver Schwarz von Warburg Research. Zugleich rechne er jedoch nicht damit, dass der aktuelle Energiepreisanstieg dauerhaft sein werde.
Höhere Energiepreise werden aus Analystensicht auch den Schmierstoffhersteller Fuchs Petrolub belasten, so die gängige Analystensicht. Ganz anders sieht es beim Energiekonzern MVV Energie aus, der meldete auf der Hauptversammlung kürzlich einen Rekordgewinn und eine höhere Dividende. Und für dieses Jahr ist ein weiteres Gewinnwachstum avisiert.
Im Depot Rhein-Main das sich seit Jahresbeginn aus seinen Tiefständen etwas herausgearbeitet hatte, ging es in den letzten vier Wochen mit den Aktienkursen um fast ein Fünftel bergab. Die US-Bank JPMorgan hat das Kursziel für die Deutsche Bank gesenkt. Wegen des Ukraine-Krieges habe er seine Ergebnisprognosen für die europäischen Banken bis 2024 um bis zu 15 Prozent reduziert, so Analyst Kian Abouhossein in einer Branchenstudie. Zudem senkte er seine Aktienrückkauf- und Dividendenschätzungen. Seine Favoriten sind Deutsche Bank, UBS, Lloyds, AIBG, Sabadell und Nordea.
Die Commerzbank gehört nicht dazu. Die Wahrscheinlichkeit einer kurzfristig positiven Lösung des Ukraine-Konflikts sei sehr gering, weshalb der Tiefpunkt für die europäischen Banken noch nicht erreicht sein sollte, meint das Analystenteam um Benjamin Toms von der kanadischen Bank RBC. Die Experten erhöhten ihre Prognosen für die Eigenkapitalkosten der Geldhäuser. Wenn zwei Aktien aus der Bankenbranche während der Krise gehalten werden müssten, wären dies aus ihrer Sicht HSBC und UBS. Bei der Lufthansa sind die die operativen Voraussetzungen im aktuellen Branchenumfeld am schwierigsten, meint Analyst Alexander Irving vom US-Analysehaus Bernstein Research. Er verwies auf die relative Stärke der Lufthansa auf Fernstrecken nach Asien und bei Geschäftsreisen. Angesichts hoher Treibstoffpreise würden die Margenziele zu einer Herausforderung.
Mehr Risiken als Chancen sehen Analysten auch beim Flughafenbetreiber Fraport. Die Ergebnisse für das Jahr 2021 seien zwar etwas besser gewesen als erwartet, meint Analyst Dirk Schlamp von der DZ Bank. Für den Ausblick auf 2022 gelte aber das Gegenteil. Die Risiken seien mit dem Krieg in der Ukraine gestiegen und zu Jahresbeginn habe die laufende Omikron-Welle die Erholung etwas ausgebremst.
Bei Fresenius gibt es Licht und Schatten. Belastungen in den Krankenhaus- und Medizinsparten Helios und Kabi zehren den Optimismus für die Dialysetochter Fresenius Medical Care (FMC) auf, so Analyst Graham Doyle von der Schweizer UBS. FMC sei die Attraktion der Bad Homburger und dort könnten Anleger besser direkt investieren.
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