Börse

„Ein echtes Krisenjahr“

Der Deutsche Aktienindex Dax rutscht im ersten Halbjahr um 20 Prozent ab – und die Prognosen stimmen nicht besonders zuversichtlich

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Rolf Obertreis
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Analysten erwarten, dass der Dax erstmals seit 2018 das Gesamtjahr wieder mit einem Minus abschließt. © Arne Dedert/dpa

Frankfurt. „Allenfalls 2002 und 2008 können mithalten“, ulkt Ulrich Katers, Chef-Volkswirt der DekaBank. Damals war der Deutsche Aktienindex Dax jeweils um mehr als 40 Prozent eingebrochen. „Wir erleben eines der schlechtesten Aktienjahre überhaupt. Es ist ein echtes Krisenjahr.“ Abgesehen vom Januar war der Druck auf die Börse in den ersten sechs Monaten ständig hoch. Um rund 20 Prozent ist der Dax seit Ende 2021 abgerutscht, auf zwischenzeitlich weniger als 12 700 Zähler. Der MDax mit den 50 Aktien aus der zweiten Reihe hat sogar rund 25 Prozent verloren.

Eine Entwicklung, mit der kein Experte und keine Expertin gerechnet hatte. 16 000, ja sogar 18 000 Punkte hatten sie für Ende 2022 vorhergesagt – trotz Pandemie und ersten Anzeichen einer steigenden Inflation. Der russische Überfall auf die Ukraine am 24. Februar hat alles verändert. Auch für die Finanzmärkte markiert er eine Zeitenwende.

Schlusslichter in Europa

Am 5. Januar erreichte der Index mit den 40 Aktien der wichtigsten und größten hierzulande an der Börse gelisteten Unternehmen mit 16 285 Punkten einen neuen historischen Höchststand. Danach aber zeigte das Börsenbarometer praktisch nur noch nach unten. Der 24. Februar und der russische Angriff auf die Ukraine brachte die dramatische Wende auch für die Finanzmärkte. Der Dax verlor an diesem Tag fast 1000 Punkte und rutschte auf 13 800 Zähler ab.

Rasant steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise und damit auch eine rasant steigende Inflation, die Zinswende der Zentralbanken nachdem sie jahrelang das Geld bei Null-Zinsen extrem verbilligt hatten, wirtschaftliche Einbußen auch durch die Sanktionen gegen Russland, eingetrübte Konjunkturaussichten, sinkende Unternehmensgewinne – die Kette der negativen Nachrichten riss und reißt nicht ab. Selten war die Unsicherheit so hoch. Und das ist Gift für die Finanz- und Aktienmärkte.

Dax und MDax bilden im ersten Halbjahr mit die Schlusslichter der europäischen Börsenindizes und liegen auch deutlich hinter der Wall Street in New York, wo die Kurse im Schnitt rund 15 Prozent verloren haben. Deutlicher nach unten ging es im ersten Halbjahr allerdings an der US-Technologiebörse Nasdaq – mit einem Minus von fast 30 Prozent.

Im Dax gibt es gerade mal fünf Aktien, die im ersten Halbjahr zulegen konnte: Bayer um rund 22 Prozent, Telekom um rund 17 Prozent, Beiersdorf um neun, Deutsche Börse und RWE um knapp vier Prozent. Bei allen anderen 35 Aktien stehen zum Teil hohe zweistellige Minus-Prozente an der Kurstafel.

Zalando nimmt mit einem Abschlag von 65 Prozent den unrühmlichen Spitzenplatz ein. HelloFresh hat 53 Prozent verloren, der Labor-Ausrüster Sartorius rund 45, Infineon und Puma jeweils rund 40 Prozent. Auch im MDax ist die Zahl der Gewinner überschaubar. Weit an der Spitze steht der Rüstungskonzern Rheinmetall, dessen Aktie um fast 170 Prozent zugelegt hat. Bei K+S sind es 56 Prozent, beim IT-Unternehmen Aixtron 37 und bei der Erneuerbare Energien-Firma Encavis 14 Prozent. Insgesamt konnten nur acht der 50 Papiere positiv abschließen.

Die größte Einbuße musste der Energie-Konzern Uniper mit fast 70 Prozent hinnehmen. Dahinter rangiert Delivery Hero mit minus 64 Prozent, auch weil das Unternehmen den Dax wieder verlassen musste. Zu den Gewinnern zählte im ersten Halbjahr auch die Rüstungsfirma Hensoldt mit 85 Prozent.

Was bringt das zweite Halbjahr an der Börse? Klar ist: Ein gutes Börsenjahr wird es aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr werden, auch wegen der weiter schwierigen Corona-Lage in China verbunden mit Lockdowns und Produktionsstopps. Nach 2018 dürfte es erstmals wieder ein Jahr mit einem deutlichen Minus-Zeichen im Dax werden. Daran zweifelt praktisch kein Volkswirt und Börsenstratege.

Die Unsicherheit ist riesig. Kommt es zu einem Konjunktureinbruch, wenn es einen kompletten Stopp von Gasimporten gibt? „Der Vermögenserhalt steht in diesen Zeiten im Vordergrund“, sagt Joachim Schallmayer, Aktienstratege der DekaBank. Dabei sei die Diversifizierung eines Portfolios, also die Streuung über mehrere Aktien, über mehrere Fonds und über Anleihen, so wichtig wie selten zuvor.

Rezession nicht ausgeschlossen

Als Vorteil wertet er, dass die Stabilität des Finanzmarktes nicht gefährdet sei und viele Aktien mittlerweile wieder fair bewertet seien. Dies schütze in Krisenzeiten vor weiteren Kursrückgängen. Eigentlich. Aber die Risiken sind beträchtlich. Eine Rezession ist nicht ausgeschlossen, die Gewinne der Unternehmen dürften schrumpfen. Die Notenbanken werden im Kampf gegen die Inflation die Zinsen mehrfach erhöhen. Das ist eigentlich Gift für die Finanzmärkte. Schallmayer zufolge könnte der Dax zeitweise bis auf 11 500 Punkte zurückfallen.

Auch Moritz Kraemer, Chef-Volkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sieht den Index in den Sommermonaten noch einmal auf dem Weg nach unten und erwartet Ende September 12 500 Punkte. Auch Bernd Meyer von der Berenberg-Bank rechnet mit einer weiter schwierigen Phase an den Aktienmärkten. Erst zum Jahresende erwarten die Strategen eine „Bodenbildung“. Ob die Talsohle schon durchschritten wird, ist nach Ansicht von Sven Streibel von der DZ Bank allerdings fraglich. Gleichwohl sieht auch er im Jahresverlauf den Dax wieder auf dem Weg nach oben. Wie Meyer erwartet Streibel zum Jahresende wieder 14 500 Punkte.

Korrespondent Seit mehr als 20 Jahren arbeite ich für den Mannheimer Morgen und für andere wichtige Regionalzeitungen wie den Tagesspiegel/Berlin, die Badische Zeitung/Freiburg, die Südwest Presse/Ulm und den Münchener Merkur als Wirtschaftskorrespondent in Frankfurt. Banken, Europäische Zentralbank, Bundesbank, Börse und in Frankfurt ansässige Unternehmen wie Lufthansa und auch Verbände wie der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau VDMA zählen zu meinen Schwerpunkten. Daneben auch die Luftfahrt. Zudem befasse ich mich über die KfW Bankengruppe und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit Fragen der Entwicklungszusammenarbeit.

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