Gutachten

Was wirklich vor Corona schützt

Ob Maskenpflicht, 2G-Regel oder Lockdown, die Experten lassen keine Maßnahme komplett durchfallen

Von 
Julia Emmrich
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Wie wirksam war die Maskenpflicht in der Pandemie? Darauf liefert auch die Evaluierung durch eine Sachverständigenkommission keine klare Antwort. © Fabian Sommer/dpa

Berlin. Die Erwartungen waren groß, das Ergebnis ist ernüchternd: Die Sachverständigenkommission zur Evaluierung der Pandemiemaßnahmen hat ihr 160-Seiten-Zeugnis für die Politik vorgelegt. Was hat funktioniert? Was hat gefloppt? Die Antwort der Juristen, Virologen, Sozialforscher, Psychologen und Ökonomen fällt sehr differenziert und vor allem sehr gemischt aus. Keine Maßnahme ist komplett durchgefallen, aber nur zwei bekommen ein echtes Lob. Jetzt liegt der Ball im Feld der Ampel-Regierung.

„Es ist keine Generalabrechnung“, bilanzierte der Sachverständige Christoph M. Schmidt, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), am Freitag in Berlin. „Jede Maßnahme hat ihre Zeit“, ergänzte Hendrik Streeck, Virologe an der Universität Bonn. Selbst ein Lockdown könne am Anfang einer Pandemie helfen, das Gesundheitssystem zu schützen. Das Impfen als individueller Corona-Schutz spielte bei dem Gutachten keine zentrale Rolle.

Masken: Studien zeigten, das Tragen von Masken könne ein wirksames Instrument in der Pandemiebekämpfung sein. Aber: Eine schlecht sitzende Maske habe einen verminderten bis keinen Effekt. Zur Maskenpflicht haben die Experten eine klare Position: „Da die Übertragung des Coronavirus im Innenbereich ungleich stärker als im Außenbereich ist, sollte eine Maskenpflicht zukünftig auf Innenräume und Orte mit einem höheren Infektionsrisiko beschränkt bleiben. Eine generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken ist aus den bisherigen Daten nicht ableitbar.“

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Lockdown: Hier trauen sich die Experten kein endgültiges Urteil zu. Gerade zu Beginn einer Pandemie sei es sinnvoll, die Übertragung in der Bevölkerung zu reduzieren. „Wenn erst wenige Menschen infiziert sind, wirken Lockdown-Maßnahmen deutlich stärker.“ Aber: Je länger ein Lockdown dauert und je weniger Menschen bereit sind, die Maßnahme mitzutragen, desto geringer ist der Effekt und umso schwerer wiegen die nicht intendierten Folgen.“

2G/3G-Nachweise: Daumen hoch? Daumen runter? Weder noch. Der Effekt von 2G/3G-Maßnahmen sei bei den derzeitigen Varianten in den ersten Wochen nach der Booster-Impfung oder der Genesung hoch. Der Schutz vor einer Infektion lasse mit der Zeit jedoch deutlich nach. Der Rat der Experten: Sollte es Zugangsbeschränkungen geben, sollten sich bei den derzeitigen Varianten auch Geimpfte testen müssen.

Schulschließungen: „Ein sehr emotionales Thema – aber wir können es nicht in voller Gänze beurteilen“, so Streeck. Der Bericht bleibt daher sehr vorsichtig in der Bewertung: „Die genaue Wirksamkeit von Schulschließungen auf die Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus ist trotz biologischer Plausibilität und zahlreicher Studien weiterhin offen, auch weil im schulischen Bereich eine Reihe von Maßnahmen gleichzeitig eingesetzt wurden und damit der Effekt von Einzelmaßnahmen nicht evaluiert werden kann.“ Die Folgeschäden seien „nicht von der Hand zu weisen“.

Wirtschaftliche Folgen: Hier gibt es ein klares Lob: Bund und Länder hätten frühzeitig auf die drohenden Konsequenzen reagiert und große finanzielle Anstrengungen unternommen. „In der Tat ist es trotz bislang beispielloser Hemmnisse des Wirtschaftslebens nicht zu einem so starken Einbruch der Wirtschaftsleistung gekommen wie in der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09“, so die Experten.

Daten: Kritik üben die Experten an der Sieben-Tage-Inzidenz als Schlüsselparameter: Die Melderate sei abhängig von den Teststrategien, die Dunkelziffer an Infektionen werde nicht berücksichtigt. Eine tatsächliche Erkrankungsrate könne nur mit repräsentativen Zufallsstichproben ermittelt werden.

Die Runde aus Sachverständigen wurde jeweils zur Hälfte von der Bundesregierung und vom Bundestag benannt. Zu den prominenten Mitgliedern der Kommission gehörte zunächst der Virologe Christian Drosten, er stieg aber nach Kritik an Zusammensetzung und Arbeitsbedingungen aus. In ihrem Bericht klagen die Experten nun ebenfalls: Der Auftrag sei zu spät gekommen, es habe eine ausreichende Datenerhebung gefehlt.

Wie reagiert nun die Politik? Viel Zeit bleibt nicht: Am 23. September laufen die aktuell gültigen Corona-Regeln im Infektionsschutzgesetz aus. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann rief die Koalition zu raschem Handeln auf: Der Bericht zeige deutlich, dass es „ein breites Instrumentarium wirkungsvoller und bewährter Schutzmaßnahmen gibt“, sagte sie unserer Redaktion. Die FDP deutete das Gutachten auf ihre Weise: „Klar ist, dass es mit der FDP keine flächendeckenden Lockdowns oder Schulschließungen mehr geben wird“, sagte Fraktionsvize Lukas Köhler unserer Redaktion. FDP-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger betonte, die teils massiven Folgen der Maßnahmen für Familien müssten für den Herbst und Winter eine deutlich größere Rolle spielen. FDP-Justizminister Marco Buschmann hält aber eine erneute Maskenpflicht für möglich. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte am Nachmittag: „Ab heute wird verhandelt.“

Applaus gab es vor allem für die deutliche Kritik am Datennotstand: Der „Datenblindflug“ müsse endlich beendet werden, sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt. Ulrich Weigeldt, Vorsitzender des Hausärzteverbandes, sieht das genauso: „Die Verbesserung der Datenlage muss in den kommenden Monaten eine der absoluten Prioritäten sein.“

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