Caracas/Rio de Janeiro. Auf Wahlkampfreise ging Edmundo Gonzalez (74) zuletzt nur noch mit eigenen Lebensmitteln. Der Kandidat der Opposition für die anstehenden Präsidentschaftswahlen am Sonntag in Venezuela wollte niemand mehr in Gefahr bringen. Denn wenn Gonzalez oder die starke große Frau der Opposition, Maria Corina Machado, auf ihren Wahlkampfreisen in einem Hotel, Restaurant oder Café Halt machten, hatte das für deren Gastgeber fatale Konsequenzen: Ihre Gaststätte wurde von der politischen Polizei des Landes geschlossen.
„Von Wahlen kann man nicht sprechen“, sagt Juan Guaido, einige Jahre Interimspräsident und der bekannteste Gegenspieler des sozialistischen Amtsinhabers Nicolas Maduro, im Gespräch mit dieser Redaktion. „Freie und transparente Wahlen würden bedeuten, dass die Opposition selber entscheiden kann, wer auf dem Wahlzettel steht.“ In Venezuela konnte sie das nicht. Nach und nach verboten die regierenden Sozialisten den prominentesten Oppositionsköpfen die Teilnahme.
Die gesamte Opposition hat sich hinter Gonzalez vereint
Die meisten sind – wie Guaido – inzwischen im Exil. Machado aber blieb und mobilisierte die Massen. Aber auch sie traf der Bannstrahl der regierungsnahen venezolanischen Justiz. Erst kurz vor Toresschluss gelang es der Opposition, noch einen Kandidaten zu finden, den die Machthaber offenbar für ungefährlich hielten: Ex-Botschafter Edmundo Gonzalez.
Doch nun führt Gonzalez, hinter dem sich die gesamte Opposition versammelt, die Umfragen an. Und gibt sich betont diplomatisch: Anders als Machado, Guaido oder der ebenfalls ins Exil geflohene Leopoldo Lopez wählt Gonzalez eine besonnenere Sprache. Verspricht, dass Teile des Programms des zu Beginn der „Revolution“ enorm populären und im Jahr 2013 verstorbenen Hugo Chavez fortgesetzt würden. „Versöhnung“ ist das Wort, das ihm am häufigsten über die Lippen kommt.
Ganz anderes dagegen Nicolas Maduro. Der warnt vor einem „Blutbad“, sollte er verlieren. Venezuela entscheide „über Krieg und Frieden“. Und wahrscheinlich hat er sogar Recht, denn seine Macht stützte sich in den letzten elf Jahren auf gewaltbereite paramilitärische Banden, die Regierungskritiker gezielt terrorisierten. Der Nummer zwei hinter Maduro, Diosdado Cabello, werden enge Verbindungen zur Drogenmafia nachgesagt, ein Vertrauter prahlte einst damit, man habe freien Zugang zum Präsidentenhangar.
Maduros Blutbad-Warnung schreckte nun auch Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva auf. Er gilt in Lateinamerika als die wichtigste Stimme der demokratischen Linken, begann erst spät, sich von der autokratischen Linken wie Maduro zu distanzieren: ,,Demokratie bedeutet, wenn du gewinnst, bleibst du. Wenn du verlierst, gehst du.“ Eine Aufforderung, die in Caracas für Verstimmung sorgte.
Für Lula in Brasilien wie für Gustavo Petro in Kolumbien steht einiges auf dem Spiel. Beide Länder, wo heute schon viele der insgesamt acht Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner leben, die vor dem Regime geflüchtet sind, befürchteten einen erneuten Exodus, sagt Venezuela-Experte Thomas Wieland vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat: „Drei bis vier Millionen Menschen sitzen in Venezuela auf gepackten Koffern.“ Das hat auch Einfluss auf den US-Wahlkampf. Dort spricht der republikanische Herausforderer Donald Trump von einer Invasion über die Südgrenze, obwohl die Zahlen zuletzt rückläufig sind.
Venezuela ist ein wichtiges Puzzlestück im globalen Machtpoker. Russland, China und Iran haben sich in Venezuela direkt vor der Haustüre der USA mit Maduro einen strategischen Partner gesichert. Ob sie einen Machtwechsel zulassen, bleibt abzuwarten. Adveniat-Experte Wieland berichtet, internationale Beobachter gingen unisono von massiver Manipulation durch das Regime aus. Die EU-Wahlbeobachter sind ausgeladen.
Während bei sechs weiteren Jahren Maduro, unter dem das BIP des Landes in den letzten elf Jahren um bis zu 80 Prozent pro Kopf eingebrochen ist, ein weiterer Massenexodus droht, verspricht Maria Corina Machado eine Rückholaktion: „Die auseinandergerissenen Familien in Venezuela sehnen sich danach, wieder zusammengeführt zu werden.“ Mit einem Sieg der Opposition käme die Hoffnung zurück, die Millionen Venezolaner längst aufgegeben hätten.
Die Massen, die Machado trotz ihres Kandidatur-Verbots mobilisieren kann, sind beeindruckend. Die Regierung reagierte mit Verhaftungen des Umfeldes von Machado. Die Politikerin selbst berichtet von einem Attentatsversuch, so seien die Bremsschläuche ihres Fahrzeugs durchgeschnitten worden.
Nicht nur die weitere Entwicklung der Migration Richtung USA, sondern zuletzt auch Richtung Europa hängt vom Wahlausgang ab. Venezuela ist das ölreichste Land der Welt. Unter Maduro ist die Erdölproduktion eingebrochen. Weil Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty schwere Menschenrechtsverletzungen dokumentierten, der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag gegen Venezuela wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt und das UN-Menschenrechtskommissariat schwere Vorwürfe gegen Caracas erhob, verhängte die US-Regierung Sanktionen, unter anderem gegen die Ölindustrie.
Zuletzt lockerten die USA die Sanktionen leicht, unter anderem, weil mit Gonzalez ein wirklicher Oppositionspolitiker auf dem Wahlzettel steht. Der führt die Umfragen klar an. Die Regierung verweist auf eigene Umfragen, die sie vorne sehen. Auffällig dabei: Diese Institute gibt es erst seit kurzer Zeit. Das Regime kontrolliert die staatlichen Medien und hat in den vergangenen Jahren Hunderte von kleineren und mittleren unabhängigen Medien schließen lassen. Vor wenigen Tagen attackierte Maduro auch den US-Sender CNN sowie die internationalen Nachrichtenagenturen AFP, AP und EFE, die er als Müll bezeichnete. Sie würden behaupten, dass in Venezuela ein Wahlbetrug vorbereitet würde. Wer das Wort Demokratie in den Mund nehme oder schreibe, werde mundtot gemacht, berichtet Adveniat-Experte Wieland. Die Folge sei eine nahezu umfassende Selbstzensur venezolanischer Journalisten – aus Angst vor Repressionen und Verhaftungen.
Sollte Maduro die Wahlen entgegen der Prognosen gewinnen, könne dieser auf eine größere Legitimation als zuletzt bauen, prognostiziert Vladimir Rouvinski von der Universität Icesi in Cali. Die Folgen wären das Aufweichen von Sanktionen, zudem würden sich andere Nationen um wirtschaftliche Beziehungen mit Venezuela bemühen. Der US-Energiekonzern Chevron konnte Ende 2023 bereits die Produktion um 70 Prozent steigern. Maduro kündigte seinen Wählern nicht nur ein Blutbad im Falle einer Niederlage an, sondern auch „eine gesegnete, wunderbare Zeit des Wachstums und des Wohlstands“, sollte er gewinnen. Rouvinski kann sich einen Regierungswechsel nur schwer vorstellen: Der Chavismus (benannt nach Hugo Chavez) sei in keinem Falle bereit, die Macht abzugeben.
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