Migration

Städte und Gemeinden im Südwesten müssen Geflüchtete in Sporthallen unterbringen

Der Unmut in vielen Städten und Gemeinden im Südwesten wächst: Angesichts immer mehr ankommender Geflüchteter fühlen sich die Verantwortlichen vor Ort von Bund und Land allein gelassen. Auch Mannheim schlägt Alarm

Von 
Tatjana Bojic
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So sah es in der Mannheimer Lilli-Gräber-Halle noch vor einigen Wochen aus. © Florian Karlein

Baden-Württemberg. Vielen Landkreisen und Städten in Baden-Württemberg steht das Wasser bei der Flüchtlingsunterbringung bis zum Hals. Räume fehlen an allen Ecken und Enden, wie aus einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur hervorgeht.

Bis Jahresende wird allgemein eine noch stärkere und schnellere Zunahme der Flüchtlingszahlen erwartet. Auch Proteste gegen die Aufnahme stehen mancherorts auf der Tagesordnung.

Fast 800 Geflüchtete seit Jahresbeginn in Mannheim

In Mannheim etwa machen sich die bundesweit wieder deutlich zunehmenden Flüchtlingszahlen immer stärker bemerkbar. Bald seien alle Kapazitäten hier erschöpft, sagte Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) im Hauptausschuss des Gemeinderats vor einigen Tagen.

Bereits im Sommer 2022 hat die Stadt die Lilli-Gräber-Halle in Friedrichsfeld für die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine vorbereitet – letztlich aber nicht nutzen müssen. © Thomas Tröster

Allein im September kamen nach Angaben von Stadtsprecherin Carolin Bison 165 Menschen neu hinzu. Insgesamt seien es seit Jahresbeginn bereits 746. Im ganzen vergangenen Jahr waren es demnach nur 305.

Besonderer Status für Menschen aus der Ukraine

Die Zahl der aktuell in Mannheim lebenden Flüchtlinge bezifferte die Sprecherin mit 1550. Hinzu enthalten sind darin Menschen aus der Ukraine, die einen besonderen Aufenthaltsstatus haben und kein Asyl beantragen müssen. Derzeit seien in Mannheim 4769 von ihnen untergebracht, so Specht im Ausschuss.

Das wohl drastischste Beispiel für Proteste ist Burladingens Teilort Killer. Heftig wehren sich die Menschen dort gegen 40 Flüchtlinge die nach den Plänen des Landkreises in einem ehemaligen Gasthof ziehen sollen.

Wegen Raumnot Unterbringung in Hallen nötig

Die Fronten sind verhärtet. Der Zollernalbkreis vermutet eine Verzögerungstaktik. Mehrere Gespräche mit Bürgermeister Davide Licht, Alternativorte zu nennen, führten zu nichts. «Die Belegung von Hallen wollen wir, wenn möglich, vermeiden», sagte ein Sprecher.

Betten, eine Stehlampe und USB-Anschlüsse - mehr gab es in den Wohnkabinen in der Mannheimer Lilli-Gräber-Halle nicht. © Florian Karlein

Laut dem Landkreistag gibt es mehrere Landkreise, die im Rahmen der vorläufigen Unterbringung auf Sporthallen zurückgreifen müssen. So die Landkreise Böblingen, Heilbronn, der Alb-Donau-Kreis, Rems-Murr-Kreis, Enzkreis und Schwäbisch Hall. «Weitere Landkreise berichten von Planungen für die kommenden Monate», sagte ein Sprecher. Sämtliche verfügbare leerstehende Heime oder Hotels seien bereits angemietet.

Ein Überblick aus mehreren Landkreisen über die Vorbereitung auf den Herbst und Winter:

Der REMS-MURR-KREIS betreibt eine Notunterkunft in einer Turnhalle, die zu einem Berufsschulzentrum des Kreises gehört. Zusätzlich fungiert eine weitere Turnhalle im Kreis als Ankunftszentrum für ukrainische Geflüchtete, wie eine Sprecherin mitteilte. Eine weitere Nutzung von Turnhallen sei nicht geplant.

«Der Rems-Murr-Kreis schafft stattdessen mit Hochdruck neue Unterkünfte, um weitere Hallenbelegungen zu vermeiden und die derzeit belegten schnellstmöglich aus der Nutzung zu nehmen». Der Kreis erlebe eine breite Akzeptanz durch die Bürgerinnen und Bürger.

Dennoch sei mitunter der Unmut der Bevölkerung gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung spürbar. «Gegen die Geflüchteten selbst richtet sich diese Wut aber selten. Insbesondere die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten ist ungebrochen.»

Im HOHENLOHEKREIS werden aktuell eine Schulsporthalle in Trägerschaft des Hohenlohekreises sowie eine Sporthalle in Trägerschaft einer Kommune für eine Flüchtlingsunterbringung vorbereitet beziehungsweise genutzt. In der vorläufigen Unterbringung des Landkreises sind 663 Personen (Stand: 25.09.2023) untergebracht.

Im September wurden dem Landkreis 67 Asylbewerber und 4 Folgeantragsteller zugewiesen sowie 50 Schutzsuchende aus der Ukraine untergebracht. Im Januar 2023 waren es 44 Asylbewerber und 8 Schutzsuchende aus der Ukraine. «Es zeigt sich ein wachsender Unmut von Angrenzern und Bewohnern betroffener Ortsteile. Der Protest kommt durch Anrufe, Schreiben, Flyer, Unterschriftenaktionen oder initiierte Bürgerbegehren zum Ausdruck», sagte ein Sprecher.

Der BODENSEEKREIS betreibt aktuell 27 reguläre Gemeinschaftsunterkünfte sowie fünf Notunterkünfte in Sporthallen. Eine davon ist eine Berufsschule. Menschen aus der Ukraine sind großenteils privat untergebracht, weil diese einen anderen Aufenthalts- und Sozialstatus haben.

«In aller Regel werden die Unterkünfte akzeptiert, bei Neuprojekten gibt es einen großen Informationsbedarf, viele Diskussionen um Details und durch vereinzelte Anwohner kompromisslose Ablehnung», sagte ein Sprecher.

Im Kreis ESSLINGEN sind Flüchtlinge in kreiseigenen Immobilien untergebracht, die angemietet oder im Eigentum seien. Es handle sich um feste Gebäude, umgebaute Gewerbeimmobilien und große Notunterkünfte. Es sei davon auszugehen, dass die Unterbringung in Turnhallen aber nun erforderlich werde, sagte eine Sprecherin.

«Die Bürgerschaft zeigt sich zunehmend ablehnend gerade gegenüber der Unterbringung von sonstigen Flüchtlingen. Bei Flüchtlingen aus der Ukraine ist noch eine gewisse Solidarität zu spüren. «Es regt sich immer mehr Widerstand unter anderem in Form von Petitionen, Bürgerbegehren, Leserbriefen und im direkten Gespräch mit der Bürgerschaft.»

Im Landkreis GÖPPINGEN waren zwei Sporthallen am Berufsschulzentrum in Göppingen für die Unterbringung genutzt worden. «Diese konnten aber inzwischen geräumt werden, eine Halle steht dem Schul- und Vereinssport seit Schulbeginn wieder zur Verfügung», sagte eine Sprecherin.

Die zweite Halle solle ebenfalls schnellstmöglich wieder dem Schul- und Vereinssport zur Verfügung gestellt werden. Proteste gegen eine Unterbringung von Geflüchteten gebe es nicht. Vorbehalte konnten in allen Fällen ausgeräumt werden. «Die Flüchtlingszugänge bewegen sich nach wie vor auf einem hohen Niveau und es ist damit zu rechnen, dass sich die Zugangszahlen nochmals massiv verschärfen werden.»

Im Landkreis SIGMARINGEN werden aktuell keine Sporthallen für die Unterbringung von Geflüchteten genutzt. «Sämtliche Planungen und Bemühungen zielen darauf ab, das auch künftig zu verhindern», sagte ein Sprecher.

Bisher hätten auch bei Einwänden gegen die Maßnahmen zur Unterbringung von Geflüchteten durch den Landkreis stets von allen Beteiligten tragbare Kompromisse gefunden werden können.

Auch der Landkreis REUTLINGEN bereitet sich auf weiter steigende Flüchtlingszahlen vor. Zunehmen werde vermutlich auch die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, die durch das Kreisjugendamt betreut werden. Für Turnhallen gibt derzeit keine konkreten Pläne, wie eine Sprecherin mitteilte. «In unserem Landkreis und darüber hinaus erleben wir einen Erschöpfungsgrad in unserer bereits vielfältig belasteten Gesellschaft - sei es belastet durch den Fachkräftemangel, die Bewältigung des Klimawandels, den mangelnden Wohnraum oder die Folgen des Ukrainekriegs.

Dazukommen die hohen Zahlen an Geflüchteten, die ebenfalls zu bewältigen sind.» Es gebe weiterhin viele Personen, die sich tatkräftig im Haupt- und Ehrenamt engagierten. «Allerdings sind sie seit vielen Jahren aktiv und kommen ebenfalls an ihre Belastungsgrenze.»

Im Kreis ROTTWEIL werden derzeit keine Turnhallen und Sporthallen für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt. «Sollten die Zuweisungen von Asyl- und Schutzsuchenden weiterhin ansteigen, können wir eine Belegung der kreiseigenen Sporthallen zum Jahresende aber nicht ausschließen», sagte eine Sprecherin.

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Den Landkreis erreichten vereinzelt Protest-Schreiben aus der Bevölkerung, in Einzelfällen gebe es auch öffentlichen Widerstand. Die Anzahl der zugewiesenen Asyl- und Schutzsuchenden allein im September 2023 habe sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast verdreifacht.

In Baden mussten mehrere Kommunen auf Schulturnhallen und teilweise auf Zelte ausweichen. Weil immer mehr unbegleitete minderjährige Ausländer kommen, haben sich jüngst Karlsruhe, Mannheim und Freiburg sowie mehrere Kreise direkt an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gewandt.

Die Zugangszahlen in Freiburg und in anderen Stadt- und Landkreisen seien seit Anfang August stark angestiegen, berichtete die Stadt im Breisgau. Freiburg und andere Kommunen im süddeutschen Raum seien weit über die jeweiligen Kapazitätsgrenzen hinaus belastet. (lsw)

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