Politik

Diese Bilanz zieht Justizministerin Marion Gentges mit Blick auf die Flüchtlingskrise

Die baden-württembergische Ministerin der Justiz und für Migration, Marion Gentges, fordert einen konsequenten Umgang mit straffälligen Geflüchteten, beschleunigte Verfahren und eine Offensive gegen Cyberkriminalität

Von 
Kai Holoch
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Marion Gentges fordert, die Unterbringung von Flüchtlingen mehr als Daueraufgabe zu begreifen. © Lichtgut/Max Kovalenko

Frau Gentges, reichen die gesetzlichen Möglichkeiten zur Abschiebung ausländischer Straftäter aus?

Marion Gentges: Wir haben eher ein Vollzugsproblem, denn ein rechtliches. Beispiel Illerkirchberg: Sowohl das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch das zuständige Verwaltungsgericht haben geprüft und im Ergebnis rechtskräftig entschieden, dass für einen Straftäter aus dem Jahr 2019 keine individuellen Abschiebungshindernisse vorliegen. Damit sind die rechtlichen Voraussetzungen für die Abschiebung gegeben. Trotzdem erlaubt der Bund die Abschiebung nicht.

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Gentges: Ich möchte, dass wir den Vollzug ändern und in der Lage sind, Gefährder, die die Sicherheit unseres Landes beeinträchtigen, und schwere Straftäter leichter abschieben zu können. Ich glaube, dass wir da andere Maßstäbe anlegen dürfen. Deshalb haben wir uns auch mehrfach an die Bundesinnenministerin gewandt - bislang ohne Erfolg.

Womit begründen Sie diese Position?

Gentges: Die Genfer Flüchtlingskonvention enthält eine Regelung, wonach sogar politisch Verfolgte abgeschoben werden können, wenn sie zur Gefahr für die Sicherheit werden. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention steht nicht im Wege, wenn gerade kein Abschiebungsverbot festgestellt wird. Wir müssen im Vollzug unserer Regelungen zu mehr Konsequenz kommen.

Wie sieht aktuell die Flüchtlingslage in Baden-Württemberg aus?

Gentges: 2022 haben wir rund 180 000 Menschen aufgenommen. Die meisten von ihnen kamen aus der Ukraine. Wir hatten aber auch knapp 28 000 Asylantragsteller und 3400 Menschen, die über humanitäre Aufnahmeprogramme gekommen sind. Dazu gehören beispielsweise die Ortskräfte aus Afghanistan. Diese sehr große Zahl an Menschen stellt die Kommunen vor eine gewaltige Aufgabe, zumal ja schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs viele Unterkünfte belegt waren. Das macht die Aufgabe für die Städte und Gemeinden so herausfordernd.

Was haben Sie im Jahr 2022 gelernt?

Gentges: Den Krieg in der Ukraine konnte niemand vorhersehen. Ich glaube aber, dass wir gelernt haben, dass wir künftig die Unterbringung von Flüchtlingen, egal woher sie kommen, stärker als Daueraufgabe begreifen müssen. Das heißt, wir müssen beim Auf- und Abbau stärker Kapazitätspuffer berücksichtigen. Ganz wichtig war auch, dass wir ganz schnell den engst möglichen Schulterschluss mit den Kommunen gesucht und auch gefunden haben. Bereits am 26. Februar, am zweiten Tag nach Kriegsbeginn, haben wir einen Stab eingerichtet, in dem die Kommunen, die kommunalen Spitzenverbände und alle zuständigen Ministerien vertreten sind. So können Schwierigkeiten, sobald sie sich auch nur andeuten, kommuniziert werden. Natürlich schafft auch der Stab nicht im Handumdrehen alle Probleme aus der Welt. Er macht aber einen deutlichen Unterschied zum Umgang mit der Flüchtlingskrise 2015/2016.

Bei der Klausurtagung Ihrer Partei stand das Thema Sicherheit im Mittelpunkt. Welchen Beitrag kann Ihr Ministerium leisten, um das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung zu steigern?

Gentges: Bei der Justiz geht es schlicht darum, konsequent zu handeln und dort, wo das noch nicht optimal gelingt, die Voraussetzungen hierfür zu schaffen. Wir brauchen dafür das notwendige Personal, die notwendige Technik und gegebenenfalls auch Gesetze. Ein gutes Beispiel für konsequentes Handeln sind aus meiner Sicht die beschleunigten Strafverfahren. Bereits am 4. Januar konnte in einem beschleunigten Verfahren ein Silvesterrandalierer verurteilt werden. Ich glaube, das ist wichtig, weil die Strafe, die der Tat unmittelbar auf den Fuß folgt, wirksamer ist und zudem ein klares Signal in die Bevölkerung sendet: Wir verfolgen Straftaten mit aller Konsequenz. Das ist wichtig für das Sicherheitsgefühl.

Heilbronn ist bisher aber die Ausnahme.

Gentges: Wir versuchen, sukzessive die Gerichte und Staatsanwaltschaften mit zusätzlichem Personal zu verstärken, um beschleunigte Strafverfahren durchführen zu können. Allerdings sind solche Verfahren auch nur dort möglich, wo es um einfach gelagerte Sachverhalte, einfache Beweisbarkeit und einen Strafrahmen geht, der über ein gewisses Maß nicht hinausgeht.

Bei Jugendlichen ist das beschleunigte Verfahren rechtlich nicht möglich. Was kann man in diesem Bereich tun?

Gentges: Beispiele dort sind unsere Häuser des Jugendrechts, wo wir eine Zusammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendamt institutionalisieren, alles unter einem Dach zusammenfassen und es damit schaffen, Strafverfahren gegen Jugendliche wirklich zu beschleunigen. Auch hilft es, dass wir in diesem Bereich Sanktion und Hilfe zusammenführen, um kriminelle Karrieren von Jugendlichen zu beenden, bevor sie überhaupt richtig angefangen haben.

Und wie sieht es mit der Internet-Kriminalität aus?

Gentges: Für unser Projekt Cyber-crime-Zentrum haben wir jetzt die nötigen Mittel erhalten, um 2024 mit 50,5 Stellen das Zentrum an den Start zu bringen. Damit wollen wir die Kriminalität, die sich immer mehr in den digitalen Raum verlagert hat, wirksam bekämpfen. Wir wollen Sicherheit nicht nur denken, sondern wir wollen sie gewährleisten.

Infobox: Die Justizministerin

Marion Gentges, 1971 geboren in Haslach im Kinzigtal, ist studierte Fachanwältin für Arbeitsrecht.

Seit 2016 sitzt sie als Abgeordnete des Wahlkreises Lahr für die CDU im baden-württembergischen Landtag.

Seit Mai 2021 ist sie in der baden-württembergischen Landesregierung die Ministerin für Justiz und für Migration. hol

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