Zwingenberg. Brauchtum: Für die einen ist es das letzte verbliebene Relikt des Mittelalters, für die anderen ein Stück Heimat und Besinnlichkeit in einer globalisierten Welt. Unbestritten ist, dass Bräuche und Rituale eine über Jahrhunderte anhaltende Tradition in der Gesellschaft haben. Der Geschichtsverein Zwingenberg hatte jetzt zu einem Stadtrundgang zum Thema „Raunächte“ eingeladen, um lokales Brauchtum vorzustellen.
Es war zugegebenermaßen etwas kalt, als Nicole Rieskamp die zahlreich versammelten Bürger in der Scheuergasse begrüßte. In der ehemaligen Vorratskammer der Stadt wurde früher vorwiegend Holz und Streu für Vieh gelagert. „Durch die enge Bebauung der Kernstadt waren die Lagerbestände in den Holzhäusern leicht dem Feuer ausgesetzt. Daher beschloss man, die Vorräte außerhalb der Stadtmauern zu lagern, um diese im Falle eines Brandes zu schützen“, erklärte Rieskamp zu Beginn.
Im Gegensatz zu vielen Ritualen ist die historische Dimension der Scheuergasse schriftlich festgehalten. „Die meisten Bräuche wurden nur mündlich überliefert“, daher sei der genaue Ursprung oftmals unklar, betonte die Kulturanthropologin.
Geister und Dämonen vertreiben
Wissenschaftliche Beweise dürften für die Anhänger von Bräuchen und Ritualen ohnehin nicht das Wichtigste sein. Viel mehr geht es beim Aberglauben um übernatürliche Kräfte, die jedes Jahr in der Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönigstag ihr Unwesen treiben – sofern man den Sagen und Mythen Glauben schenken mag.
Die sogenannten Raunächte resultieren „aus der Differenz zwischen germanischem Mondkalender, der 354 Tage umfasst, und dem heutigen Sonnenkalender“, wie Rieskamp erläuterte. In diesen elf Tagen und zwölf Nächten sind die Naturgesetze dem Aberglauben nach außer Kraft gesetzt und es öffnet sich ein Tor für Dämonen.
Aus diesem Grund haben die Menschen schon vor Jahrhunderten Rituale wie das Feuerwerk an Silvester entwickelt, um die bösen Geister zu vertreiben. Auch wenn es seit geraumer Zeit immer wieder Diskussionen über dessen Sinnhaftigkeit gibt, spielen die Traditionen der Raunächte immer noch eine wichtige Rolle.
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Das wurde besonders deutlich, als es um den Heischebrauch des Sternsingens ging. Am 6. Januar ziehen die Kinder bekanntlich als die Heiligen Drei Könige verkleidet durch die Gemeinde, bringen ihren Sternsegen an den Häusern an und sammeln im Gegenzug Geld für wohltätige Zwecke.
Neu hingegen ist die Debatte um das sogenannte „Blackfacing“ (auf Deutsch: sich das Gesicht schwärzen), die auch in der Runde für Diskussion sorgte. Kritiker bemängeln, dass Klischees und Vorurteile gegenüber schwarzen Menschen gestärkt würden, wenn sich weise Menschen schwarz anmalen - so wie es bei einem der drei Sternsinger der Fall ist.
Die Gegenseite behauptet, die schwarze Farbe symbolisiere den afrikanischen Kontinent und sei Ausdruck dafür, dass Menschen aus aller Welt zu Gottes Sohn kämen. „Und was macht man dann mit einem schwarzen Sternsinger?“, wurde die etwas rhetorische Frage eingeworfen, die allerdings auch zeigte, dass die Debatte um Kultur und Rassismus nach wie vor ein polarisierendes Thema ist.
Auf breite Zustimmung hingegen stieß der beeindruckende Sonnenuntergang an diesem Tag. Von der 1258 erbauten Bergkirche aus bot sich den Teilnehmern ein imposantes Abendrot, welches sich über die mittelalterlichen Fachwerkhäuser der Zwingenberger Altstadt legte.
Wer die Geschichte und Kultur der ältesten Stadt an der Bergstraße selbst hautnah erleben möchte, kann dies am kommenden Sonntag, 8. Januar tun. An diesem Tag findet die letzte Raunachtführung der Saison statt. Treffpunkt ist um 16 Uhr am Museum in der Scheuergasse. Es wird um Anmeldung gebeten.
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