Zwingenberg. Wild und ungezähmt: Das sind sicherlich keine Eigenschaften, die auf die Blockflöte zutreffen. Doch welche Töne Tobias Reisige am Freitagabend in Theater Mobile seinen Blockflöten entlockt hat, geht weit über das hinaus, was Musikbanausen sonst von diesem Instrument erwarten. Die sonst so schüchterne Flöte tritt in diesen mehr als zwei Stunden mit rockigen Klängen in den Mittelpunkt – und wird damit dem Namen der dreiköpfigen Band gerecht. Denn „Wildes Holz“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem verstaubten Image der Blockflöte einen peppigen Schliff zu verpassen. Gemeinsam mit Markus Conrads (Kontrabass, Mandoline) und Johannes Behr (Gitarre) präsentiert Reisige nun die ganze Vielfalt des jüngsten Albums „Block Party“.
Allein Reisige hat mehr als ein Dutzend Blockflöten mitgebracht, darunter Exemplare wie eine etwa zwei Meter große Großbassblockflöte für die tieferen Lagen. Er nutzt sie, um das von Kontrabassist Conrads komponierte Stück „Lost Waltz“ zu spielen. Dieses Mal sitzt dieser aber an der Mandoline, einem kleinen, gitarrenähnlichen Zupfinstrument, das ein wenig heller klingt. Gemeinsam mit den tiefen Tönen der Großbassblockflöte verschmelzen die beiden zu einem harmonischen Klangbett, das gar beruhigend wirkt.
Mehr als ein Klassikinstrument
Deutlich lebensfroher wird es dafür mit dem „Ketchup Song“ der spanischen Girlgroup „Las Ketchup“, der zu Beginn der Zweitausenderjahre ein Sommerhit war – und zwanzig Jahre und viele Dauerschleifen später mittlerweile wohl bei manchem auf Ablehnung stoßen könnte. Nicht so die Version von „Wildes Holz“, die ganz ohne Gesang auskommt, und vor allem auf dem Charme der Blockflöte beruht. Diese weckt mit ihrem leichtfüßigen Spiel, das wie ein fröhliches Pfeifen klingt, die Vorfreude auf den spanischen Sommer, während der Fuß automatisch zur Partymusik wippt. Das zeichnet das Trio aus: Obwohl viele Zuschauer auf ihren Plätzen bleiben, nicken und wippen im Publikum viele mit, lassen sich von der Instrumentalmusik verführen, ohne dabei auszubrechen. Das gilt ebenso für den indischen Tanzsong „Mundian-Rider“, der an den berühmten „Mundian To Bach Ke“ angelehnt ist und an der Flöte zurückhaltender, dafür aber verschmitzter klingt.
Ganz eigen ist auch die Interpretation zum Disco-Schlager „Stayin‘ Alive“ von den Bee Gees. Hierzu legt Behr zunächst kraftvoll an der Gitarre los, dann übernimmt Reisige an der kleinen Sopranino-Blockflöte, der er schrille Töne entlockt – was hervorragend zum Gesang der Bee Gees passt, wie Reisige augenzwinkernd feststellt. Sanfter und nachdenklicher ist hingegen „Now and Then“ von den Beatles. John Lennon begann zu Lebzeiten mit der Komposition, konnte sie aber bis zu seinem Tod im Jahr 1980 nicht mehr fertigstellen. Die verbliebenden Bandmitglieder Paul McCartney und Ringo Starr verpassten dem Song vor Kurzem seinen letzten Schliff, es ist eine Art Abschiedssong der Beatles, der zudem bestens zu diesem Abend passt. Im Mobile wandern während des Konzertes immer wieder blaue und rote Scheinwerferstrahlen die Wände entlang und tauchen die kleinste Bühne Zwingenbergs in ein malerisches Ambiente, garniert mit den virtuosen Klängen der Flöte.
Weltreise durch die Musikgeschichte
Das Trio lässt zudem kaum ein Jahrzehnt aus. Neben den Bee Gees aus den Siebzigern spielen sie eine eigene Version von Peter Schillings „Major Tom“ aus den Achtzigerjahren, während das Publikum sanft zu den hohen, schier endlos wirkenden Tönen der Blockflöte summt. Mal wählt Reisige kurze, prägnante Tonfolgen, dann schwebt er mit nachhallenden Klängen nahezu durch das Lied.
Die Band selbst lässt sich aber lieber von Amerika inspirieren. Die drei Künstler tragen Trainingsanzüge, darüber hängen markante Goldketten, bisweilen ziehen sie zu den Songs eine Sonnenbrille auf. Angelehnt ist diese Optik an die amerikanischen Blockpartys aus der Hip-Hop-Kultur: Straßenfeste, bei denen sich die Nachbarschaft zum gemeinsamen Feiern trifft.
Ihre Heimat hat „Wildes Holz“ allerdings im Ruhrpott, weshalb das Trio diesem sogar einen eigenen Song gewidmet hat: „Muss“. Der klingt ausgesprochen gelassen und lädt gar ein wenig zum Dösen ein, ehe Reisige mit zwei, drei schrillen Tönen an der Flöte das Publikum wieder aufschreckt. Wenngleich der studierte Diplom-Jazz-Blockflötist an diesem Abend überragt, weil er die Lieder bisweilen mit rockigen Elementen betupft, sollen die beiden kongenialen Kollegen nicht vergessen werden.
Heimat, Humor und Hip-Hop-Vibes
Schließlich sorgt Conrads am Kontrabass sogar für perkussive Elemente, wenn er lässig mit der Hand auf den Instrumentenkörper schlägt. Ohne die geschmeidigen Gitarrenklänge von Behr wäre diese musikalische Melange der Holzinstrumente aber ebenso wenig möglich. Die rockigen Klänge zu „Locked Out of Heaven“ von Bruno Mars sowie der kubanische Klassiker „Chan Chan“ von Buena Vista Social Club unterstreichen das breite Repertoire der Band, das mit „Kein Ding“ eine kraftvolle Eigenkomposition mitgebracht hat.
Gleichwohl gibt es auch eine Solonummer an diesem Abend: „Shape of You“ von Ed Sheeran, gespielt von Reisige mit der Loop-Maschine. Was bedeutet, dass er Schritt für Schritt mit seinen verschiedenen Blockflöten die Sequenzen live einspielt, diese dann wiedergegeben und so übereinander gelagert werden. Also das, was schon Benny und Björn von ABBA in den Siebzigerjahren mit den glockenklaren Stimmen von Agnetha und Anni-Frid kreiert haben, entfaltet im Mobile mit der Blockflöte nun eine neue Wirkung, die gar ein wenig verspielt wirkt. Der Abschlusssong, die Titelmusik zu Pippi Langstrumpf, ist daher wohl bewusst gewählt. Denn nach dieser mehr als zwei Stunden langen Reise wirkt die Musik von „Wildes Holz“ wie: eine schräge, aber kunterbunte Welt.
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