Zwingenberg. In den deutschen Großstädten explodieren die Mieten und Immobilienpreise. Das Problem ist offensichtlich: Es gibt zu wenig bezahlbare Wohnungen. Die hochschießenden Bodenerträge und Bodenwerte der letzten Jahre sind der eigentliche Grund für den Anstieg der Mieten und Immobilienpreise. Das wichtigste Hindernis sind die Engpässe auf dem Bodenmarkt, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Dirk Löhr. Sein Vorschlag: Das Eigentum des Bodens müsse aus der Hand der Privaten in die Hand des Staats wandern und so der freien Marktdynamik mit seinen spekulativen Motivationen entzogen werden.
Im Zuge der zunehmenden Urbanisierung und Bevölkerungsentwicklung sei die Inwertsetzung des Bodens mehr denn je eine Gemeinschaftsleistung, so der Ökonom an der Hochschule Trier, der bei der Liberalen Runde der FDP in Zwingenberg im Gewölbekeller des „Bunten Löwen“ ausdrücklich feststellte: Nicht der einzelne Grundstückseigentümer legt die Bodenwerte fest, sondern die Allgemeinheit. Vor allem die öffentliche Infrastruktur stelle hier die Weichen. „Mieten werden für Standortvorteile bezahlt, nicht für Raumgröße.“ Unterschiede in den Immobilienwerten seien maßgeblich durch unterschiedlich hohe Bodenwerte bedingt.
Privatisierung öffentlicher Werte
Löhr stellt fest: Der wirtschaftliche Erfolg und die Lebensqualität einer Stadt beeinflussen die Preise. Finanziert würden diese öffentlichen Leistungen über Steuern. Doch der größte Teil der Bodenerträge und Bodenwerte komme letztlich einer Minderheit zugute. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte besitzen mehr als 60 Prozent des Nettovermögens, und der Löwenanteil ihres Kapitals bestehe aus Immobilien an guten Standorten mit hohen Bodenwerten.
Eine Frage, die so alt ist wie die Bibel: Wem gehören Grund und Boden?
Es ist schon bemerkenswert, dass sich die FDP jemanden einlädt, der sich kritisch gegenüber Privateigentum positioniert. „Ich bin keineswegs ein radikaler Sozi“, sagte Löhr augenzwinkernd bei der Liberalen Runde.
Doch mit seinen Ansichten sei er erstens nicht alleine und zweitens in überaus prominenter Gesellschaft, die auch der FDP keineswegs unangenehm sein dürfte. Schon liberale Ökonomen wie Herrmann Heinrich Gossen, Léon Walras und der „Urvater des Liberalismus“, John Stuart Mill, hatten Grundbesitz als Problem bezeichnet.
Allerdings ist Löhr auch realistisch genug, um zu wissen, dass eine Abschaffung des Privateigentums an Boden nicht durchsetzbar ist.
Ziel müsse daher sein, dieses Eigentum wirtschaftlich abzukoppeln und die Bodenerträge und Werte zum Gemeingut zu machen. Denn ohne Aussicht auf private Profite gäbe es keine Spekulation durch Investoren, und die Geschehnisse auf dem Bodenmarkt würden wieder zum Wohle der Allgemeinheit steuerbar.
Die Eigentumsfrage sei so alt wie die Bibel. „Grund und Boden darf nicht für immer verkauft werden, denn das Land ist mein und ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir“, heißt es schon im Alten Testament. Das Land gehört also Gott und damit nicht den Menschen; es ist keine Ware wie andere und soll nicht zum Gegenstand des Handels gemacht werden.
Auch der französische Philosoph Rousseau hatte Boden als Gemeingut eingefordert: Die Früchte gehörten allen, die Erde aber niemandem. Und sein Landsmann, der Sozialist Pierre-Joseph Proudhon hatte Eigentum sogar als Diebstahl bezeichnet. tr
Der Eigentümer verdiene damit Geld, ohne einen volkswirtschaftlichen Nutzen zu generieren. Öffentlich geschaffene Werte würden auf diese Weise privatisiert. Eine Schieflage, die es zu korrigieren gelte, so der Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik am Umwelt-Campus Birkenfeld. Circa 80 Prozent des globalen Anstiegs der Immobilienpreise würden durch gestiegene Bodenwerte verursacht.
Dass es auch anders gehe, zeige ein Blick nach Singapur. Die Steuerpolitik des Stadtstaates dürfte maßgeblich mit dafür verantwortlich sein, dass es seine ehemalige Kolonialmacht Großbritannien binnen weniger Jahrzehnte wirtschaftlich hinter sich lassen konnte, so Löhr. Obwohl es sich um eine der teuersten Städte der Welt handele, verfüge man über genügend bodenpolitische Steuerungsfähigkeit und finanzielle Kraft, um die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum zu sichern. 90 Prozent des Bodens gehören dem Staat.
Erbbaurecht ist eine gute Idee
In Deutschland müsse man den Kommunen bessere Möglichkeiten bieten, um überhaupt an Boden zu gelangen: etwa über kommunale Vorkaufsrechte. So könnten sie günstig Boden erwerben, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Eine strategische Bodenvorratspolitik würde ebenfalls für langfristiges Steuerungspotenzial sorgen, um Boden in Besitz zu halten.
Auch Erbbaurecht sei eine gute Idee, würde in Deutschland aber schlecht umgesetzt. Das Prinzip: Der Boden wird verpachtet und der Pächter kann dann ein Gebäude darauf errichten, das ihm auch selbst gehört. Hier habe man auf lange Sicht eine höhere Steuerungsfähigkeit als bei Volleigentum.
Dirk Löhr propagiert eine Besteuerung des Bodenwertes, auf diese Weise geben Grundstückseigentümer einen Teil des Nutzens zurück, den sie aus der Bereitstellung der kommunalen Infrastruktur ziehen und der sich in den Bodenwerten niederschlägt. Weil Gebäude ausgenommen sind, wird auch nicht die Schaffung von neuem Wohnraum steuerlich belastet.
Der Vorteil: Wird ein Grundstück nur wenig genutzt oder in spekulativer Absicht ungenutzt vorgehalten, ist die Steuer genauso hoch. So entstehe ein sanfter Druck, der zu einer effizienteren Nutzung der knappen Ressource Boden und der Einhaltung planerischer Vorgaben führen könne. Zudem würde ein Teil der Bodenerträge nicht mehr in private Taschen, sondern in den Gemeindehaushalt fließen. „Anders als bei anderen Grundsteuermodellen werden wertvolle Immobilien relativ zum Wert höher belastet als weniger wertvolle.“
Boden ist kein Konsumgut
Seine These: Privateigentum an Grund und Boden hat in einer Marktwirtschaft, die von Angebot und Zahlungskraft gelenkt wird, eigentlich nichts verloren. Denn Boden sei keine Ware wie jede andere und kein normales Konsumgut. Damit hatte das Bundesverfassungsgericht 1967 die biblische Feststellung untermauert. Argument: Er ist begrenzt verfügbar, nicht beliebig reproduzierbar und als Fläche auch nicht transportabel.
Wohnen ist Grundrecht
Privates Grundeigentum sei kein Naturrecht. Doch Wohnen ist für alle existenziell, also ein Grundrecht - und bezahlbares Wohnen eine Frage der Menschenwürde. Das Privateigentum an Grund und Boden erbringe indes leistungslose Einkommen. Es wirke gleichsam als gigantische, ineffiziente Umverteilungsmaschine.
Für die örtlichen Freidemokraten und ihr gutes Dutzend Gäste, die Nick Diefenbach vom FDP-Vorstand am Mittwochabend begrüßte, mehr als genug Stoff für weiterführende Diskussionen im Anschluss an den Vortrag.
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