Zwingenberg

Auf den Spuren von Geistern und Dämonen in Zwingenberg

Die Zeit der Raunächte gilt seit jeher als eine besonders magische und geheimnisvolle Zeit. Welche Bräuche an diesen Tagen üblich waren, darüber berichtete Nicole Rieskamp im Rahmen einer Stadtführung in Zwingenberg.

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Zwischen den Jahren: Der Geschichtsverein Zwingenberg hatte zu einer Stadtführung eingeladen, die sich um das Thema Raunächte drehte. © Thomas Zelinger

Zwingenberg. An einem frostigen, kalten Dezembertag brennt ein Kaminfeuer in der Mitte des Raumes. Draußen fällt leise der Schnee, der Wind heult auf. Das können doch nur Geister sein? Deshalb besser nicht aus dem Fenster gucken.

So in etwa könnte ein Tag in den Raunächten während der Zeit der Kelten und Germanen ausgesehen haben. Die sogenannten Raunächte finden zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar statt. Diese Zeit gilt seit jeher als eine besonders magische und geheimnisvolle Zeit. Welche Bräuche an diesen Tagen üblich waren und was es mit dem Begriff „zwischen den Jahren” auf sich hat, klärte Nicole Rieskamp im Rahmen einer Stadtführung vom Zwingenberger Geschichtsverein auf.

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„Früher hatte die Natur eine viel größere Bedeutung für die Menschen als heute. Sie waren sehr mit ihr verbunden”, erläuterte Rieskamp. Die Menschen glaubten an Geister, Dämonen und Glücks- sowie Unglücksbringer und bezogen diese auf die Naturgewalten. Daher kam auch der Aberglaube, dass der Wind mit heulenden Geistern assoziiert werde.

Die Mystik der Raunächte gehe auf die Zeit der Germanen zurück, in der das Jahr mit Hilfe der Mondphasen eingeteilt und nach dem Mondkalender gelebt wurde. Ein Monat hatte damals entsprechend einer Mondphase 28 Tage, anstatt 30 oder 31. Im Gegensatz zum Sonnenjahr hat das Mondjahr also nicht 365 Tage, sondern nur 354 Tage. Damit fehlten in der Zeit der Mondjahre am Ende des Jahres elf Tage, beziehungsweise zwölf Nächte. In diesen Nächten, so glaubte man, waren die Gesetze außer Kraft und somit für die Geisterwelt offen.

Kuriose Neujahrsbräuche

Ein Fachwerkhaus steht neben dem anderen und eine Skulptur mit einem Mann, der mit seinem Schaf Gassi geht - das kann nur die Scheuergasse sein. Allein der Startpunkt der Stadtführung ist ein geschichtsträchtiger Ort. „Um 1500 wollte man die Vorräte der Stadt auslagern und errichtete hier viele Scheunen”, erklärte Nicole Rieskamp. Früher habe es sogar zwei solcher Gassen gegeben, die andere wurde jedoch abgerissen. „1970 sollte die heutige Scheuergasse abgerissen werden, die Zwingenberger rebellierten aber dagegen, also steht sie heute noch.“ Die Bronzestatue in Richtung Hauptstraße zeigt den Geschäftsführer und Verleger des Bergsträßer Boten, Max Teichmann, der sich ein Mal die Zeitung von einem Kunden mit einem Schaf bezahlen ließ. Zur Zeit des Dritten Reichs wurde die Tageszeitung eingestampft.

Bereits während des Ersten Weltkrieges habe sich der Brauch etabliert, Weihnachts- und Neujahrsgrüße gemeinsam zu verschicken. Dies lag am Papiermangel zu dieser Zeit. Auch die Zwingenberger hatten einen eigenen Neujahrsbrauch im 19. Jahrhundert entwickelt. „Es wurde eine Blechdose mit Carbid gefüllt und ein brennendes Streichholz in die Dose gehalten”, erklärte Rieskamp. Danach habe man die Worte „Gesundheit und neues Leben, soll neues Jahr ergeben” gesagt.

Bis 1968 war das Rathaus noch das "Schlösschen"

Beim Löwenplatz angekommen, fiel das wohl markanteste Gebäude Zwingenbergs ins Auge - der Bunte Löwe. „Im Mittelalter war das Gasthaus von einer Stadtmauer und zwei Toren umgeben. Alle Passanten mussten durch Zwingenberg, um nach Norden oder Süden zu gelangen”, erläuterte Rieskamp. Die Tore hatten jedoch feste Schließzeiten, weswegen der Bunte Löwe als Unterschlupf für Durchreisende diente. Im Zuge dessen fragte Rieskamp die rund 30 anwesenden Teilnehmer, welche Speisen sie an Silvester auftischen. Als die Gerichte Linsensuppe und Sauerkraut fielen, erklärte sie, dass dies eine Tradition sei, um das Kleingeld im nächsten Jahr zu sichern.

Das Rathaus in der Nähe des Bunten Löwen war bis 1968 noch unter einem anderen Namen bekannt - nämlich „Schlösschen“. „Erbaut wurde die ehemalige Burg im 16. Jahrhundert von dem Amtmann zu Auerberg, der auch unter dem Namen Eberhard von Bischofsrode bekannt war”, erklärte sie. Im Jahr 1968 habe die Stadtverwaltung schließlich das Gebäude samt der westlich angrenzenden Gartenanlage erworben und in das heutige Rathaus umgestaltet. Der Blick in Richtung Eiscafé verrät, dass dort einst die alte Stadtmauer stand und somit noch heute die Geschichte Zwingenbergs zu erkennen ist.

Stadtführerin Nicole Rieskamp hatte viel Kurioses zu berichten. © Thomas Zelinger

Weiter führte der Weg durch die Obergasse. ,,Früher waren hier eine Vielzahl von Gaststätten anzutreffen, heute ist nur noch ein Bruchteil geblieben”, erwähnte Rieskamp. Oben an der Bergkirche angekommen, lässt die Aussicht über die Stadt das Gesprochene der Stadtfüherin schon vermuten: ,,Zwingenberg teilt sich in eine Ober- und Unterstadt auf.” Im 16. Jahrhundert sei die ganze untere Stadt bis auf das Haus neben der Kirche abgebrannt. Dies sei auch der Grund gewesen, weswegen die Vorräte der Stadt in die Scheuergasse ausgelagert wurden.

Ein Turm ohne Treppen

„Die Bergkirche wurde im 13. Jahrhundert von Graf Diether V. von Katzenelnbogen erbaut”, berichtete Rieskamp. Da es für die Zwingenberger zu gefährlich gewesen sei, jedes Mal nach Bensheim in den Gottesdienst zu gehen, ließ er 1258 mit Zustimmung des Mainzer Bischofs eine Kirche in Zwingenberg errichten. „16 Jahre später erhielt Zwingenberg dann Stadtrechte und ist somit sogar älter als Darmstadt”. Das Neujahrsläuten um Mitternacht sei seit dem 20. Jahrhundert eine Tradition der Zwingenberger.

Im Laufe der Zeit gab es in Zwingenberg verschiedene Schulgebäude. Unweit der Kirche entfernt hätte sich von 1692 bis 1791 eine Schule befunden. „Ein damaliger Lehrer pflegte den Brauch, jedes Neujahr mit Kindern von Haus zu Haus zu gehen und dort vorzusingen”, erläuterte die Stadtführerin. Sie alle hielten einen Stock mit einer Papierlaterne in der Hand, einer war sogar so lang, dass er bis in den zweiten Stock des Hauses gereicht hätte.

Habseligkeiten gegen eine Flasche Wein zurücktauschen

Ein paar Meter weiter stehen die Überreste der Aul. Dieses Tor diente einst als Durchgang für die Weinbauern. „Früher waren hinter dem Tor Schießgärten, um sich auf einen Angriff vorzubereiten”, so Rieskamp. Interessant sei zudem, dass der Turm ohne Treppen gebaut wurde, damit Angreifer nicht so einfach über die Mauer kamen. „Den Aussichtspunkt erreichte man nur über eine Leiter”, fügte sie hinzu.

Am Haus Germann oder auch Walbrunner Hof angekommen, erklärte Rieskamp, dass die ehemalige Burg seit 1641 im wechselnden Besitz sei. Heutzutage gehöre das Anwesen der Bäcker-Familie Germann. „Überlieferungen besagen, dass ein Brauch des Hofes am zweiten Weihnachtsfeiertag der Wechsel des Arbeitgebers für die Angestellten war.” Wenn sie dies jedoch nicht taten, wurden ihre Habseligkeiten aus ihrem Bettkasten entwendet und nur gegen eine Flasche Wein zurückgegeben, so Rieskamp.

Orgelwerkstatt im Habanero

Den steilen Hang hinunter in Richtung Obergasse soll sich einst ein früherer Marktplatz befunden haben. „Das Habanero war damals eine Orgelwerkstatt und gegenüber befand sich die örtliche Synagoge”, erklärte Rieskamp. Hier berichtete die Stadtführerin, warum man zu den Tagen zwischen Weihnachten und Silvester ,,zwischen den Jahren” sagt. „Bis ins 16. Jahrhundert orientierten sich die Menschen am julianischen Kalender, bis Papst Gregor der VIII. die Schaltjahre einführte.” Da es damals seitens der Protestanten eine Aversion gegen alles Katholische gegeben habe und sich die Kalender überlappten, habe man diese Tage dann „zwischen den Jahren” genannt.

Der heutige Standort des Marktplatzes ist wesentlich größer, was damit zu tun hat, dass dieser Ort im Mittelalter ein Wassergraben der Wasserburg der Grafen von Katzenelnbogen gewesen sei. Als das Grafengeschlecht ausgestorben war, sei der Graben trockengelegt und im 16. Jahrhundert an die Stadt Zwingenberg verschenkt worden.

Vom Jagdschloss über das Amtsgericht zum Theater

Im Zuge dessen erläuterte Rieskamp einen weiteren Brauch, der mit der Neujahrsbrezel zusammenhängt. Paten verschenkten die Brezeln an ihre Patenkinder, die sie dann an ihr Fenster hingen und erst ein paar Tage später aufessen durften. Eine andere Überlieferung besage, dass Männer um eine Neujahrsbrezel Karten spielten und sie dann an ihre Frau verschenkten. Vom Gastwirt bekamen sie dann ein Essen gratis.

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Bei der letzten Station, dem Theater Mobile, erklärte Rieskamp, dass die Räumlichkeit in der Vergangenheit erst als Jagdschloss und später als Amtsgericht fungierte. ,,Schon damals wurden während der Raunächte die Stallungen mit Kräutern ausgeräuchert, um die Geister zu vertreiben.” Heute sei es ebenfalls eine gängige Tradition das Haus mit heimischen Kräutern zu reinigen, um böse Geister hinauszutreiben, auch wenn der Wind für diesen Aberglauben heute nicht mehr verantwortlich ist.

Am 5. Januar findet die Stadtführung Raunächte ein weiteres Mal statt. Die Veranstaltung ist kostenlos.

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