Theater Mobile

Lieder aus der "Niemandszeit" im Zwingenberger Theaterkeller

Liedermacher und Sänger Martin Reichenbach informierte im Gewölbekeller des Theaters Mobile in Zwingenbergüber Herkunft und Bräuche der Raunächte, erzählte Anekdoten und faszinierte mit Gitarrenklängen und melancholischen Texten.

Von 
Gerlinde Scharf
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Liedermacher Martin Reichenbach sorgte im voll besetzten Gewölbekeller des Theaters Mobile mit seinen nachdenklichen Liedern über die sogenannten Raunächten für eine mystische Stimmung. © Thomas Zelinger

Zwingenberg. „Niemandszeit“ nennt Martin Reichenbach die Zeitspanne zwischen dem 25. Dezember und dem Tag der Heiligen Drei Könige, dem 6. Januar: Eine Zeit des Übergangs, der Stille, der inneren Einkehr, des sich Ausruhens und genau der richtige Moment, um Bilanz zu ziehen, um Vergangenes zu beenden und Neues zu beginnen.

Über die Herkunft der Raunächte und ihre Bedeutung

Als „Raunächte“ werden die zwölf Nächte allgemein bezeichnet, denen der Volksglaube eine besondere und zwar mystische Bedeutung nachsagt. Die Gesetze der Natur werden demnach außer Kraft gesetzt, die Grenzen zu anderen Welten fallen, in den dunklen Nächten entstehen Kontakte zu Ahnen und Geistern.

Die genaue Herkunft der Raunächte ist zwar nicht eindeutig belegt, vermutlich aber basiert der Brauch auf einer früheren Zeitrechnung und einer Differenz zwischen Mond- und astronomisch korrektem Sonnenkalender. Da ersterer lediglich 354 Tage zählt, blieben also bis zum Wechsel elf Tage und zwölf „aus der Zeit gefallene“ Nächte übrig. Genügend Raum für Rituale und Geistergeschichten.

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So war es im Mittelalter beispielsweise ein Tabu, an diesen Tagen Wäsche zu waschen und zum Trocknen aufzuhängen, um zu verhindern dass vorbeiziehende Dämonen sich darin verfangen.

Liedermacher und Sänger Martin Reichenbach informierte im voll besetzten Gewölbekeller des Theaters Mobile in Zwingenberg nicht nur über Herkunft und Bräuche der Raunächte und erzählte Anekdoten – wie jene von dem wilden Geisterzug oder dem immer vollen Bierfass und dem treuen Eckhardt – er faszinierte die Besucher vielmehr mit zurückhaltenden Gitarrenklängen und überwiegend leisen bis ins melancholische reichenden Texten in einem Zyklus von zwölf eigens komponierten Songs zu jeder der Raunächte.

Es war mucksmäuschenstill im Theaterkeller in Zwingenberg

Der Kraft und Ruhe spendenden Natur, der inneren Stimme, dem Verlorensein und dem Sehnen nach festem Halt und Zuflucht, der Transformation und Auflösung, der Versöhnung und dem sich Öffnen räumte Reichenbach in seinen Liedern breiten Raum ein.

Nie wurde Reichenbach dabei aufdringlich, laut oder gar fordernd. Nie stellte er das Negative in den Vordergrund. Seine einfühlsamen Lieder handelten stattdessen trotz Themen wie Gefahren, dem Gefangensein in alten Mustern, Krankheit und Leid, einem Wirrwarr von Gefühlen, trotz Einsamkeit, Verlorensein und schlechten Tagen am Ende jeder Nacht vom nach Hause kommen, von Freundschaft, Selbstfürsorge, vom Wunden heilen und Frieden finden.

Es war mucksmäuschenstill im Theaterkeller, als Martin Reichenbach dem roten Faden vom 25. Dezember bis zum 6. Januar folgend jeder der dunklen, langen Raunächte seinen persönlichen, poetischen Stempel aufdrückte.

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Mit Titeln wie „Zuflucht“, „Vergebung“, Verbunden“, „Zuhören“, „Veränderung“, „Aufbruch“, „Achtsamkeit“ und „Abschied“ gab er Einblick in sein Innerstes, sang von Dankbarkeit und Schicksalsschlägen, vom Verlassensein und vom Zusammenhalt, von wahrer Freundschaft und der Silvesternacht in der „sich die Pforte in die Anderswelt öffnet.“

Mit seinen Gedanken zur „Vergänglichkeit“, dem Schwinden der Kräfte, dem Loslassen und sich Öffnen schließlich beendete der Zwingenberger Songwriter, seinen zwölfteiligen Zyklus mit der letzten der Raunächte vom 5. auf den 6. Januar.

Das Publikum bedankte sich für den besinnlichen wie nachdenklichen Musikabend und der ganz speziellen, durchaus spirituellen Stimmung im Theaterkeller mit lang anhaltendem Applaus.

Freie Autorin Seit vielen Jahren "im Geschäft", zunächst als Redakteurin beim "Darmstädter Echo", dann als freie Mitarbeiterin beim Bergsträßer Anzeiger und Südhessen Morgen. Spezialgebiet: Gerichtsreportagen; ansonsten alles was in einer Lokalredaktion anfällt: Vereine, kulturelle Veranstaltungen, Porträts. Mich interessieren Menschen und wie sie "ticken", woher sie kommen, was sie erreiche haben - oder auch nicht-, wohin sie wollen, ihre Vorlieben, Erfolge, Misserfolge, Wünschte etc.

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