Zwingenberg. Musikalisches Feingefühl, empathische Arrangements und klangliche Sensibilität: Die Lonely Hearts Club Band vermittelt einen ungefähren Eindruck davon, wie die Songs der reiferen Beatles womöglich auf der Bühne geklungen hätten.
Die Formation vereint den Geist der Originale mit einer zeitgemäßen Bühnentechnik, präzisem Satzgesang und einer perfektionistischen, aber niemals aseptischen Interpretation, die ihresgleichen sucht. Die Songs aus der kreativen Spätphase der Beatles, an die sich live kaum einer heranwagt, sind die Spezialität der Band, die am Wochenende mit einem Doppelkonzert im Theater Mobile gastiert hat. Fast genau ein Jahr nach dem letzten Auftritt in Zwingenberg, als noch die 3G-Regel galt. So ändern sich die Zeiten.
Auch die Beatles-Biografie erlebte ab Herbst 1966 den Beginn seiner zweiten Epoche: die Fab Four zogen sich von den Live-Bühnen zurück und wurden zur Studioband. Nach den wilden Tourjahren und einer dreimonatigen Pause ziehen die Beatles weiter durch, was sie mit „Revolver“ begonnen haben: sie verschanzen sich im Studio und produzieren wegweisende Alben von ewiger Brillanz.
Das Zwingenberger Konzert am Sonntag konzentrierte sich auf die Jahre 1966 bis 1969, als das kreative und innovative Potenzial der Band regelrecht explodierte. Mit einem kompromisslosen Anspruch an Sound und Arrangements gelingt es der Formation, diese Perlen auf der Bühne zum Leben zu erwecken. Eine Freude für Fans, für Conaisseure ein Genuss.
Ein Zwingenberger schiebt an
Der Zwingenberger Axel Weimann (Gitarre, Gesang) ist der perfektionistische Motor, während Robby Schmidt (Leadsänger, Klavier, Percussion) es in bewundernswerter Weise schafft, sowohl die leicht verschnupfte Stimmfarbe von Paul McCartney wie auch das markante Näseln von John Lennon zu treffen. Das klingt beängstigend authentisch bei „The Ballad Of John & Yoko“, das von Weimann mit pointierten Gitarrensounds akzentuiert wird – und bei „Don´t Let Me Down“ wähnte man sich fast beim Londoner Rooftop-Concert vom Januar 19969, doch ganz so windig und frisch war es im Mobile-Keller dann doch nicht.
Das groovige E-Piano von George Göb war allerdings perfekt. Mit „With a Little Help from My Friends”, gesungen von Drummer Peter Zettl, und „Lucy in the Sky with Diamonds” wurde „Sergeant Pepper“ kurz gestreift, bevor es Richtung „Abbey Road“ ging. Mit „Come Together” (filigrane Drums), Something” und einer grandiosen Version von „Maxwell’s Silver Hammer” wurde nahezu die komplette erste Seite gespielt, später noch von „Octopus’s Garden“ ergänzt.
Robby Schmidt ist der Schwerarbeiter der Gruppe. Er turnt ständig zwischen Gitarre, E-Piano und Mikrofon hin und her, parliert in exzellentem Englisch und begeistert die vielen Kenner im Keller, die jede Textzeile, jedes Tonexperiment und jeden Wortfetzen inhaliert haben. Axel Weimann ist für die ausgefeilten Arrangements und authentischen Klangcollagen zuständig, beherrscht die Gitarrensprache eines George Harrison ebenso wie die von Lennon beigesteuerten Interludes. Ein Konzert für Feinschmecker, die beim finalen Medley aus „Abbey Road“ („Golden Slumbers“, „Carry That Weight“) feuchte Augen bekommen und bei den letzten Zeilen von „The End“ emotional kollabieren.
Eine magische Reise voller Genuss
Und es ist immer wieder bemerkenswert, wie gekonnt die Band diese zerbrechlich-verbandelten Solitäre live zu inszenieren versteht. Doch so traurig ging es nicht nach Hause: das Publikum erobert sich noch „Hey Jude“, bevor nach „Revolution“ und „All You Need Is Love“ endgültig Schluss ist. Doch der Weg dorthin war lang und von etlichen akustischen Genussmomenten flankiert. Seit letztem Jahr dabei ist Gitarrist Martin Grieben, der unter anderem „Across The Universe“ und „While My Guitar Gently Weeps“ intonierte.
Bassist Christoph Paulsen setzt im Hintergrund Akzente. Göb servierte ein swingendes Piano-Intro zu „Wild Honey Pie“, und bei „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ (ebenfalls vom „White Album“) sang das komplette Theater in aufrechter Haltung mit. Späte Songs wie „I’ve Got a Feeling“ und „One After 909“ von „Let It Be” gelangen famos. Aus dieser Zeit stammt auch George Harrisons klassische Rock`n`Roll-Nummer „Old Brown Shoe”, das aber auf keinem Studioalbum enthalten ist.
Nach der dringend notwendigen Verschnaufpause servierte die Band mit „Girl“ („Rubber Soul“) dann doch noch ein älteres Stück – die 1965 grassierende Sirtaki-Welle, die im Mittelteil des Stücks zitiert wird, hat die Lonely Hearts Club Band in einem amüsanten Intro aufgenommen. Und nach diesem schmachtenden Lovesong dann gleich wieder Endzeitstimmung, als Robby Schmidt mit „The Long and Winding Road“ einen der letzten kreativen Atemzüge Paul McCartneys vor der Trennung zelebrierte.
Eine veritable Überraschung des Abends war „Live And Let Die“. McCartneys James-Bond-Titelsong entstand knapp drei Jahre nach dem Beatles-Aus und ist durch seine orchestralen Einsätze und dramaturgischen Brüche live ebenfalls eine tödliche Herausforderung.
Musikalische Zaubereien
Doch die Formation bewältigt auch diesen Song durch einen straffen Sound, technische Raffinesse und viel Spielfreude. In diesem Geist werden auch die wohl komplexesten Stücke des Abends auf die Bühne gezaubert: „I Am The Walrus“ und „Strawberry Fields Forever“ von „Magical Mystery Tour“. Auf Einspieler wird verzichtet, das Keyboard übernimmt die Streicherparts, komplexe Studiotüfteleien werden kreativ überbrückt oder augenzwinkernd angerissen.
Auch für das Zwingenberger Publikum war der Abend eine magische Reise in eine musikalische Vergangenheit, die auf ewig weiterleben wird. Die Lonely Hearts Club Band verwaltet das Erbe der Beatles ebenso respektvoll wie gewissenhaft, auf optischen Mummenschanz und blasse Karikaturen wird verzichtet. Die personellen Veränderungen mit Zettl und Grieben haben der Qualität der Band nicht geschadet. Langer Applaus im voll besetzten Mobile-Keller. tr
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