Jazzkeller

Eine Pionierin der Jazz-Szene im Bensheimer PiPaPo-Keller

Lindy Huppertsberg sorgte für ein ausverkauftes Theater.

Von 
Thomas Tritsch
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Lindy Huppertsberg präsentierte am Sonntag im Jazzkeller mit einer Multimedia-Show ihre musikalische Biografie. © Thomas Zelinger

Bensheim. Frauen im Jazz sind ein Kapitel für sich. Zumindest war es das einmal. Als Lindy Huppertsberg Ende der 70er Jahre in die Szene einstieg, war sie eine der ersten Jazz-Bassistinnen in Europa. Eine Pionierin, die einiges aushalten musste. Viele der Schlagzeilen von damals sind rückblickend anmaßend, dumm und unprofessionell. Von einem „Engel an der Harfe“ war da die Rede, und von einem „zartbesaiteten“ Wesen, das erstaunlicherweise nicht kollabiert, wenn es ein „mannshohes“ Instrument bändigen müsse. Dass auch Frauen Jazz spielen können, schien vor 45 Jahren eine epochale Erkenntnis gewesen zu sein.

Heute kommentiert die Musikerin die ersten Jahre mit einem nachgiebigen Augenzwinkern. In ihrer neuen Multimedia-Show hat Lindy Huppertsberg, die von Bass-Ikone Ray Brown auf den Namen „Lady Bass“ getauft wurde, ihre musikalische Biografie in einer spannenden und sehr swingenden Collage zusammengefasst. „Lined With A Groove“, ein Song von Ray Brown, habe ihr immer als Lebensmotto gedient, so Huppertsberg bei ihrem Gastspiel im Bensheimer Jazzkeller.

Vor ausverkauftem Haus

Das Publikum im ausverkauften PiPaPo-Theater erlebte eine enorm kurzweilige Retrospektive mit zahlreichen Video-Schnipseln, Live-Kostproben und persönlichen Erinnerungen aus dem reichen Fundus der Kontrabassistin, die 1979 eher zufällig zur Frankfurter Barrelhouse Jazzband kam und an der Mainzer Musikhochschule studierte, bevor sie mit eigenen Bands auf Tour ging. „Ich wollte mein Spektrum an Jazz über die Barrelhouse erweitern“, sagte sie im Jazzkeller, der am Sonntag erstmals wieder zur Vor-Corona-Möblierung zurückgekehrt war – also wieder über die kompletten 55 Sitzplätze verfügt, wie Programmmacher Garvin Brod mitteilte.

Mit der starken Schlagzeugerin Angela Frontera aus São Paulo (Nina Hagen, Grace Jones, Paul Simon) und dem chronisch swingenden Pianisten Andreas Hertel aus Wiesbaden hatte Huppertsberg zwei erstklassige Musiker mitgebracht, die den musikalisch-anekdotischen Abend glänzend bespielt haben. Frontera ist seit 2006 Mitglied des Trios Witchcraft, das Huppertsberg vor 20 Jahren mit der Weinheimer Pianistin Anke Helfrich und Carola Grey (Schlagzeug) formiert hatte. Später wechselte die Besetzung zu Yelena Jurayeva (Piano) und Angela Frontera, die in Bensheim mit einem brachialen und energiegeladenen, dann wieder feinfühlig-ätherischen Sound begeisterte.

Bei der ersten Zugabe „Basszentrale“, betitelt nach dem Frankenthaler Domizil von Huppertsberg und ihrem instrumental gleichgestimmten Partner Johannes Schaedlich, löste die Brasilianerin einen brutal groovenden Orkan aus Drums und Percussion aus, dem man sich als hörendes Wesen kaum entziehen konnte.

Zwei Open-Air-Konzerte im Juli

Der Bensheimer Jazzkeller lädt auch in diesem Jahr zu Konzerten im Rahmen einer Sommerbühne am Wambolter Hof ein. Am 16. Juli gastieren der Saxofonist und Komponist Wilson de Oliveira und Posaunist Joe Gallardo in Bensheim. Am 23. Juli wird die Jazzsängerin und Hochschuldozentin Fola Dada erwartet, die 2022 als Vokalistin mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet wurde. tr

Aber auch die Entertainerqualitäten der Musikerin taten dem Abend überaus wohl. Storys vom hektischen Tourleben, Notizen von argumentativen Improvisationen auf Flughäfen und dazwischen Kollisionen mit Klischees und Vorurteilen ziehen sich durch das Programm. Selbst in den 90er Jahren, als Lindy Huppertsberg mit ihrer in jeder Hinsicht aufsehenerregenden amerikanischen Mainstream-Gruppe „The Swinging Ladies“ unterwegs ist, wird die rein weibliche Formation von vielen männlichen Kollegen und Veranstaltern herablassend beäugt.

Bereits 1987 hatte sie ihr eigenes, deutsch-amerikanisches Quartett „Lady Bass & The Real Gone Guys“ gegründet, in dem unter anderen auch Dirk Raufeisen und Tommie Harris dabei waren. Später organisierte sie zehn Jahre lang das International Jazz Festival at Sea. Sie arbeitet als Workshop-Dozentin und entwickelt Lehrkonzerte zu diversen Jazzthemen.

1978 zur Nahost-Tournee gefahren

Sie spielt Bass in den Bands von Edeldrummer Charly Antolini und in der Formation von Andreas Hertel Band mit Tony Lakatos und Dusko Goikovich. Musiker wie Clark Terry, Herb Ellis, DeeDee Bridgewater, Pete York, Paul Kuhn und Emil Mangelsdorff haben „Lady Bass“ auf die Bühne oder ins Studio geholt. Doch ihr musikalischer Werdegang war keineswegs linear: Eher zufällig kam sie über ihren damaligen Mann in die 1953 gegründete Barrelhouse Jazzband, wo man einen Roadie gesucht hatte, also einen mobilen Veranstaltungstechniker für unterwegs.

Sie übernahm den Job und absolvierte einen autodidaktischen Crashkurs am Bass. 1978 fährt sie zur Nahost-Tournee mit. Es geht unter anderem nach Ägypten. 1980 wird sie Vollmitglied der Truppe, wo sie ihr Können im Instrument schnell und erfolgreich verfeinert hat. Nach längerer Abstinenz stieg sie 2014 wieder neu in die Band ein. Der Pioniergeist blieb ein ständiger Begleiter. Huppertsberg schlug immer wieder neue Pfade ein.

„Wen juckt’s, dass Sie nicht den Abwasch machen?“, lautete der Kommentar eines männlichen Zuhörers während eines Konzerts in Italien, an den sich Lindy Huppertsberg noch sehr plastisch erinnern kann. Die anwesenden Herren waren von der Virtuosität der Swing- und Bebop-Frauenband dann doch begeistert.

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Mit ihrem swingenden und dominant-melodischen Kontrabass setzt Huppertsberg auch stilistisch Akzente. Im Bensheimer Jazzkeller offenbarte sich dies bei einer intensiven Version von „Why Don’t You Do Right?“, ein Blues aus dem Jahr 1941, der 1943 in der Swing-Version von Peggy Lee und dem Orchester von Benny Goodman populär wurde. Der Song handelt von einer Frau, die ihren leichtlebigen Gatten auffordert, gefälligst ein bisschen Kohle nach Hause zu bringen wie andere Ehemänner. Sie möge tonangebende Frauen, so Lindy Huppertsberg im PiPaPo, wo Angela Frontera mit den Bossa-Nummern „Madalena“ und „Brasileira“ ein Latin-Feuerwerk startete, das über den Kopf sofort in die Beine ging.

Mit „One for Amos“ von Sam Jones und „One Monkey Don’t Stop No Show” von der amerikanischen R&B-Sängerin Big Maybelle ging es langsam Richtung Finale. Allerdings nicht ohne eine Hommage an den großen Namensgeber von „Lady Bass“: Mit „Blues In The Bassment“ - bekannt vom Milt Jackson Quintet – verbeugte sich Lindy Huppertsberg vor dem Mentor Ray Brown, der vor bald 21 Jahren verstorben ist. Nach langem Applaus musste das Trio noch eine weitere Zugabe servieren – das einzige langsame Stück des Abends: „Everything Happens to Me“ aus dem Great American Songbook, über einen, bei dem alles schiefgeht, was nur schiefgehen kann. Huppertsbergs schillernde Jazz-Biografie ist Gott sei Dank weitaus positiver verlaufen.

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