Zwingenberg. Dacheindeckungen sind nur mit roten bis braunen Ziegeln erwünscht, verklinkerte Fassaden nicht erlaubt und nach außen vortretende Rollladenkästen ebenfalls verpönt. Wer in der Zwingenberger Altstadt eine Immobilie besitzt, der muss sich bei deren Renovierung nach einer vor 52 Jahren erlassenen „Ortssatzung über die Bebauung und Bauunterhaltung im historischen Stadtkern“ richten. Denn bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert haben die Stadtväter erkannt, um welchen Schatz es sich bei der Zwingenberger Altstadtkulisse handelt. Den gilt es zu bewahren.
Zwei Mal wurde das Quartier ins Dorferneuerungsprogramm aufgenommen, mit dem private und öffentliche Baumaßnahmen gefördert werden, dabei kamen die Hausbesitzer jeweils auch in den Genuss einer Gestaltungsberatung durch Architekten – und so eine Gestaltungsberatung werden die Immobilieneigentümer demnächst wieder in Anspruch nehmen können: Als im vergangenen Herbst eine Novellierung der Altstadtsatzung erfolgte (wir haben ausführlich berichtet), fasste die Stadtverordnetenversammlung auch den Beschluss, „zur Verwirklichung der Ziele der Altstadtsatzung eine Gestaltungsberatung anzubieten (…), die kostenlos in Anspruch genommen werden kann“.
Wie Bürgermeister Holger Habich beim jüngsten Pressegespräch über die Arbeit des Magistrats berichtete, wurde zwischenzeitlich das Darmstädter Planungsbüro „Baer. Binder. Architekten“ (B.B.A) mit der besagten Gestaltungsberatung beauftragt.
Private Grundstücke werden nicht betreten
Vorgeschaltet ist dieser Dienstleistung allerdings eine Bestandserfassung. Habich kündigte an, dass Mitarbeiter des Büros in diesen Wochen in der Altstadt unterwegs sein werden, „um alles zu dokumentieren, was von den Vorgaben der Altstadtsatzung abweicht“. Der Rathauschef ist sich dabei durchaus bewusst: „Fehlentwicklungen gibt’s nicht nur an privaten, sondern auch an unseren öffentlichen Gebäuden.“
Bei ihrer Bestandserfassung legen die Profis übrigens nicht nur die besagte Satzung als Maßstab an, sondern sie prüfen auch, ob die Gebäudegestaltung sich im Einklang mit den Gestaltungshinweisen befindet, die im Zuge der Dorferneuerung erarbeitet wurden. Beide Dokumente stehen auf der Webseite der Stadt Zwingenberg zum Download zur Verfügung.
Holger Habich wirbt mit Blick auf die Bestandserfassung, bei der die Mitarbeiter von B.B.A auch Bilder machen werden, um Verständnis: „Private Grundstücke werden nicht betreten, fotografisch dokumentiert wird nur – und das ist zulässig –, was vom öffentlichen Raum aus zu sehen ist.“
Und der Bürgermeister sichert auch zu: „Im Anschluss an die Bestandserfassung wird niemand vorgeführt, mit Blick auf die privaten Gebäude werden die Ergebnisse nicht öffentlich gemacht, es handelt sich ausschließlich um ein Arbeitsdokument fürs Rathaus.“
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Allerdings behalte man sich als Kommunalverwaltung das Recht vor, „bei besonders krassen Verstößen von privaten Immobilienbesitzern mit den Betroffenen das Gespräch zu suchen“.
Die Stadt allerdings wird sich selbst durchaus „an den Pranger stellen“, denn Fehlentwicklungen im öffentlichen Raum sollen beseitigt werden: „Der Magistrat wird den Gremien kommunaler Selbstverwaltung entsprechende Vorschläge unterbreiten.“
Die Novellierung der Zwingenberger Altstadtsatzung im vergangenen Jahr, bei der dann auch das Thema Gestaltungsberatung wieder in den Blick genommen wurde, erfolgte auf Initiative des Magistrats, der verhindern will, dass eine vor geraumer Zeit vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst herausgegebene Richtlinie im ältesten Bergstraßenstädtchen uneingeschränkt angewendet wird: Bislang war es nahezu unmöglich, auf den Dächern von denkmalgeschützten Gebäuden oder unter Ensembleschutz stehenden Gebäudegruppen – wie es die Zwingenberger Altstadt ist – Solar- und Photovoltaikanlagen zu installieren. Die Richtlinie aus der Landeshauptstadt sieht vor, dass „eine Genehmigung für Solaranlagen regelmäßig zu erteilen ist“. Allenfalls bei erheblicher Beeinträchtigung eines Kulturdenkmals komme eine abweichende Entscheidung in Betracht.
Im Zwingenberger Rathaus sah man die Richtlinie mit Sorge, denn sie komme quasi einer „vollständige Freigabe“ von Solaranlagen in der Altstadt gleich: Und damit „droht das Stadtbild nachhaltig negativ beeinträchtigt zu werden“, heißt es aus dem Rathaus.
Solar- und Photovoltaikanlagen nur „eingeschränkt zulässig“
Der Magistrat argumentierte: „Prägend für die Zwingenberger Altstadt ist eine kleinteilig strukturierte, nicht flächige Dachlandschaft mit roter bis rotbrauner Ziegeleindeckung. Aufgrund der steilen Hanglage hat der Betrachter dieses Ortsbild nicht nur aus der Ferne, sondern unmittelbar aus den Gassen der Altstadt selber heraus im Blick; mitunter liegen nur wenige Meter zwischen dem Betrachterstandort und der einzelnen Dachfläche.
Dies unterscheidet Zwingenberg maßgeblich von anderen Altstädten, wo es lediglich auf die ,Straßenperspektive‘ (horizontale Sichtachse) ankommt.“
Um eben dieses Altstadtbild zu bewahren sei der historische Stadtkern bereits mehrfach ins Dorferneuerungsprogramm des Landes Hessen aufgenommen worden: Daher „erscheint es unangemessen und inkonsistent, noch vor wenigen Jahren die Beachtung dieser Gestaltungsprinzipien als Voraussetzung der Förderfähigkeit im Rahmen der Dorferneuerung zu proklamieren, um dies wenig später zu negieren‘, heißt es aus dem Rathaus weiter.
Mit Blick auf die Installation von Solar- und Photovoltaikanlagen regelt die Altstadtsatzung nun, dass sie nur „eingeschränkt zulässig“ sind. Auch für Fragen zu diesem Thema kann künftig die Gestaltungsberatung in Anspruch genommen werden.
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