Sapperlot

Entertainer Robert Kreis brilliert im Lorscher Theater

Freche Stücke aus Archiven wachgeküsst / Erinnerung an bedeutende Berliner Künstler der 1920er Jahre

Von 
Thomas Tritsch
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Robert Kreis brillierte im Theater Sapperlot. © Neu

Lorsch. „Alles weg’n de Leut“: Otto Reutters köstliches Chanson ist zu einem seiner wohlklingenden Markenzeichen geworden. Und auch nach 50 Jahren auf der Bühne gehört das feinhumorige Liedchen über menschliche Eitelkeiten zu den schönsten Perlen in seinem umfangreichen Repertoire. Im Theater Sapperlot wurde Robert Kreis jetzt erst nach zwei Zugaben von der Bühne entlassen. Und auch das nur ungern. Denn dem niederländischen Nostalgie-Entertainer könnte man tagelang zuhören, ohne dass es einem fad oder langweilig würde.

Die Revue „Ein Abend mit Robert Kreis“ ist weniger musikalisch als die vorherigen Programme, dafür aber mit vielen biografischen Anekdoten und kulturhistorischen Anmerkungen gewürzt. Und das wie immer elegant, charmant und etwas frivol. Der 74-Jährige ist der Vater der 1920er-Jahre-Retro-Welle und hat es immer wieder geschafft, seinem einzigartigen Stil treu zu bleiben – egal, welche Launen der momentane Zeitgeist gerade an den Tag legt. Und auch, wenn das Pomadenhaar mittlerweile etwas dünner geworden ist: das aufgemalte Menjou-Bärtchen sitzt so akkurat wie der Lidstrich über den rosa Wangen und den blank geputzten Schuhen. Ein Herr im Frack, wie aus dem Ei gepellt.

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Doch die manikürten Finger bohren noch immer tief in politisch-gesellschaftlichen Wunden. Am scharfen Seitenblick kann man sich schneiden. Die Mimik ist umwerfend, expressionistisch und stummfilmreif.

Der Pianist war schon früh fasziniert von den jüdischen Künstlern der 20er und frühen 30er Jahre, die Berlins Weltruhm mit begründet hatten. Die Sehnsucht nach der Hauptstadt hatte ihn schon mit 19 Jahren gepackt. Damals begann der junge Mann, der auf Java in Indonesien geboren wurde, seine dreijährige Ausbildung an der Academie für Podiumbildung in Den Haag. Beim Stöbern in Antiquariaten machte er eine für ihn überraschende Entdeckung: das schillernde Nachtleben in Berlin war von jüdischen Künstlern geprägt. Deren Texte und Kompositionen zogen ihn fortan magisch an. Kreis sammelt Schellackplatten, haucht den Werken seither neues Leben ein und lädt sie mit seiner eigenen Persönlichkeit auf, ohne deren Originalität zu zerfleddern. Für diese Kulturleistung erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Nostalgie und kulturelle Schätze

Eine Ehrung, die auch eine Würdigung ist dafür, dass er bei seinen öffentlichen Darbietungen unermüdlich den verfolgten und ermordeten jüdischen Künstlern der Weimarer Zeit seine Stimme gibt und damit sie und ihre Kunst vor dem Vergessen bewahrt. Schon vor über 20 Jahren hatte der Künstler ein Programm mit dem Titel „Verehrt, Verfolgt, Vergessen“ präsentiert.

Wer mit Kreis auf die Zeit vor 100 Jahren zurückblickt, der versinkt nicht nur in leichter Nostalgie: er entdeckt auch die kulturellen Schätze einer leuchtenden, bisweilen aber auch verklärten Vergangenheit: süffige Schlager, frivole Couplets und fein komponierte Texte mit eleganter Sprachgewalt, die man heute vergeblich sucht. Kreis erzählt von einem nie mehr ausgebügelten Verlust an geistreicher literarischer Unterhaltung mit Schliff und dem gewissen Etwas. Darunter auch das Gros der jüdischen Künstler, die der Nationalsozialismus verstummen ließ.

Im Fernsehen und großen Theatern

Kreis selbst blickt auf eine filmreife Biografie zurück. Er war Bell-Boy, Steward und schließlich Pianist auf Luxuslinern der Holland-Afrika-Linien. Zum Pianola ist er über seine Großmutter gekommen, sie war Jazzpianistin. Den Durchbruch in Deutschland schaffte er in den frühen 80er Jahren in der TV-Sendung „Bio`s Bahnhof“ unter anderem mit einem Lachfoxtrott aus der erotischen Knalloperette „Hoppla, aufs Sofa“. Der fliegende Holländer (Kreis über Kreis) ist regelmäßig Gast in den großen Theatern in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

In Lorsch, wo er bereits mehrfach brillierte, begegnet man nicht nur dem altbekannten Robert Kreis, man lernt ihn auch von einer neuen Seite kennen. Mit eindrucksvoller Bühnenpräsenz erinnert dieser Salonlöwe an die Großen der Zeit, deren Werke er keineswegs imitierend oder gar parodierend zum Besten gibt: Kreis interpretiert sie auf die eigene markante, unterhaltsame und köstlich authentische Art.

Der Künstler bewahrt Zeitgeschichte für die Nachwelt in einer hochgradig amüsanten, dramaturgisch verführerischen und persönlich einzigartigen Weise. Kreis ist unverwechselbar. Seine Lieder „am Geflügel“ und die Zitate aus längst verstorbenen Herrenmagazinen sind vornehme Unterhaltung pur. Er erweist den Großen seiner Zunft von damals Reverenz, deren Namen heute vielfach nur noch Insidern ein Begriff ist: Hermann Leopoldi, Friedrich Hollaender, Max Hansen und immer wieder Otto Reutter.

Chansons und Couplets von zeitlosem Geist und intelligentem Humor

Die frechen Conférencen, feinen Persiflagen und delikaten Erzählungen des Ton-Archivars lassen den Abend im Sapperlot wie im Flug vergehen. Mit amüsanten Schlagern wie „Pump mir dein Gesicht, ich will die Großmama erschrecken“ oder „Was macht die Bella so spät im Keller“ küsst Kreis schlummernde Prachtstücke aus verstaubten Archiven wach: „Ich bin so scharf auf Erika wie Kolumbus auf Amerika.“ Dazu serviert er ein Mimenspiel, mit dem man Kinder ins Bett jagen könnte.

Und er betont nicht ohne Unwohlsein: es gibt viele Parallelen zwischen Damals und heute. Zu viele. Inflation, Wohnungsnot und – die schlimmste – Antisemitismus. Dass Juden auch in Berlin wieder offen angegriffen werden, verletzte ihn auf unsagbare Weise, so der Entertainer, der sein Gastspiel im Sapperlot seit der Pandemie mehrfach hatte verschieben müssen.

Mit Max Hansens „Herrlich, aber Gefährlich“ ging es auf einem sehr persönlichen Boulevard der Lieder und Miniaturen Richtung Pause. Aber nicht ohne ein schwungvolles „Hoppla, jetzt komm“ von Hans Albers. Hamburg gehört neben Berlin zu den bevorzugten Metropolen des Musikers, der auch offensive Texte mit einer liebenswürdigen Unschuld intoniert: „Ich seh’s an deiner Stirne, Du hast ‘ne weiche Birne“, so ein Lied von Engelbert Milde, das in Lorsch ebenso für Heiterkeit sorgt wie ein Schlagerpotpourri aus diesem liberalen, weltläufigen und künstlerisch so gehaltvollen Jahrzehnt am ausgelassenen Vorabend des Weltuntergangs.

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Neben jüdischen Witzen und einem der raren Liebeslieder wie Hilde Hildebrands „Liebe ist ein Geheimnis“ aus der Komödie „Die englische Heirat“ von 1934 servierte Kreis Chansons und Couplets von zeitlosem Geist und intelligentem Humor.

Das Leben genießen

Mit dem „Lied von der zerbrochenen Schallplatte“ und Otto Reutters „Der Blusenkauf“ genoss das Publikum aromatische Kost vom Altmeister der nostalgischen Revue, der so lange auf der Bühne stehen will, wie es seine Konstitution erlaubt. Er wolle das Leben genießen, nicht über die Zukunft grübeln. „Die Leute sagen: denk an später – es ist schon später!“ Zudem wird es langsam Zeit für einen zweiten holländischen Unterhaltungskünstler, der die 100 überragt. Mit Johannes Heesters verband ihn eine lange Freundschaft. Tosender Applaus im Sapperlot.

Freier Autor

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