Lorsch. Tanzen ist gut für die Gesundheit. Es gilt als ideales Herz-Kreislauf-Training, fördert Konzentration und Koordination und hält fit. Ein Beispiel dafür, dass all das stimmt, sind Hildegard Pilster und Harald Stahl. Sie tanzen für den TSC Rot-Weiß Lorsch und sind nun von der Sportkommission und dem Magistrat für den Titel als „Team des Jahres“ der Stadt Lorsch vorgeschlagen. Im vorigen Jahr haben sie den dritten Platz bei der hessischen Landesmeisterschaft der Senioren belegt. In Rödermark holten sie Bronze bei den Standardtänzen.
Ganz besonders sind Pilster und Stahl auch ein Beispiel dafür, dass Tanzen lange viel Spaß machen kann. Denn nicht unbedingt erwartbar ist im Zusammenhang mit der Sportlerwahl ihr Alter. Stahl und Pilster gehören dem Jahrgang 1941 beziehungsweise 1951 an. Im Kreis der Athleten, die diesmal für die Wahl der „Sportler des Jahres“ nominiert wurden, sind sie mit einigem Abstand diejenigen Kandidaten mit den meisten Lebensjahren. Wenn sie bei Turnieren starten, ist das ebenfalls meistens der Fall. Tanzsportler, die mit über 70 und über 80 Jahren an Turnieren teilnehmen, sind eine Seltenheit.
Die meisten Senioren in diesem Alter hätten auf solche Wettbewerbe wohl einfach „keinen Bock mehr“, vermutet das erfolgreiche Lorscher Duo. Bei Stahl und Pilster – sie sind kein Ehepaar, aber Lebenspartner – ist das anders. Sie haben im fortgeschritteneren Alter angefangen, gemeinsam Turniere zu besuchen. Seit 2012 tanzen sie zusammen. Weil nur knapp zehn Paare in Deutschland in ihrer Altersklasse antreten, müssen sie sich sehr oft gegen deutlich jüngere Mitbewerber behaupten – manchmal gegen 55-Jährige. Aber sie sammeln dabei trotzdem jede Menge Erfolge. „Wir haben keine Tapeten, sondern Urkunden“, witzelt Harald Stahl mit Blick auf die Wände Zuhause.
Einen ersten Tanzkurs hat er, dem Rat seiner Mutter folgend, als Jugendlicher schon vor dem Schulabschluss besucht, um für den Abiball gerüstet zu sein. In den Berufsjahren – Stahl war als Ingenieur für Landwirtschaft sehr viel im Ausland, in fast 60 Ländern unterwegs – hat er allerdings vor allem Leichtathletik betrieben.
Im Kurzstreckenlauf bis 400 Meter holte er früher Medaillen, etwa bei der Landesmeisterschaft Schleswig-Holstein. Seiner Gesundheit jedoch war der Laufsport, so wie er ihn betrieb, nicht dienlich. Glücklicherweise riet ihm ein Arzt, die Fußprobleme nicht gleich mit einer Operation anzugehen, sondern es zunächst mit Tanzen zu versuchen, um die Wadenmuskulatur zu stärken. Stahl befolgte den Rat – und er wirkte.
Die trainierten Beine haben ihm vielleicht auch bei der Bypass-Operation geholfen, der er sich vor einigen Jahren unterziehen musste. Seine dazu genutzte Vene zwischen Fuß und Leiste hat jedenfalls dazu geführt, dass er sich seitdem „besser fühle als mit 50 Jahren“, sagt Stahl. Er sei dankenswerterweise zäh wie ein Wikinger, meint der „halbe Däne“, der an der Ostsee aufgewachsen ist.
Hildegard Pilster ist in einem Dorf in der Schwäbischen Alb geboren. Angebote fürs Tanzen gab es in dem Ort mit weniger als 50 Einwohnern nicht. Ihr war es aber unter anderem ein Anliegen, dass ihre beiden Söhne zum Abi-Ball tanzen können. Als Lehrerin – Pilster hat 40 Jahre in Bayern Mathe unterrichtet – sei bei ihren Schülern „ein Tanzkurs Pflicht“ gewesen, sagt sie. Eine Zeit lang hat die Pädagogin auch in einem Gefängnis gearbeitet. Keiner ihrer Schüler sei rückfällig geworden, erzählt sie nicht ohne Stolz.
Zehn Stunden in der Woche trainieren Pilster und Stahl – und jeden Tag gehen sie, die in Worms daheim sind, „scharf wandern“. Bei jedem Wetter, wie sie unterstreichen. In den TSC Rot-Weiß sind die beiden vor Jahren gewechselt, nachdem sich ihr Heimattanzclub aufgelöst hatte. In Lorsch trainieren sie Standard und Latein bei Tatiana Müller und Robert Wolf und sind sehr glücklich damit.
Die Füße sind eher Nebensache
Wer meint, beim Tanzen auf Wettbewerbsebene komme es vor allem darauf an, die Schritte richtig zu setzen, liegt nicht ganz richtig. Bei Turniertänzern seien die „Füße Nebensache“, klären die beiden auf. Die Kunst bestehe darin, die Musik mit Taktgefühl zu erfassen und den Körper die gesamte Zeit in entsprechender Bewegung zu halten, machen sie etwa auf die Rolle von Hüfte und Oberkörper dabei aufmerksam.
Wichtig sei, im Training zu bleiben und „sich nicht hängenlassen“, erklären die Lorscher Sportler. „Ein bisschen Ehrgeiz gehört dazu“, sagt Hildegard Pilster. Vielleicht werde er auch mit 100 Jahren noch aufs Parkett gehen, lacht Harald Stahl. In naher Zukunft will das Paar an weiteren Landesmeisterschaften teilnehmen, hat die Baden-Württemberg-Trophy und erneut Großveranstaltungen wie „Die Ostsee tanzt“ im Blick.
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