Lorsch. Von Eva Bambach
Lorsch. Jahrelang blieb der Brunnen westlich des kurfürstlichen Hauses auf dem Lorscher Klostergelände unbeachtet, nachdem er wohl kurz nach 1957 aufgegeben worden war. Dann ließ sich Katarina Papajanni, Baudenkmalpflegerin der Schlösser und Gärten Hessen (SG) im Jahr 2013 von der Feuerwehr in den unverfüllten Schacht abseilen - und entdeckte zwischen Überwachsungen durch Pflanzen und einfachen Bruchsteinen interessante Profile und offensichtlich bearbeitete Steine.
Ein absenkbares Plateau, vom THW Bensheim eigens angefertigt, brachte genauere Vorstellungen und führte zu der Entscheidung, den oberen Teil des Brunnens im Jahr 2017 durch die Archäologin Janine Sommer ausgraben zu lassen. Zutage kamen jede Menge Einzelstücke, die inzwischen zu einigen spektakulären Objekten zusammengefügt werden konnten. Denn was da in der Wandung des Brunnens vermauert war, waren Steine aus den im 18. Jahrhundert abgetragenen Klostergebäuden - die damals in der ganzen Region als Baustoff verwendet wurden. Eine dendrochronologische Datierung des Fundaments aus Eichenholz bestätigte die Bauzeit des Brunnens.
Zum Vorschein kamen dann unerwartet qualitätvolle mittelalterliche Architektur- und Skulpturenfragmente. Sie wurden geborgen, wissenschaftlich erfasst und behutsam restauriert und sind seit heute erstmals öffentlich zu sehen: Die neue Ausstellung „Geschichte schöpfen - Quellen aus einem Brunnen” in der Lorscher Zentscheune ist Höhepunkt des Jubiläumsprogramms zum 30. Jahr der Verleihung des Unesco-Welterbetitels an das Kloster Lorsch.
Nun sind die spektakulären Fundstücke ein ganzes Jahr lang im Schaudepot in der Zentscheune ausgestellt. Darunter: ein „Atzmann“ aus dem 13. Jahrhundert. Hinter der auch Fachleuten nicht unbedingt geläufigen Bezeichnung verbirgt sich eine große steinerne, liturgisch gekleidete Menschengestalt, die ein Pult vor der Brust trägt, und bislang nur in 19 weiteren Exemplaren bekannt ist - eine Kuriosität steinerner Kathedralskulptur des Mittelalters, die sich auch in den Domen von Naumburg oder Straßburg findet.
Aufbereitet wurden die Fundstücke in der Ausstellung nicht nur für die Fachwelt, sondern ausdrücklich für das breite Publikum. Alles kreist buchstäblich um das Thema Brunnen, das auch das Prinzip einer Ausstellungsarchitektur in konzentrischen Kreisen vorgab, wie Ausstellungsgestalterin Sabine Gutjahr anlässlich der Eröffnung erläuterte. In Zusammenarbeit mit Restauratorin Karen Keller engagierte sie sich für eine aufrechte, von allen Seiten einsehbare Aufstellung nicht nur des Atzmanns, sondern auch einer weiteren vollplastischen Skulptur, lebensgroß und in der Kleidung eines Diakons. Eine Herausforderung, die nur dank dem raffinierten Stützensystem eines Metallbauers gemeistert werden konnte.
Alle Teile sind nun im Original zu sehen, behutsam restauriert, ohne Ergänzungen und stabilisiert durch die Restauratorin, die Verschmutzungen wie die Sinterschichten wo immer möglich beibehielt, um den unterschiedlichen Erhaltungszustand der Stücke sichtbar zu lassen. Ergänzt werden die Originalteile durch 3D-Scans und animierte Explosionszeichnungen, welche die eindrucksvolle Puzzlearbeit der Wissenschaftlerinnen nachvollziehen lassen - denn die Figuren wurden für die Verwendung als Brunnenbausteine in viele Teile zerschlagen und regelrecht enthauptet. Die Köpfe sind bis heute verschwunden.
Weitere Werkstücke aus dem Brunnen sind die fein ornamentierten Elemente einer romanischen Chorschranke sowie Säulenfragmente, die ganz unterschiedliche Bearbeitungstechniken erkennen lassen. Zu den überraschenden und berührenden Exponaten gehört auch ein ungewöhnliches gotisches Kapitell, das mit filigranen Teichrosen verziert ist.
Zu allen Befunden gibt es prägnante Beitexte und anschauliche Vergleichsfotos. So erfährt der Besucher nicht nur viel über Steine und „steinerne Pflanzen“ sondern auch einiges über Schüsselpfennige und eine lebende blaue Glanzschnecke, die bei den Bergungsarbeiten beobachtet wurde und den Weg zu mittelalterlichen Buchmalereien mit blauen Schneckendarstellungen weist. Es gibt sogar eine „Kinderspur“, bei der die originalen Brunnensteine in eine Art Puzzlespiel eingebunden sind.
Doch bleibt die sorgfältig durchdachte Inszenierung immer ganz nah am Thema und auf den Fundort bezogen, etwa auch durch Hinweise auf die im Lapidarium (also ebenfalls direkt in der Zentscheune) befindlichen Objekte, zu denen die neuen Fundstücke Erkenntnisse liefern - und umgekehrt.
Die von Katarina Papajanni kura tierte Ausstellung bleibt ...
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