Lorsch. Zu den alljährlichen Stammgästen beim Kultursommer Südhessen (KuSS) zählt das aus dem kasachischen Geiger Alexander Galushkin und seinem ungarischen Klavierpartner Rolf Fritz bestehende Duo Allegro. Markenzeichen der beiden schon lange an der Bergstraße ansässigen Musiker ist ihre entdeckungsfreudige Repertoirewahl, die auch das aktuelle Lorscher Programm im gut besuchten Nibelungensaal wieder besonders hörenswert machte.
Diesmal widmete sich das Duo ganz der deutschen Romantik und hielt dabei unter anderem zwei in Lorsch wohl kaum je gebotene Raritäten parat. Alexander Galushkin (*1973) setzte einen weiteren ungewöhnlichen Akzent, indem er während des Konzerts von der Violine zur Viola wechselte. Rolf Fritz (*1974) bereicherte den Abend zusätzlich durch souveräne Moderationen.
Finale wie aus einem Guss
Sehr eindrucksvoll war bereits das Plädoyer für Felix Mendelssohns allzu wenig bekannte f-moll Violinsonate opus 4 von 1823, die Galushkin und Fritz zu Beginn als eines der einprägsamsten Frühwerke des genialen Teenagers vorstellten. Ihre ungemein klangschöne Wiedergabe erschien vom lyrisch verinnerlichten Kopfsatz (mit markantem Soloeinstieg der Geige) über das fein empfundene „Poco adagio“ As-Dur bis hin zum charakteristisch feurigen „Allegro agitato“-Finale wie aus einem Guss.
Galushkins superb geschmeidiger Geigensound und Fritz‘ ebenbürtig gepflegter Klavierklang korrespondierten in mustergültiger Balance. Das hartnäckige Schattendasein des Stückes konnte man sich nach dieser bezwingend inspirierten Interpretation erst recht nicht erklären.
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Ebenfalls ein Wunderkind war der einst mit kaum 13 Jahren unter Mendelssohn debütierende Violinvirtuose Joseph Joachim (1831-1907), der auch als Komponist ein durchaus bemerkenswertes Oeuvre hinterlassen hat. Zu seinen prominenten Fürsprechern insofern zählte nicht zuletzt der Lebensfreund Johannes Brahms: „In Joachim ist mehr als in uns allen jungen Leuten zusammen.“ Besonders schwärmte Brahms über die 1854 geschriebenen, auf einem eigenen liedhaften Thema Joachims basierenden zehn E-Dur-Variationen für Viola und Klavier opus 10: „Mein Lieber, was soll ich Dir denn schreiben oder später sagen über die herrlichen Variationen … so gewaltig hat wohl noch niemand Beethovens Feder geführt.“
Meisterstück präsentiert
Diese Begeisterung machten Alexander Galushkin und Rolf Fritz mit ihrer wunderbar farbensatten Aufführung des über zwanzigminütigen Großwerkes uneingeschränkt nachvollziehbar – ein echtes Meisterstück der Gattung mit überdies dankbarem Klavierpart, das jeden Vergleich von Beethoven bis Brahms mühelos besteht. Höhepunkte waren die expressiv eingedunkelte Fugato-Nr. 5, die schier brahmsisch-wuchtige Nr. 6, die brillant an Beethovens Scherzi erinnernde Nr. 8 und die ausladend rhapsodische Nr. 9 mit ihren schillernden Reminiszenzen an Joachims ungarische Heimat.
Für diesen potenziellen Repertoire-Klassiker allein schon hatte sich der Konzertbesuch gelohnt. Wie elegant und leuchtkräftig Alexander Galushkin auch auf der Viola unterwegs ist, zeigte sich dann nochmals in Brahms‘ später f-moll-Sonate opus 120/1 von 1894. Dass dieses Werk eigentlich auf die Klarinette gehört, war angesichts seines überaus warmen und beseelten Bratschentones schnell vergessen. Für den sublimen „appassionato“-Gestus des Kopfsatzes, das sanfte poetische Kolorit der zwei As-Dur-Mittelsätze und den entspannten spielerischen Elan des Finales lieferte Rolf Fritz immer wieder sensibelste pianistische Impulse.
Beide boten Brahms vom Feinsten. Robert Schumanns sanglicher Eingangssatz aus den 1851 entstandenen „Märchenbildern“ opus 113 brachte in der Zugabe auch noch den Komponisten zu Gehör, der mit allen drei Kollegen persönlich bekannt und eng verbunden war. Herzlicher Beifall im Lorscher Nibelungensaal.
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