Sommerbühne - Mundstuhl lockt mit seinem Programm „Flamongos“ mehr als 300 Besucher auf die Klosterwiese / Musik als Zugabe

Mundstuhl in Lorsch mit derben Gags und unanständigen Witzen

Von 
Thomas Tritsch
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Ande Werner und Lars Niedereichholz zogen als Duo Mundstuhl viele Fans an. © Neu

Lorsch. Die konsequente Abwesenheit jeder politcal correctness wirkt wie eine krampflösende Kopfmassage in sprachlich nackensteifen Zeiten. In Lorsch haben die Comedians Lars Niedereichholz und Ande Werner alias Mundstuhl für einen befristeten Rückfall in eine Vergangenheit gesorgt, in der nicht alles besser, aber manches durchaus ein wenig entspannter war. Man muss sie nicht mögen, die Zoten und derben Gags des Frankfurter Duos, das seit bald 25 Jahren eine Vormachtstellung in dem von ihnen erfolgreich belegten – und womöglich sogar begründeten – Subgenre behauptet. Ihre Figuren werden nach wie vor frenetisch begrüßt: die sächselnden Grazien Peggy und Sandy, der rabiate Grill-Schorsch, die geistigen Tiefflieger Dragan und Alder, die sich mit „Kanak-Sprak“, Bomberjacke und dicker Hose einen „Scheißendreck“ um gesellschaftliche Vereinbarungen scheren.

Die bis ins Absurde überzeichneten Prototypen des intellektuellen Verzichts kamen auch auf dem Klostergelände bestens an, wo am Montagabend exakt 331 Zuschauer das aktuelle Programm „Flamongos“ beklatschten. Ganz neu ist die Show von Anfang 2019 allerdings nicht mehr, da die Gastspiele durch die Pandemie mehrmals verschoben werden mussten. Das Theater Sapperlot hatte sie nun in den Spielplan ihres Open-airs an der Welterbestätte aufgenommen, wo das Duo trotz dramatischer Distanzen zum Unesco-Anspruch von Bildung, Wissenschaft und Kultur kurzweilige anderthalb Stunden gesorgt hat.

Mit pinkfarbenen Polyamid-Overalls flatterten die Spaßvögel durch eine Nummernrevue aus Nonsens, Albernheiten und unanständigen Kurzgeschichten. Themen: Pornos, Augenklappenträger, Teenagerschwangerschaften, aufgebohrte Motoren. Frei nach dem Motto: die Wahrheit ist kein Mobbing. Einer Welt, in der jedes Gramm Feinstaub sorgsam abgewogen wird, halten Mundstuhl eine Realität vor, in der aus einem 82er Mercedes gleichsam noch Briketts aus dem Auspuff gefallen sind. Heute dürfe man das wieder, aber nur mit einem H-Kennzeichen. Arbeitslos, ordinär und kinderreich aus Familientradition: breitbeinig hocken Peggy und Sandy, alleinerziehende Dating-App-Expertinnen aus dem ostdeutschen Plattenbau, auf der Bühne und stoßen gerundete Umlaute aus.

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Es geht um verschenkte Vibratoren (benutzt) und häufige Niederkünfte, mit der sie sich in ihrer Doppelbelastung Hauptschule und Kinder herumschlagen müssen. Bei der deutschen Wiedervereinigung hatten sie Tränen in den Augen: „Eine ganz normale Reaktion auf Pfefferspray.“ Zwischen Flamongos-Nummern werden sozusagen Ö-Töne von Walter Ulbricht eingespielt: „Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen?“

Der damals angesprochenen Monotonie der Beatmusik setzen Mundstuhl böse Verarschen von Roger Whittaker und Peter Maffay sowie eine Ode an den rätselhaften „Klabusterbären“ entgegen. Manchmal komisch, manchmal albern und von arg niederschwelligen Humor geprägt.

Niedereichholz und Werner erscheinen als klischeebeladenes und Phrasen hustendes Öko-Gespann Torben und Malte, als magisches Duo Siegroy und Fried sowie als testosterongetränkter Grillmeister Schorsch, für den ein Steak und ein Sixpack schon ein auskömmliches Sieben-Gänge-Menü darstellen und der auch Katzen schmoren würde, denn die sind ja auch aus Fleisch. Veganer sei übrigens der indianische Ausdruck für „schlechter Jäger“.

Zwei Pfannen in die Eier gehauen

Die Superprolls Dragan und Alder werfen sich Wortfetzen an die Backen. Es geht um Tuning, Tussis, das Pumpen in der Muckibude. Alder erklärt, wieso er seine Griffkraft trainiert, Dragan ist sauer, dass ein Tesla kein Diesel schluckt. Auch zwei weitere Chuck-Norris-Witze kommen zu Gehör. Die Kampfmaschine habe als Kind Priester missbraucht und sich morgens für gewöhnlich zwei Pfannen in die Eier gehauen. Vor Tinder-Bekanntschaften warnten die beiden Macker, denn die meisten Fotos auf der Dating-Plattform seien 40 Kilo älter als die Wirklichkeit. Dann lieber ab in den Süden, aber nicht nach Barcelona. Denn dort ist „Gandhis Kirche“ nach 130 Jahren noch immer nicht fertig gebaut.

Zum Abschluss gab‘s Musik als Zugabe. Das Publikum sorgte für ein kleines Lichtermeer, das heutzutage nicht mehr mit Feuerzeugen, sondern mit Smartphones erzeugt wird. Kommentar Mundstuhl: „Handylichter sind schwul!“

Freier Autor

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